"Mediator" kostete bis zu 2000 Menschen das Leben

15.5.2012, 12:10 Uhr

Dem Pharma-Unternehmen Servier, der Filiale Biopharma, Firmengründer Jacques Servier und ehemaligen Mitarbeitern wird vorgeworfen, wissentlich ein giftiges Medikament hergestellt und als Appetitzügler und Mittel gegen Übergewicht und Diabetes vertrieben zu haben. Gestern begann bei Paris der Prozess wegen schweren Betrugs. Servier und den vier Ex-Führungskräften drohen vier Jahre Haft und hohe Geldstrafen, den Unternehmen ebenfalls Geldbußen und Entzug der Lizenz.

Nach Sanofi-Aventis ist Servier Frankreichs zweitgrößter Pharmahersteller. Sein Mandant sei "kämpferisch und verantwortungsbewusst", sagte Hervé Temime, Anwalt des 90-jährigen Servier, der sich gestern zu den Vorwürfen nicht äußern wollte. Während es den mehr als 350 Klägern angesichts des hohen Alters des Angeklagten und ihres teils schlechten eigenen Gesundheitszustandes um einen schnellen Prozess ging, versuchte dessen Verteidigung gestern zum wiederholten Mal, diesen zu verschieben.

Er sei nicht verfassungsmäßig, da in Paris bereits ein anderes Verfahren gegen Servier unter anderem wegen fahrlässiger Tötung und Körperverletzung laufe. Temime kritisierte die "mediale Steinigung" des Pharma-Herstellers. "Die Opfer wollen eine beispielhafte Verurteilung des Servier-Laboratoriums", erklärte hingegen Opfer-Anwalt Charles Joseph Oudin. Jeder Kläger verlangt 100.000 Euro Schadensersatz.

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33 Jahre lang wurde das Schlankheitsmittel mit dem Wirkstoff Benfluorex in Frankreich vertrieben; Ärzte verschrieben es nicht nur Diabetikern, sondern auch gesunden Patienten, die abnehmen wollten. Laut unterschiedlichen Studien starben zwischen der Zulassung 1976 und dem Verbot im Jahr 2009 zwischen 500 und 2000 Menschen. Mehr als 3500 mussten im Krankenhaus behandelt werden.

Gefährlichkeit des Medikaments war bekannt

Servier wird vorgeworfen, frühzeitig von der Gefährlichkeit des Medikaments gewusst und dies aus Gewinnstreben bewusst vertuscht zu haben; möglich war das auch dank bester Kontakte in die höchsten politischen Kreise und zu den
zuständigen Kontrollbehörden. Tatsächlich warnten seit den 90er Jahren Ärzte wegen möglicher Herz-/Kreislaufschäden durch den Appetitzügler, der in Deutschland nie zugelassen war, in der Schweiz Ende der 90er Jahre vom Markt genommen wurde und in Italien und Spanien im Jahr 2003.

Auch die Wirksamkeit des Produktes stand in Frage, von dem in 33 Jahren 155 Millionen Schachteln weltweit verkauft wurden - in Frankreich übernahm die Krankenkasse die Kosten. Dennoch wurden die Warnungen erst 2009 Ernst genommen, als eine couragierte Ärztin medienwirksam Alarm schlug - offenbar genoss "Mediator" lange den Schutz von Lobbyisten. Auch soll es Drohungen gegen Ärzte und Journalisten gegeben haben für den Fall, dass sie die Bedenken gegen das Medikament veröffentlichten.

Der Skandal deckte ein verschlungenes Netz zwischen Pharmaherstellern und Kontrolleuren und brachte auch die französische Arzneimittel-Kontrollbehörde stark unter Beschuss. Dennoch wird es beim Prozess um diesen Interessenskonflikte nur am Rande gehen.