"Stomp" in Nürnberg: Furiose Ode an den Sperrmüll

29.7.2016, 05:57 Uhr

Die Schlange vor dem Ambassadors Theatre im Londoner West End geht fast um den Häuserblock. Doch es ist nicht das normale Publikum, das für Karten für das ständig ausverkaufte „Stomp“ ansteht. Es sind junge Leute, die die Show nicht sehen wollen, sondern selbst darin  gesehen werden möchten. An die 700 brennen darauf, zum Ensemble dieses Welterfolges zu gehören.

Die Stunde der Wahrheit kommt, wenn sich eine Gruppe von 20 Kandidaten auf der Bühne aufstellt. Die Nervosität ist zu spüren, aber legt sich schnell, als zwei Stomp-Veteranen den Rhythmus vortanzen und dazu klatschen. Die Gruppe kapiert sofort, um was es geht und wenn sich alle warm und locker gestampft haben, bekommen die jungen Männer und Frauen die Gelegenheit für eine Soloeinlage. Einige garnieren ihren Auftritt mit Anleihen an Flamenco und Schuhplattler oder schlagen sogar Räder zum Abschluss.

Werbung
Werbung

 Im Dunkel des Theaters nuckelt derweil Luke Cresswell an der Wasserflasche und macht sich Notizen. Er und sein Co-Mitbegründer der Truppe, Steve McNicholas, nehmen immer noch persönlich die Auswahl neuer Mitglieder des Ensembles vor. Der Andrang in New York, wo die Show ihr zweites Standbein hat, ist so groß wie in London. Fünf Stomp-Truppen touren ständig von diesen Zentren aus durch die Welt. Jedes Ensemble hat nur ein Dutzend Mitglieder — kein Wunder also, dass die Plätze so heiß begehrt sind.

Koordination und Kondition

 "Im Grunde kann jeder ein Stomper werden, wenn er Koordination, Kondition und Persönlichkeit mitbringt," sagt Creswell. "Wir schauen immer noch nach den gleichen Eigenschaften, wie in den Jahren, als wir die erste Show zusammengestellt haben. Es gibt keine Stereotypen, denn wir wollen ja nicht eine genaue Kopie jeder Truppe haben. Durch neue Akteure kommt ständig neue Energie in die Show, weil jeder seine Rolle anders ausfüllt."

 Rhythmus und ein offenes Ohr für den unendlichen Kosmos von Geräuschen ist die Essenz von Stomp. Das mitreißende Spektakel entstand 1991 aus der Zusammenarbeit zwischen dem Perkussionisten Luke Cresswell und dem Regisseur Steve McNicholas. Fast auf Anhieb schaffte die Show es von kleinen Theatern im heimatlichen Brighton zu einem internationalen Phänomen, an dem sich über eine  Milliarde Zuschauer bei der Übertragung der Abschlussfeier der Olympischen Spiele 2012 in London erfreuten.

Stomp ist eine höchst unterhaltende  Mülloper mit Tanz und Akrobatik vor einem komplexen rhythmischen Hintergrund. Jedes der Objekte, mit denen das Team spielt, hat einen Klangcharakter. Von raschelnden Zeitungen und klickenden  Feuerzeugen über das Stakkato von Besen bis zum Höllenlärm  der Deckel auf Abfalltonnen entsteht eine durchkomponierte Ode an den Sperrmüll. Und so endlos wie die Geräusche sind auch die neuen Einfälle,  die die Show nach 25 Jahren so frisch wie am ersten Tag macht.

Die Welt hat weiter ihre Freude daran, wie die Tourneen in über 50 Ländern zeigen. Stomp erhebt die Banalität zum Kult. Im urbanen Dschungel der Industriegesellschaft pulsiert der Rhythmus als eine der ältesten Grundeigenschaften der Menschheit. Genauso elementar ist der Sinn für Humor und Komik. "Rhythmus ist eine Sprache, die wir alle täglich benutzen, ohne es zu merken. Er kommt aus dem Körper, wie das Lachen," sagt Cresswell über die ungebrochene Faszination, die Stomp ein Vierteljahrhundert nach der Gründung noch ausübt.

Internationale Sprache

Die wortlose Show spricht eine internationale Sprache, die überall verstanden wird. Das zeigt momenten der Triumph der China-Tour. Sie demonstriert auch, dass Stomp mehr ist als Lärm und Klamauk. Die Beziehung von Rhythmus und Mathematik wird dort nun nach dem Besuch von Stomp im Schulunterricht eingesetzt.

Draußen vor dem Londoner Theater freuen sich Ben und Alice, dass sie nach dem Probezappeln in die engere Auswahl gekommen sind. Die beiden sind um einige Jahre jünger als Stomp. Aber für die Absolventen einer Tanzakademie wäre kein Anfang ihrer Karriere so cool wie die Mitgliedschaft bei Stomp. In einer weiteren Probe wird sich zeigen, ob sie dazu das Zeug haben.

Stomp ist laut Creswell "keine Schaubühne für Stars, sondern ein Kollektiv von Individualisten. Jedes Mitglied soll zur Weiterentwicklung und Erneuerung beitragen." Von Ideenreichtum und der Experimentierfreude zeugt zum Beispiel die neue Nummer "Frogs" - ein melodisches "Froschkonzert" mit flexiblen Sanitärrohren als Instrumenten.

Aus der Welt der Geräusche und der Bühnenhektik taucht Stomp-Chef Luke Cresswell häufig ab in die Stille einer tropischen See. Dort verursacht die Schnauze eines weißen Hais, die an den Stahlkäfig Cresswells stößt, womöglich den gleichen Adrenalinrausch, wie ihn die Zuschauer einer Stomp-Vorführung erfahren.

Stomp gastiert vom 2. bis 7. August im Opernhaus Nürnberg. Karten gibt es in den Geschäftsstellen der Nürnberger Nachrichten.