Hommage mit pikanten Porträts

12.12.2017, 19:12 Uhr

Wilhelm Uhde sei immer dort gewesen, wo man ihn am wenigsten erwartet habe, sagt Jeanne-Bathilde Lacourt, die Kuratorin für moderne Kunst des Museums LaM in Villeneuve d’Ascq bei Lille. Und Uhde galt als Visionär. Er besaß Bilder von Picasso, als dieser noch kaum bekannt war. "Er hat immer aus der Emotion heraus gekauft", erklärt die Kuratorin. Vor allem die naive Malerei hatte ihn fasziniert. Zu seinen Entdeckungen zählen Rousseau und Séraphine de Senlis, zwei der bedeutendsten Vertreter der naiven Kunst.

Seraphine Louis verhungerte 1942 im Alter von 75 Jahren in einer Irrenanstalt in Clermont, verarmt, vergessen und geistig umnachtet. Womöglich vergiftet von ihren eigenen Farben, die sie selbst aus Lacken und Ölen zusammenmischte. Sie hatte ihren sehr eigenen Stil, lebte nur für die Malerei – und malte, in religiöser Trance, so lange, wie es mit ihr gut ging. Heute gilt die französische Autodidaktin als bedeutendste "naive" Malerin des 20. Jahrhunderts.

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Zum Wendepunkt ihres Lebens wurde, dass der deutsche Kunsthändler Wilhelm Uhde, dem sie an dessen Erholungsort in Senlis die Wohnung putzte, im Dorf eines ihrer Stillleben entdeckte. Beeindruckt von der intuitiven Kraft der kleinen, scheuen Frau kaufte er ihr mehrere Bilder ab – und bestärkte sie in ihrem unbedingten Kunstwillen.

Der Rechtswissenschaftler und Kunsthistoriker Uhde nannte Künstler wie sie die "modernen Primitiven", worauf auch der Titel der bis zum 7. Januar dauernden Werkschau verweist: "Von Picasso bis Séraphine – Wilhelm Uhde und die modernen Primitiven". Unter den Bildern sind auch drei seit mehr als 75 Jahren verschollene Familienporträts Uhdes.

Vor ziemlich genau einem Jahr erwarb diese Gemälde der Kunstsammler Peter Büttner aus Lauf an der Pegnitz im Kunsthandel. Die Bilder haben einen ganz besonderen biografischen Bezug zu Wilhelm Uhde: André Lanskoy malte Uhde wohl um 1929 im blauen Frauenkleid. In der Öffentlichkeit hätte das Skandalbildnis und Zeugnis schwuler Selbstinszenierung den Kunstsammler damals in Bedrängnis gebracht, weshalb es wohl von der Familie unter Verschluss gehalten wurde.

Auf dem zweiten Gemälde ist die berühmte russische Malerin Sonia Terk zu sehen, mit der Uhde 1908 für kurze Zeit eine Scheinehe einging. Er konnte dadurch seine Homosexualität verbergen, sie sich von ihren Eltern emanzipieren. Bekannter wurde die Künstlerin nach ihrer zweiten Heirat unter dem Namen Sonia Delaunay.

1917 lernte Uhde dann den ein Vierteljahrhundert jüngeren Maler Hellmut Kolle kennen, die beiden wurden ein Paar. Und so zeigt das dritte Gemälde Kolle im Selbstporträt. Es trägt den Titel "le cuisinier et le coq", entstand wahrscheinlich um 1924 nach dem gemeinsamen Umzug der beiden Männer nach Paris und gilt als Kolles kleinstes Selbstporträt in Öl.

Der Sammler habe mehr als die Wirklichkeit zeigen wollen, erklärt die Kuratorin Lacourt. Er habe das Unsichtbare gesucht. Und so spannt die Werkschau den Bogen vom Kubismus über die Abstraktion bis zur naiven Malerei. Uhde ließ sich erstmals 1904 in Paris nieder. Als mit Beginn des Ersten Weltkriegs der französische Staat seine Sammlung konfiszierte, kehrte er wieder nach Deutschland zurück. Doch die Nationalsozialisten bürgerten ihn aus und er ging als Staatenloser nach Südfrankreich. Uhde starb am 17. August 1947 im Alter von 72 Jahren in Paris.