"Es herrscht Druck wie in einem Dampfkochtopf"

18.12.2019, 15:33 Uhr

Bei Bewerbungs-Leiter Hans-Joachim Wagner und Kulturreferentin Julia Lehner schwappt sichtlich noch Adrenalin im Blut, wenn sie von der nervenaufreibenden ersten Auswahlrunde in Berlin erzählen. "Wir wussten, wir brauchen noch Training, als wir hingefahren sind", berichtet Lehner. Und Wagner steckt noch der Blick auf die Gesichter der bitter enttäuschten Vertreter der aussortierten Bewerberstädte Dresden, Zittau und Gera in den Knochen, wie er abseits des Podiums erzählt. Sowas möchte er sich und seinen Mitstreitern ersparen. "Ich bin dort fünf Jahre gealtert", beschreibt er die Anspannung.

Wie also weitermachen? "Bis September müssen wir das vom Kopf auf die Füße stellen", sagt die Kulturreferentin. Das heißt ganz konkret: Es gilt ein neues hundertseitiges Bewerbungsbuch zu schreiben mit Angaben zu geplanten Projekten. Dass das im Detail noch viel komplizierter ist als gedacht, zeigte sich in der ansonsten harmonischen Debatte: Philip Zerweck vertritt die Initiative NUE2025, die die Bewerbung kritisch begleitet. "Ihr solltet euch auf das Städteviereck Nürnberg, Fürth, Erlangen, Schwabach konzentrieren", fordert er. Wagner und Lehner kontern, die Einbindung der gesamten Metropolregion – bis hinauf ins thüringische Sonneberg – sei Wesensmerkmal der Nürnberger Bewerbung.

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Und da wäre dann noch der schwammige Begriff "Freie Szene": Die soll mit ihren Ideen eingebunden werden, genauso wie alle Bürger. Zerweck lehnt den Begriff "Freie Szene" rundheraus ab, Maria Trunk, die auf dem Podium das Quellkollektiv vertritt, muss erstmal Definitionsarbeit leisten: "Bei uns sind Menschen, die sich nicht in Hoch- und Subkultur aufteilen lassen, die arbeiten tagsüber zum Beispiel am Opernhaus und proben abends mit ihrer Band im Heizhaus", erklärt sie.

Unglaubliche Dynamik

Sie kann aber auch gleich berichten, dass die bisherigen Vorarbeiten für die Bewerbung eine unglaubliche Dynamik in die Szene gebracht haben. Das sieht auch Hans-Joachim Wagner so, und genau das ist das Ziel: "Ob wir Kulturhauptstadt werden oder nicht, wir wollen uns unserer Potenziale bewusst werden und unserer Defizite." Lehner meint dazu: "Wir können Menschen und Ideen zu Gehör bringen." Richtig schlimm findet sie die "ewigen Schubladen", in die Kulturmacher jeglicher Art gern gesteckt werden.

Da ist einerseits die sogenannte Kultur- und Kreativwirtschaft, die als Wirtschaftsfaktor wahrgenommen wird, und andererseits die Kulturinitiativen aller Sparten, die subventioniert werden. "Wir müssen unsere Verteilungspraxis hinterfragen", sagt Lehner. Das lässt vermutlich jene aufhorchen, die mal als "Freie Szene" angefangen haben und längst etabliert sind wie etwa die Kindertheater.

Man wolle nicht nur in "Steine investieren", merkt Lehner an. Trunks Mitstreiter haben etliche Ideen wie eine Artist Residency. "Da ist Druck wie in einem Dampfkochtopf, und es macht riesig Spaß", so beschreibt sie den Schub, den die Bewerbung unter den Künstlern ausgelöst hat. Wagner lächelt zufrieden. Künstler im Publikum bemängeln dagegen die in ihren Augen schlechte Bezahlung für Auftritte im Rahmen der Bewerbung.

Mit solchen sehr unterschiedlichen Themen ist die Agenda bis Sommer nächsten Jahres dicht gefüllt. Und mit Projekten wie dem dritten Klassik-Open-Air mit den Bamberger Symphonikern und vielen kleineren Ideen, die mit den Bürgern umgesetzt werden. Während Lehner das leidige Thema "Raum für Kreative" angehen will (die Nutzung der Kongresshalle ist geplant), will Zerweck mit seinen Mitstreitern erst mal eine "integrative Kommune bauen" und an der "Stadt der Bürger für Bürger" anknüpfen, die Nürnberg nun mal seit 500 Jahren sei. "Dazu müssen wir darüber diskutieren, was Kultur ist", findet er und fordert damit den ganz großen Gedankenbogen.

NN-Moderator Steffen Radlmaier berichtet dazu von einem Zeitungsleser, der als Kultur alles bezeichnete, "was mich nicht interessiert". Lehner wählt den ganzheitlichen Ansatz: "Dieses Glas, mein Pulli – alles ist Kultur!". Zerweck sieht den Sinn vor allem in der Diskussion mit- und übereinander. Trunk versteht darunter "die Art, wie wir miteinander umgehen" (und bekommt Applaus dafür). Wagner betont: "Es geht nicht um den Titel Kunsthauptstadt, sondern Kulturhauptstadt!", also mehr als eine Summe von Einrichtungen und Events.