„Ich male und musiziere aus Wahrheitssucht“

27.11.2011, 22:00 Uhr

Herr Grützke, was unterscheidet einen Erlebnisgeiger von einem normalen Geiger?

Johannes Grützke
: Auf jeden Fall nicht die Geige. Ich kann eigentlich gar nicht geigen. Es geht aber — wie in der Malerei — nicht ums Können. Es geht ums Tun. Zusammen zu musizieren, ist das Schönste, was es gibt.

Schöner als Malen?

Grützke
: Malen ist ja nicht schön. Ich folge diesen Tätigkeiten nicht aus Schönheitssucht, eher aus Wahrheitssucht. Ich arbeite aus Drang und Trieb — in der Malerei und Musik.

Sie haben zehn Jahre lang, bis 2002, als Professor in Nürnberg gelehrt. Wie eng sind heute noch Ihre Kontakte in die Stadt?

Grützke:
Sehr eng. Mein guter Freund, der Maler Christoph Haupt, lebt hier. Wir dichten zusammen. Nach der Akademiezeit habe ich noch eine Weile eine Wohnung hier behalten. Ich war aber dann doch zu wenig da. Und es gibt ja Hotels.

Das GNM stellt als erstes Haus die gesamte Breite Ihres Schaffens vor. Mit welchem Gefühl gehen Sie durch die Ausstellung?

Grützke
: Als ob ich zuhause wäre. Hier ist ja auch viel aus meinem Atelier zu sehen: meine ausgestopften Tierchen, Fotos meiner Familie...

...und immer wieder auch Ihr Konterfei...

Grützke
: Die Tatsache, dass die Figuren mir ähnlich sehen, liegt ganz einfach daran, dass ich in den Spiegel sehe. Wenn die Leute daraus schließen, dass ich selbstverliebt bin, dann stimmt das überhaupt nicht. Ich veranstalte das nicht zu meiner Ehre, ich male das nächstliegende — und das bin ich. Jeder einzelne Mensch kann die ganze Menschheit repräsentieren.

Ihre Figuren zeigen oft absurde Haltungen, Gesten und Gesichtsausdrücke. Sind Sie ein Dokumentarist oder ein Verrätseler der Welt?

Grütze:
Erst, wenn ich merke, dass ich Gesten so einsetze, dass die Bedeutung nicht eindeutig lesbar ist, interessieren sie mich. Weil ich nicht weiß, was es ist. Ich will es ja erfahren. Ich male überhaupt, um zu erfahren, nicht um anderen etwas zu zeigen. Ich will niemanden beeindrucken, ich bin selbst beeindruckt, sonst würde ich gar nicht anfangen. Ich weiß über meine Bilder tatsächlich genauso wenig wie ein anderer, der davor steht.

Bei den Porträts ist das anders: Man muss nicht rätseln was man vor sich hat. Gerhard Schröder wirkt auf Ihrem Bild ziemlich dicklich, Martin Walser sehr griesgrämig. Waren die Herren dennoch zufrieden?

Grützke:
Das glaube ich nicht. Das ist sogar nie der Fall. Jeder hat ja seine eigene Vision von sich selbst. Wer sich vorher ein repräsentatives Porträt vorgestellt hat, der hat Pech gehabt. Ich lasse meinen Pinsel laufen und mische mich nicht ein. Ob die Modelle hinterher mit dem Bild einverstanden sind, interessiert mich nicht.

Porträtieren Sie jeden, der anfragt und genug bezahlt?

Grützke:
Ja. Da mache ich keinen Unterschied. Ob es klappt oder nicht, ist eine Frage des Termins.

Dafür muss man erst einmal an Sie herankommen. Ihre Adresse und Telefonnummer ist geheim, die Homepage führt auch nicht direkt zu Ihnen...

Grützke
: Ich muss mich schützen, sonst komme sich gar nicht mehr zum Arbeiten. Ich kann schwer nein sagen.

Was halten Sie als Vertreter der Figuration von Neo Rauch und der „Neuen Leipziger Schule“?

Grützke:
Ich habe gleich nach der Wende in Leipzig eine große Ausstellung gezeigt. Dabei hatte ich eine richtige Mission: Ich wollte damals den Ostmalern zeigen, dass sie nicht gleich westlich werden müssen. Damals war ich skeptisch, inzwischen glaube ich, die Botschaft ist angekommen — und ich bin stolz darauf.

Ausstellung im GNM bis 1. April 2012. Konzert der „Erlebnisgeiger“ im Museum am 7. Dezember um 19 Uhr, Der Eintritt zum Konzert ist frei.