Kommentar: Vinylfetischismus braucht kein Mensch

16.4.2016, 11:00 Uhr

Zugegeben: Die Schallplatte ist nicht tot. Ein paar unermüdliche Enthusiasten bahren sie in zuverlässiger Regelmäßigkeit wieder auf. Sie hängen an der Nadel, am schwarzen Gold, berauschen sich am Knistern ihrer Schätze, lieben es Musik anzufassen, weil Menschen Dinge, die sie nicht begreifen können, immer auch anfassen müssen – nicht umsonst hängt in jedem Museum der Hinweis, dass die Griffel nichts auf den Skulpturen zu suchen haben.

Die Schallplatte, das bessere weil schönere Medium für Musikliebhaber. Der Bundesverband Musikindustrie nennt sie sogar den aktuellen "Stern am Tonträgerhimmel". Mit einem Anteil am Gesamtmarkt von 3,2 Prozent. Vinyl ist wieder da. Doch längst bedient nur eine Industrie den stumpfen Fetischismus einer Nische. Wobei hier allerdings Clubkultur, elektronische Musik und HipHop ausgeklammert seien. Dort lebte die Schallplatte auch die letzten Jahre. Aber das scheint für den konsumfreudigen, heutigen Vinylhörer sowieso keine richtige Musik zu sein. Zumindest müssen diese fixe Idee die Macher des Record Store Days wieder einmal gehabt haben.

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Bruce Springsteen, Metallica, Bob Dylan, Bert Jansch, Jimi Hendrix, Johnny Cash – die Angebote des diesjährigen Record Store Day lesen sich wieder einmal, als hätte ein müder Journalist des deutschen "Rolling Stone" die Liste zusammengestellt. Klar, ein paar aktuelle Künstler dürfen auch mit rein. Schon vergessene Indie-Kapellen wie We Are Scientists und leider noch nicht vergessene Bands wie Wanda. Aber es bleibt der Eindruck, dass solche Events vor allem den Vinylfetischismus und seinen Glauben an eine bessere Vergangenheit bestätigen.

Daneben kann der heimelige Freund der Schallplatte seiner Liebe noch Ausdruck verleihen, indem er seine Euro für "Mint" ausgibt. Das selbsternannte Magazin für Vinylkultur. Über die Wunderwelt der Quadrofonie oder Cover-Kunst berichten die Autoren hier. Im Zeitschriftenregal müsste dieses Heft mit seiner Nabelschau eigentlich neben der Macwelt liegen.

Vinyl mag manche Leute zu der Annahme bringen, dass sie bessere Musikhörer sind. Weil sie alle zwanzig Minuten aufstehen und Platten umdrehen. Weil sie ihr Vinyl nur mit Fingerspitzen anfassen können. Weil sie sich knisternde Störgeräusche auch noch beim Abspielen von Musik aus dem Jahr 2016 wünschen. Das hat allerdings nichts mit Musik zu tun. Letztendlich frönt ein Großteil der aktuellen Vinylkultur doch aber nur dem Snobismus, dass man zu den Guten gehört, zu den Wertschätzern der echten Musik.

Es geht bequemer, es geht einfacher als Vinyl. Ob das nun Kassette, CD, iPod oder Streaming ist. Und der Musik ist das Medium herzlich egal. Die Schallplatte braucht kein Mensch, der Mensch braucht die Schallplatte. Um sich besser zu fühlen als andere. Und das ist leider die ewig gleiche Platte, die niemand mehr hören kann.