Fürther "Jüdin von Toledo" überzeugt nur in Maßen

17.10.2016, 15:30 Uhr

Es muss nicht immer Nathan sein. Mit Lessings Stück über Toleranz im Umgang mit religiösen Überzeugungen versucht das Theater in diesen Zeiten der Verunsicherung, der Fluchten und der allzu schnellen Heilsversprechungen einen besonnenen Beitrag zu leisten: die „Ring“-Parabel soll zeigen, dass die Menschheit in Jahrhunderten nicht viel dazu gelernt hat.

Was man glauben soll, fragt denn auch das Fürther Theater in dieser Spielzeit programmatisch – und versucht eine Antwort mit Lion Feuchtwanger, dem jüdischen Autor, der aus seiner Heimat fliehen musste und sich zeitlebens mit dem Verhältnis zwischen Menschen unterschiedlicher Herkunft und Ansichten beschäftigte.

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So auch in seinem Roman „Die Jüdin von Toledo“, einem Historienwälzer, der tief in die spanische Geschichte des 12. Jahrhunderts zurückgreift, dabei aber Konflikte vorführt, deren Aktualität einmal mehr verblüffend ist. Im Gegensatz zu Lessing zielt Feuchtwanger allerdings nicht auf eine Moral ab, er dokumentiert vielmehr den Widerspruch und lässt ihn als unlösbar im Raum stehen. Seine eigenen Erlebnisse, die Flucht vor den Nazis, die leidvollen Erfahrungen im Exil verbieten es dem Autor, an eine gerechte Lösung im Konfessionsstreit zu glauben.

Scheitern an tiefen Gräben

Der Jude Jehuda, der in die politischen Konflikte in König Alfonsos Kastilien gezogen wird und dessen Tochter Rechja ausgerechnet mit eben diesem König eine außereheliche Beziehung eingeht — was aus der ganzen Sache flugs eine Eifersuchtskiste mit weitreichenden politischen und kriegerischen Folgen macht – dieser Jude, der sich eigentlich klug gegen antisemitische Anfeindungen wehrt, ist am Ende nicht das „gute“ Opfer: Er scheitert, wie alle anderen, Christen oder Moslems, an der Unüberbrückbarkeit der Gräben zwischen den Religionen.

Personen statt Charaktere

Das Buch ist ein Brocken voller Fakten und Bezüge – daran hat sich denn auch Kristo Šagor die Dramatiker-Zähne ausgebissen. Seine Roman-Adaption braucht unendlich lange, um in die verzweigte Story einzutreten und schafft es dann kaum noch, auch von den menschlichen und moralischen Aspekten zu erzählen: Die zahlreichen Figuren bleiben Staffage, ihre Regungen Behauptung.

Sicher tat sich Regisseur Michael Götz deshalb so schwer, aus dem Stück, das über weite Strecken auf die langwierige, verwirrende chronische Berichterstattung der Ereignisse bauen muss, einen schlüssigen Theaterabend zu machen. Wir sehen Personen und vermissen Charaktere.

Etwas hilflos verschiebt Götz wie auf einem Schachbrett mit runden (?) Feldern die Protagonisten, greift zu bisweilen seltsamen Einfällen (über den Köpfen der Spieler leuchten Heiligenscheine auf; der Krieg klingt wie die Finalarbeit des VHS-Trommelkurses; ein Schloss-Modell geht in Flammen auf; ein Trampolin erlaubt Freudensprünge. . .) und lässt am Ende die Blutkonserven sprudeln, auf dass ein jeder merke, wie grausam es sein kann, wenn man sich nicht verstehen und verständigen will.

Frühreifer Trotzkopf

Nur ganz selten ist da Tiefe zu spüren, etwa in der stillen Nachdenklichkeit, mit der Henry Arnold den Jehuda spielt: Er wird aufgerieben zwischen den Machtblöcken, er zweifelt und tut das Richtige im Falschen. Die tiefe Liebe zu seiner Tochter (Sunna Hettinger) dankt ihm diese mit burschikoser Flippigkeit: Ein irgendwie frühreifer Trotzkopf, der unschuldig tut, aber längst die geilsten Kopulationsstellungen drauf hat, was sie im leider ziemlich albern wirkenden Verkehr mit dem König (David Schirmer) beweist, der machomäßig nicht so recht weiß, wohin mit seiner Kraft, und Freund und Feind gern als „Schweine“ tituliert. Die nehmen’s brav zur Kenntnis.

Aber der in die Länge gezogene Abend hat dann doch noch einen echten Höhepunkt: Wie Michaela Domes die Ellinor, die Königin von England, spielt, das ist große Klasse. Im schwarz-weiß-karierten Top und mit sperrigem Reifrock-Mini, die Reitgerte in der Hand, platzt sie als groteske Herrscherinnen-Karikatur ins Geschehen und keift mit dynastischem Sendungsbewusstsein den ganzen lahmen Hofstaat unter den Teppich.

Feuerrot die Haare, die Stimme kippend zwischen pikierter Geringschätzung und donnerndem Hinrichtungskommando, über Leichen tänzelnd, die noch gemacht werden müssen und doch längst kalkuliert sind in ihrem Kopf, in dem es nur um Macht und monarchische Arterhaltung geht – ein wunderbares, garstiges, einsames Solo. Man genießt es und nimmt den Durchschnitt drumherum in Kauf.

Weitere Aufführungen: 19., 21. und 22. Oktober; Kartentel.: 09 11 / 9 74 24 00.