Appell: Intensivmediziner fordern "noch schärferen Lockdown"

30.11.2020, 11:17 Uhr

Die hohe Auslastung der Kliniken treibt das Gesundheitspersonal aktuell an die Belastungsgrenze.  © Waltraud Grubitzsch, dpa

Trotz des Lockdowns sind die Infektionszahlen in Deutschland nach wie vor hoch. Deswegen beschloss die Bundesregierung zuletzt weitere deutliche Beschränkungen, vor allem was private Treffen angeht. Doch viele Bürger nehmen die Beschränkungen nicht ernst; das ärgert auch Intensivmediziner. "Wir sind in einer absoluten Ausnahmesituation, die wir in der Geschichte der Intensivmedizin so noch nie erlebt haben", so der Sprecher des Arbeitskreises Intensivmedizin der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin (DGAI), Gernot Marx.

Die Corona-Pandemie führe ihn und seine Kolleginnen und Kollegen in diesen Tagen an die Belastungsgrenze. Allein in seiner Klinik, der Klinik für Operative Intensivmedizin an der Uniklinik Aachen, müssten er und sein Team zurzeit pro Tag bis zu vier neue Covid-19-Patienten aufnehmen und versorgen.

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Pro Krankenhaus sind im deutschlandweiten Durchschnitt aktuell nur noch drei Intensivbetten frei. Ewig könne das nicht so weitergehen, schreibt die DGAI in ihrer Pressemitteilung. An den Betten in der Uniklinik Aachen würden inzwischen bei neun Patienten Systeme zum Ersatz der Lungenfunktion, sogenannte ECMO-Pumpen laufen. Die Extracorporale Membranoxygenierung (ECMO) ist nach der Sauerstoff-Therapie und der Beatmung medizinisch die letzte Möglichkeit, einen schwerkranken Covid-19-Patienten zu retten: "Noch viel mehr Geräte werden wir allein aus personellen Gründen nicht mehr betreiben können", warnt Marx.

Die deutsche Intensivmedizin, so Marx weiter, sei "nicht überfordert", mittlerweile aber sicherlich "bis an die Grenzen des Machbaren gefordert." Marx selbst ist seit mehr als 20 Jahren in der Intensivmedizin tätig. Er warnt aber nicht nur vor zu wenig Intensivplätzen, auch das Personal sei knapp. "Im Sinne der Rettung von Leben und der Intensivmedizin hätten die zuletzt vereinbarten Lockdown-Maßnahmen noch schärfer ausfallen können", so seine Ansicht.

Die erste Corona-Welle im Frühjahr, zwischendurch die Aufarbeitung aller zurückgestellten Operationen und jetzt der zweite Ansturm von Covid-19-Patienten: Viele Mitarbeiter auf den Intensivstationen hätten psychisch wie physisch kaum noch Reserven. Durch Krankheiten und Ausfälle hätten sich die Reihen erkennbar gelichtet, unter den Pflegekräften wie auch bei den Ärztinnen und Ärzten.



Marx appelliert deswegen direkt an die Bevölkerung: "Die Corona-Krise ist längst noch nicht überstanden! Es geht noch weiter: Im Moment haben wir auf den Intensivstationen gemischt junge und alte Patienten liegen. In den kommenden Wochen werden wir aber wieder vor allem ältere Menschen aufnehmen müssen."

Jede Gruppe, die sich im Augenblick nicht treffe, trage vielleicht dazu bei, dass ein paar Menschen mehr überleben könnten. "Wir müssen insgesamt dafür sorgen, dass wir so wenige Covid-19-Kranke haben, wie irgendwie möglich. Denn diese Krankheit mit ihren ganzen Belastungen und Spätfolgen möchte niemand haben."