Viel Beifall für neue Nürnberger "Bohème"

23.11.2015, 15:00 Uhr

Tod in Paris. Da schwirren in diesen Tagen viele Bilder im Kopf herum. Eiskalte Killerkommandos beenden in Sekundenschnelle das Leben von hoffnungsvollen jungen Menschen. Aber da gibt es dieses „trotz alledem“: Paris bleibt die Stadt der Lebensfreude. Alexandra Szemerédy und Magdolna Parditka zeigen dies an einer anderen Notzeit, als die Währung Kohlen hieß, der Schwarzhandel blühte und jedermann froh sein musste, halbwegs ein Dach über dem Kopf zu haben.

Das erste Passepartout-Bühnenbild offenbart die kleine, spartanisch möblierte Kemenate von Mimi. Etwas weitläufiger, aber nicht viel luxuriöser geht es in der vierköpfigen Männer-WG im Stockwerk darunter zu. In dem Augenblick, da Rodolfo und seine Nachbarin die großen Gefühlen einander gegenüber zulassen, im Duett „O soave franciulla“, reißt die Wand auf und die beiden frisch Verliebten tauchen in einen roten Horizont.

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Trottel im Doggystyle

Ansonsten wandelt sich das Café Momus von einer alteingesessenen Brasserie im 3. Akt nicht in einen Gasthof am Rande der Stadt, sondern dient als Bar für die GI‘s der US-
Army und Absteige für die käufliche Liebe. Auch den Sex modernisieren die beiden Ungarinnen: Der ältliche Galan von Musette hat seit jeher die Trottelkarte gezogen, aber hier darf Alcindoro (Richard Kindley) ganz im Doggystyle das Hündchen geben.

Später, als die Studenten die totgeweihte Mimi aufheitern wollen, inszenieren sie eine (hier nur angedeutete) Vergewaltigungsszene als Kunstakt in Manier des Wiener Aktionskünstlers Hermann Nitsch. Ansonsten erzählen Szemerédy / Parditka ziemlich schnörkellos, geradeaus und mit nicht immer sehr einsichtigen Lichtwechseln die tausendfach bewährte Geschichte.

Die lebt von den brillanten musikalischen Einfällen des italienischen Komponisten in seinen Enddreißigern: Dirigent Gábor Káli entwickelt mit der Staatsphilharmonie das leitmotivisch inspirierte Soundgewebe überhaupt nicht auffahrend und vollmundig, sondern als melancholisch-verhangenenen, angenehm unaufgeregten Tonteppich, der eine gute Grundlage für die Sänger bietet. Da macht sich neben reichlich Bühnennebel viel differenzierte Klangkultur im Zuschauerraum breit.

Ausgezeichnete Protgonnistinnen

Die beiden weiblichen Hauptpartien sind bestens aus dem Hausensemble heraus besetzt: Hrachuhí Bassénz hält mit ihrem leicht abgedunkelten Sopran in der Rolle der herzkranken Näherin die Balance zwischen Naivität (hervorragend umgesetzt etwa in der Auftrittsarie „Si, mi chiamano Mimi“) und Lebensklugheit, während Michaela Maria Mayer schon häufiger unter Beweis gestellt hat, dass ihr die koketten, leichtfüßigen Charaktere besonders liegen, ohne dass ihr Spiel ins vordergründig Frivole abrutscht. Ihr Walzerlied wurde auch zum Ausdruck eines selbstbewussten femininen Anspruchs, den sich die Frauen durch die mannigfach geschulterten Anforderungen des eben beendeten Weltkriegs erworben hatten.

Nicht ganz zufrieden stellen konnte Ilker Arcayürek als Rodolfo: Seinem eng mensurierten, oft guttural-vernäselten Tenor fehlte es oft in der Höhe an Durchschlagskraft. Wenn er sich frei gesungen hatte, wie zum Beispiel in „Che gelida manina“ oder auch im Duett mit Marcello im 3. Bild, offenbarte der Türke aber auch, dass er noch einiges an Entwicklungspotenzial bereithält.

Seine drei Kumpel — Maler Marcello (Levent Bakirci), Musiker Schaunard (Daniel Dropulja) und besonders auch Philosph Colline (Nikolai Karnolsky) mit einem anrührenden Mantel-Lied — überzeugten vokal wie schauspielerisch. Ein paar nette Charge-Einlagen lieferten Suren Manukyan als heftig unter der Knute seines Eheweibs stehender Hausherr und Klaus Brummer als Spielzeugtrödler Parpignol.

Gehaltvoller Puccini-Abend

Ein bisschen zu einseitig auf lautstarkem Stentor setzen die Sänger vom Jungen Chor Nürnberg (Einstudierung Matthais Stubenvoll). Da darf sängerisch noch etwas nachjustiert werden. Seinen Part als Bar-Gesellschaft nahm der von Tarmo Vaask gelenkte Hauschor zusammen mit der Statisterie tempramentvoll an. Insgesamt hätte man sich inszenatorisch mehr Akzente erhofft, aber die musikalische Umsetzung garantiert einen gehaltvollen Puccini-Abend.

Weitere Vorstellungen: 27. November, 4., 6., 10., 14., 16., 22., 26. und 29. Dezember; Karten: Tel. 0 18 05 23 16 00.