Kindesmissbrauch: Dunkle Wolken ziehen über London auf

23.12.2014, 16:51 Uhr

Kaum eine Woche vergeht in Großbritannien, in der nicht pädophile Untaten bekanntwerden. Die jetzt eingeleitete Untersuchung wurde durch einen Mann in Gang gesetzt, der sich bei der BBC gemeldet hatte. Er gab an, dass er als siebenjähriger Junge 1975 zum ersten Mal von den Mitgliedern einer pädophilen Organisation missbraucht wurde. Mit gleichaltrigen Kindern wurde er regelmäßig zu Sexorgien in den exklusiven Apartmentblock „Dolphin Square“ im Londoner Regierungsviertel Westminster chauffiert. Andere Vergewaltigungen fanden in Kasernen statt.

Die Londoner Polizei überprüfte die Vorwürfe und fand sie substanziell genug, um die „Operation Midland“ zu starten, für die zwölf Beamte eingesetzt werden. Sie ist im Rahmen umfangreicher Ermittlungen zu historischen sexuellen Verbrechen an Kindern zu sehen, die die Regierung aufgrund einer Fülle aktueller Vorfälle angeordnet hat. Bislang leidet das Vorhaben aber unter dem Rücktritt der beiden Frauen, die die regierungsamtliche Untersuchung leiten sollten.

Werbung
Werbung

Report unterdrückt?

Lordrichterin Butler-Sloss und die Oberbürgermeisterin der City of London, Fiona Woolf, konnten ihr Amt nicht antreten, weil beide gesellschaftliche Beziehungen zu dem damaligen Generalstaatsanwalt und dem Innenminister unterhielten, denen vorgeworfen wird, dass sie 1984 einen Report über hochrangige Pädophile unterdrückt hätten.

Die Regierungsinitiative für den „robusteren Schutz der Kinder“ wurde von dem Entsetzen und der Empörung der Briten über Jimmy Savile befeuert. Der 2011 verstorbene Entertainer war der Liebling der Nation und erreichte mit seiner Sendung „Jim macht’s möglich“ traumhafte Einschaltquoten. In dem Programm erfüllte er geheime Kinderwünsche, wie die Begegnung mit Showgrößen. Dabei sammelte er über 50 Millionen Euro für Kinderhilfswerke und andere wohltätige Zwecke. Er wurde dafür zum Ritter geschlagen.

Jimmy Savile

Savile, der sich mit seinem strohblond gefärbten Haar und Glupschaugen als fröhlicher Clown gab, entpuppte sich nach seinem Tod als heimtückischer Kinderschänder, der sich nach den Sendungen regelmäßig an seinen jungen Gästen verging. Nachdem sich Hunderte seiner Opfer bei der Polizei meldeten, sprach diese von einem „raubtierhaften Sexualtäter“. Schon zu Saviles Lebzeiten wurde über seine Veranlagung gemunkelt, doch den Opfern wurde nicht geglaubt.

Auch Ralf Harris galt als der sprichwörtlich „gute Onkel“ in den Kindersendungen des Fernsehens. Er war so anerkannt und beliebt, dass der Musiker, Sänger und Amateurmaler sogar die Queen malen durfte. Nun büßt der 84-Jährige eine lange Gefängnisstrafe ab, weil er sich an einem Dutzend Kindern vergriffen hatte. Ihre Popularität nutzten auch die BBC-Moderatoren Chris Denning und Stuart Hall für sexuellen Missbrauch. Wie der mächtige und einflussreiche Publizist Max Clifford sind sie nun wegen ihrer Verbrechen hinter Gittern. Eine hohe Strafe erhielt diesen Monat auch ein Chirurg an der Kinderklinik von Oxford, der sich laut Gericht an seinen krebskranken Patienten verging.

Ausbeutung in Kinderheimen

Die systematische Brutalisierung und sexuelle Ausbeutung von Kindern in 40 walisischen Heimen wurde bereits 1996 durch eine höchstrichterliche Untersuchung aufgedeckt. Aber nun melden sich ehemalige Opfer, die darüber klagen, dass viele der Täter straflos davonkamen.

Die Untersuchung hätte sich zudem nur mit den Vorfällen in den Heimen beschäftigt und Vergewaltigungen in Hotels, Privatwohnungen und sogar auf Golfplätzen außer Acht gelassen. Die Kinderheime versorgten pädophile Ringe mit Opfern, die an Wochenenden für Orgien in Hotels ausgeliehen wurden.

Diesen Sommer stöhnte die Nation unter den Vorfällen in Rotherham. In der nordenglischen Stadt wurden zwischen 1997 und 2013 an die 1400 Kinder aus sozialschwachen Familien von einer Schlepperbande zu Sexsklaven gemacht. Bei den seltenen Gelegenheiten, bei denen sich einige Opfer bei der Polizei beklagten, wurde ihnen nicht geglaubt. Ihre Leiden waren so furchtbar, dass die schottische Untersuchungsrichterin Professor Alexis Jay bei der Schilderung mit den Tränen kämpfte. Hohen städtischen Beamten und den Polizeichef kostete ihre Nachlässigkeit das Amt.

Innenministerin Theresa May, die eine Reihe von schonungslosen Untersuchungen angeordnet hat, sorgt sich, dass die bereits ans Licht gekommenen Übergriffe an Kindern „nur die Spitze des Eisbergs“ seien. Ray McMorrow, der Experte einer Kinderschutzorganisation, fürchtet, dass sich der Missbrauch von Kindern zu einer „Landplage“ entwickelt hat.