Neuer Roman des Regensburger Autors Benno Hurt

5.4.2011, 00:00 Uhr

Benno Hurts Sprache ist reich an atmosphärischen Schilderungen, an präzisen, nah an den Betrachter heran gezoomten Darstellungen und an poetischen Bildern: „Draußen flossen Fußgänger, Radfahrer, Autos lautlos von mir ab. Die Welt ging in Hausschuhen.“ Das erlebt der Reisende kurz vor seiner Ankunft in Köln am frühen Morgen des 2. März 1965, Aschermittwoch.

Der Jurist und angehende Schriftsteller Michael Kaltenbrach ist von einem Kölner Verlag zu einem Gespräch eingeladen worden. „Ja, wir möchten, dass Sie eine Erzählung für uns schreiben“, eröffnet ihm die Lektorin im Beisein von Dieter Wellershoff. Die Erzählung einer Reise soll es sein. Am Ende einer Reise steht folglich auch ihr Anfang. Wird Kaltenbrach nun die Geschichte so erzählen, wie sie der Leser bereits kennt?

Mit kühlem, fotografisch präzisem Blick auf die Erinnerungsbilder der Vor-68er Jahre hat Benno Hurt einen komplexen, sehr persönlichen Roman geschaffen und sich selbst dabei nicht geschont, denn es ist davon auszugehen, dass der Roman teilweise auch autobiografische Hintergründe hat. Aus der „Dunkelkammer des Bewusstseins“ tauchen Negative auf. Sie sind „kontrastarm und leicht überstrahlt an den Rändern, weil die Zeit in sie eingefallen war. (...) Das Fremdlicht des Vergessens war stellenweise schon eingedrungen und hatte sie unscharf gemacht.“

Am Bahnhof von Kürren, das in den Romanen von Hurt durchgehend für Regensburg steht, hat die Reise nach Köln begonnen. Sein Freund Eugen begleitet ihn. Noch kann Kaltenbrach nicht einschätzen, was ihn erwartet. Dass er Jurist wird, ist unstrittig, darüber wird nicht gesprochen. Dass er zeitweilig über seine Chancen als freischaffender Schriftsteller nachdenkt, bleibt zunächst eine Episode. Der gelernte Jurist und „höfliche Referendar“ hat die Fähigkeit, sich auf das Wesentliche zu beschränken. Sein Freund Eugen dagegen ist ein Sternengucker, ein Phantast. Er kennt sich mit Sternbildern aus, gräbt in der Vergangenheit und stolpert ziellos durchs Leben.

Die Ankunft in Köln beginnt mit einer Erkundungstour, die bis ins Rotlichtviertel führt. Der junge Michael fühlt sich in fremder Umgebung den Erwartungen an seine Männlichkeit nicht gewachsen. Sein Körper funktioniert nicht so, wie es sein sollte, der Kopf funkt dazwischen. Den Vorstellungen allzeit potenter Männlichkeit kann er nicht dienen.

Die Ähnlichkeit, die sein Freund Eugen zwischen ihm und einer Engelsskulptur auf dem Melatenfriedhof entdeckt, deutet an, dass er nicht besonders „lebenstauglich“ ist. Das ist auch eine der Einschätzungen, die sein Vater von ihm hat: „Du hast ein ausgesprochen lebensuntaugliches Gesicht“. Es lebt sich nicht gut im Schatten des erfolgreichen Vaters, eines Juristen, dessen politischer Hintergrund undurchsichtig bleibt. Vater und Sohn sind sich fremd.

Den Spuren seiner Erinnerung folgt Michael Kaltenbrach von Station zu Station, begleitet von dem „rhythmischen gleichmäßigen Klack-Klack-Klack“ des Zuges, begleitet auch von den vorbeirauschenden Landschaften, Städten und Menschen, die Assoziationen zu eigenen Erlebnissen wecken. Die Eindrücke verleihen den Bildern, die aus der Dunkelkammer hochgestiegen sind, neue Farbe und Gestalt und verknüpfen Beobachtungen und Erfahrungen locker zu einer Geschichte, die den Leser mit auf die Reise zu eigenen Abgründen nimmt. Der genau beobachtende Blick von Benno Hurt schlägt in Bann.

Benno Hurt: Im Nachtzug — Eine Entfernung. Roman. dtv premium, München, 258 Seiten, 14,90 Euro.