Mario Adorf wird 90

7.9.2020, 16:18 Uhr

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Die Bösewichte waren lange Zeit seine liebsten Rollen, immer wieder hat Mario Adorf sie gespielt. Schon seinen Durchbruch erlebte er 1957 als Massenmörder Bruno Lüdke in Robert Siodmaks "Nachts, wenn der Teufel kam". Der damals 26-Jährige verkörperte den perversen Verbrecher so überzeugend, dass er den Bundesfilmpreis als bester Nachwuchsdarsteller erhielt.

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Heute, da man weiß, dass Lüdke unschuldig war, dass er ein Opfer der NS-Justiz wurde, die ihn 1944 umbringen ließ, hadert Adorf zutiefst mit dieser Rolle. Er fühle sich schuldig, am liebsten, so sagte er kürzlich in einem Interview mit der Zeit, würde er einen neuen Film drehen lassen, um Lüdke zu rehabilitieren. Seine Anfrage bei Steven Spielberg sei bislang jedoch unbeantwortet geblieben.

Dabei müsste sich Adorf nicht grämen, er war der Schauspieler, der es damals nicht besser wissen konnte und der auf eine einzigartige Karriere zurückblicken kann. In mehr als 200 Kino- und Fernsehfilmen hat der deutsche Weltstar, der heute 90 Jahre alt wird, mitgespielt. In Rolf Thieles Wirtschaftswunder-Satire "Das Mädchen Rosemarie" war er 1958 als frecher Bänkelsänger zu erleben, ein Jahr später gab er in der Romanverfilmung "Das Totenschiff" den Matrosen Lawski mit ungeheurer physischer Präsenz.

In den 70er und 80er Jahren gehörte Mario Adorf zu den Protagonisten des jungen deutschen Films, Volker Schlöndorff holte ihn für "Die verlorene Ehre der Katharina Blum" vor die Kamera und für seine Oscar-gekrönte Romanverfilmung "Die Blechtrommel". In Rainer Werner Fassbinders "Lola" spielte er den neureichen Baulöwen Schuckert.

Zugleich gehörte Adorf zu den wenigen deutschen Schauspielern, die auch international Fuß fassen konnten. Bereits 1964 stand er in Hollywood für Sam Packinpahs "Major Dundee" vor der Kamera. Er arbeitete mit Billy Wilder, Claude Chabrol, dem Spanier Antonio Isasi, dem Briten George Pollock, dem Dänen Bille August (in "Fräulein Smillas Gespür für Schnee") und mit zahlreichen italienischen Regisseuren, darunter Dino Risi, Antonio Pietrangeli, Dario Argento und Sergio Corbucci.

Die große Affinität zu Italien, viele Jahre seine Wahlheimat, war Adorf, der 1930 als nicht-ehelicher Sohn eines kalabrischen Chirurgen und einer deutschen Röntgenassistentin in Zürich geboren wurde, quasi in die Wiege gelegt. Er wuchs bei seiner Mutter in der Eifel auf, wo er ein von katholischen Nonnen geführtes Internat besuchte. 1950 begann er ein Studium an der Universität in Mainz, entschied sich dann aber für den Beruf des Schauspielers.

Nach seiner Ausbildung an der Münchener Otto-Falckenberg-Schule erhielt er ein Engagement an den Kammerspielen und blieb dem Theater jahrzehntelang eng verbunden. Einen seiner letzten Bühnenauftritte gab er 2003 bei den Nibelungen-Festspielen in Worms, die seit 2018 den Mario-Adorf-Preis für herausragende künstlerische Leistungen verleihen.

Seine einzigartige Karriere aber hat Mario Adorf vor der Kamera gemacht, später auch im Fernsehen, in den legendären TV-Serien "Der große Bellheim" von Dieter Wedel und Helmut Dietls "Kir Royal", in denen er sein grandioses Talent für süffisante Komik bewies. Unvergessen wie er in "Kir Royal" als rheinischer Großindustrieller Heinrich Haffenloher den Klatschreporter Baby Schimmerlos alias Franz Xaver Kroetz mit seinem Reichtum besticht – "Ich scheiß dich sowas von zu mit meinem Geld, dass du keine ruhige Minute mehr hast. " Keiner hätte das so herrlich großkotzig spielen können wie Adorf.

Im wahren Leben ist er ein Menschenfreund, eher bescheiden, einer, der jeder Art von Macht misstrauisch gegenüber steht, wie er selbst sagt. Seine Popularität nutzt er seit langem, um sich für Umweltthemen, Menschenrechte und als Mittler zwischen den Kulturen einzusetzen. Er hat alle Preise erhalten, die die deutsche Filmwelt zu vergeben hat, die Johannes Gutenberg-Universität Mainz verlieh ihm 2010 die Ehrendoktorwürde, 2007 zeichnete ihn das Filmfestival Türkei/Deutschland in Nürnberg mit dem Ehrenpreis aus.

Adorf, der seit 1985 in zweiter Ehe mit Monique Faye verheiratet ist, in München und Frankreich lebt und fließend vier Sprachen spricht, kann auf ein gelungenes, glückliches Leben blicken. Auch wenn ihn die Gedanken an den eigenen Tod immer mehr beschäftigen, dreht er weiter – "solange es physisch geht und das Gedächtnis funktioniert".

2019 konnte man den sympathisch uneitlen Schauspieler in Dominik Wesselys wunderbarem Filmporträt "Es hätte schlimmer kommen können" noch einmal hautnah im Kino erleben. Und ein Jahr zuvor durfte er doch noch in seine Alterstraumrolle schlüpfen, an die er zuvor kaum noch geglaubt hatte: In dem ZDF-Doku-Drama "Karl Marx – der deutsche Prophet" spielte er den klugen Kapitalismus-Kritiker, dessen Schriften bis heute aktuell sind. Der Film erhielt mäßige Kritiken – weil man darin zwar viel über den privaten Marx, doch wenig über sein Werk erfuhr. Höchstes Lob aber gab es für Mario Adorf, der darin eine grandiose, kinoreife Leistung abliefert. Wen wundert’s bei diesem großen Ausnahmeschauspieler?                                              REGINA URBAN