Modern oder nostalgisch: Streit um Heidi in 3D-Optik

1.4.2015, 08:48 Uhr

Was kann die neue Heidi, was die alte nicht auch konnte? Nichts eigentlich. Sie ist immer noch das aufgeweckte, fröhliche Alpenmädchen, das mit seiner lieben, unbekümmerten Art den brummigen Alm-Öhi verzaubert, mit dem Geißenpeter und den Ziegen umherstreift und unter dem tadelnden Blick von Fräulein Rottenmeier die gehbehinderte Klara erfreut. Doch die Kultfigur, an deren Schöpfung der spätere Oscarpreisträger Hayao Miyazaki beteiligt war, ist mittlerweile über 40 Jahre alt. Zu alt für die Kinder von heute, so scheint es. Eine neue «Heidi» soll die jungen Zuschauer begeistern - mit grünerem Gras, mächtigeren Bergen und Figuren in plastischer 3D-Optik. Am Ostermontag (6. April) startet die Serie um 8.00 Uhr im ZDF, ab 11. April dann auch im KiKA.

Viele Erwachsene sind entsetzt: Die Helden ihrer Kindheit, entthront! Künstlichkeit statt Kunst. Pixel statt Pinsel. «Biene Maja» und «Wickie» ereilte dieses Schicksal bereits, «Nils Holgersson» ergeht es bald ähnlich. «Ohne Charme», «platt», «fantasietötend», so Kommentare zu den neuen Serien im Internet. Manche befürchten gar das Ende klassischer Zeichentrickfilme. Sogar der Titelsong wurde neu aufgelegt. Statt Jodeln mit «Gitti und Erika» gibt es eine verkürzte Version des österreichischen Alpen-Rockers Andreas Gabalier.

Genau recherchiert

Für Patrick Elmendorff, Geschäftsführer von Studio 100 Media in Deutschland, war die moderne Heidi nach den erfolgreichen Neustarts von «Biene Maja» und «Wickie» der logische nächste Schritt, besitzt das Unternehmen doch die Rechte an den in vielen Ländern beliebten Serien. «Ich glaube, es war an der Zeit», sagt der Münchner Produzent und verweist auf die Sehgewohnheiten heutiger Kinder: Schneller, lustiger, mehr Aktion. «Wickie und Heidi sind in Deutschland Kult, aber im Ausland waren sie nur noch schwer zu verkaufen, weil das nicht mehr den Qualitätsvorstellungen entspricht.» Die neue «Heidi» dagegen sei schon in knapp 100 Länder verkauft.

Weichen gezeichnete Trickfilme nun ganz den plastisch-rundlichen 3D-Animationen? Der künstlerische Leiter des Internationalen Trickfilmfestivals in Stuttgart, Ulrich Wegenast, ist überzeugt: «Der Zeichentrickfilm in 2D wird nicht aussterben. Ich denke sogar, dass es momentan eine Renaissance gibt.» Kurzfilm-Macher experimentierten mit flächigen Zeichnungen, moderner Computertechnik und 3D-Optik. «Da wird munter gemischt», sagt Wegenast, dessen Festival vom 5. bis 10. Mai eine große Bandbreite an Animationsfilmen präsentieren wird.

Für ihr Alpenmärchen nach den Büchern von Johanna Spyri hatten die japanischen Animefilmer Myazaki und Isao Takahata genau recherchiert. In Europa hatten sie die Schweizer Berge, Frankfurter Bürgerhäuser und den Hauptbahnhof skizziert und zuhause sorgfältig nachgezeichnet. Und trotzdem: «Das ist vom Zeichnerischen her Massenproduktion gewesen», sagt Jessica Niebel, die 2008 am Deutschen Filmmuseum in Frankfurt am Main eine Anime-Ausstellung kuratiert hat. Sichtbar sei dies etwa an den ruckartigen Bewegungen der Figuren. Warum viele Erwachsene an den alten Folgen hängen, versteht sie trotzdem. «Wir durften nicht übermäßig viel gucken», erinnert sich Niebel. «Heidi» oder «Wickie» waren Ausnahmen. «Das war umso wichtiger, weil es fast schon Festcharakter hatte.»

Langsames Erzähltempo

Doch Nostalgie hin oder her - Kinder sehen die neuen Serien gern. «Die Einschaltquoten sind sehr gut», sagt ZDF-Redakteurin Susanne Rieschel. Als 2009 die letzten Folgen der alten «Biene Maja» im KiKA liefen, schalteten durchschnittlich 24,5 Prozent der 3- bis 13-Jährigen ein. Beim Remake vier Jahre später waren es 31,3 Prozent. Vor allem Kinder zwischen 10 und 13 Jahren fühlten sich von dem neuen 3D-Look stärker angesprochen.

Maya Götz, Leiterin des Internationalen Zentralinstituts für das Jugend- und Bildungsfernsehen (IZI) in München, findet die Neuauflage gut. «Sie ist zügiger erzählt», sagt sie etwa über «Biene Maja». Als Kind habe sie sich bei «Wickie» manchmal gelangweilt in Phasen, in denen länger nichts passierte. Früher seien Kinder dazu eher bereit gewesen, schließlich habe es kein Alternativprogramm gegeben. Heute schalteten sie einfach um. Langsames Erzähltempo habe aber auch sein Gutes: «Vielleicht ist das ein schöner und wichtiger Teil von Fernsehrezeption, sich mal gepflegt zu langweilen», findet die Medienpädagogin. «Das ist ein gezielter Bruch, wo sich das Gehirn ausspannen kann, bevor wieder etwas Spannendes kommt.»

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Verständnis für Kindheitsnostalgiker hat Götz trotzdem nur bedingt. «Wenn meine eigene Kindheit 30 Jahre zurückliegt, kann Wickie eine besondere Bedeutung für mich haben», findet sie. «Aber nur weil ich mich an eine bestimmte Ästhetik gewöhnt habe, darf das nicht der Grund sein, es biedermeierlich für alle Zeiten zu bewahren.»