Babi Jar: Das schlimmste aller Massaker

29.9.2016, 08:26 Uhr

Blick auf eines der Mahnmale, die in der ukrainischen Hauptstadt an das Massaker von Babi Jar vor 75 Jahren erinnern.

Doch, es gibt Fotos von diesen Taten. Fotos, die so grauenhaft, so obszön sind, dass man sie aber schwerlich zeigen kann, auch weil sie die Opfer noch einmal verletzten. Deshalb sind solche Bilder hier nicht zu sehen, sondern ein Foto vom Mahnmal, das in der ukrainischen Metropole Kiew an jenes Massaker vor 75 Jahren erinnert.

Die Nationalsozialisten hatten am 21. Juni 1941 mit der "Operation Barbarossa", dem Überfall auf den kurzfristigen Kriegs-Partner Sowjetunion, ihren Vielfronten-Feldzug auch nach Osten ausgeweitet. Und kamen dort recht rasch voran. Am 19. September hatte die Wehrmacht Kiew erreicht, die Hauptstadt der damaligen Sowjetrepublik Ukraine.

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Und die deutschen Truppen hatten im Marschgepäck auch den Befehl aus der Reichskanzlei Adolf Hitlers, Ernst zu machen mit dem längst ausgerufenen Kampf gegen den "jüdischen Bolschewismus". Das gezielte Töten vor allem von Juden war lange schon geplant — in Kiew warteten die Nazis auf eine passende Gelegenheit.

Begründung frei Haus

Die wurde ihnen von den Sowjets quasi frei Haus geliefert: Im Stadtgebiet von Kiew waren offenbar noch vor dem Abzug der Russen mehrere Sprengsätze deponiert worden, die danach hochgingen und hohe Verluste unter den deutschen Besatzern verursachten — die darauf über "Vergeltungsmaßnahmen" berieten. Denn, so beschreibt der Historiker Timothy Snyder die konstruierte Argumentation der Nazis, "wenn die Sowjets Deutsche angegriffen hatten, dann waren dafür die Juden verantwortlich".

Das Ergebnis war die größte einzelne Mord-Aktion an Juden überhaupt. Sie begann mit einem relativ harmlos klingenden Text, der auf vielen Plakaten in Kiew zu lesen war: "Sämtliche Juden der Stadt Kiew haben sich am Montag, dem 29. September 1941, bis acht Uhr einzufinden", stand auf den Aushängen.

Wertsachen mitzubringen

Mitzubringen seien Papiere, Geld, Wertsachen, Kleidung — es ging bei der Liquidation der Juden nicht zuletzt auch um Bereicherung, sprich Raub. Wer sich widersetze, habe mit Erschießung zu rechnen. In der Stadt lebten von einst über 200.000 noch rund 50.000 Juden; die Männer dienten oft als Soldaten der Roten Armee, andere waren geflohen.

Schon früh am Morgen sammelten sich die ersten der Gebliebenen, vor allem Ältere, Kinder und Frauen; es kamen mehr, als die Besatzer erwartet hatten — weil manche dachten, wer zuerst da sei, bekäme die besten Plätze in den Zügen. Da am nächsten Tag Jom Kippur bevorstand, der jüdische Versöhnungstag, machten sich viele Hoffnung, dass ihnen schon nichts geschehen werde.

Doch vom Sammelpunkt aus wurde die Menge erst einmal unter Geleit zum Stadtrand von Kiew getrieben, in die "Weiberschlucht" (Babi Jar). Dort mussten sie sich ausziehen und wurden in Zehnergruppen in die Schlucht geführt, wo teils SS-Männer, teils auch Wachpolizisten aus Deutschland auf die Todeskandidaten warteten, die Maschinenpistolen im Anschlag.

Und sie praktizierten die "Sardinenmethode", wie ihr Erfinder Friedrich Jeckeln dieses Verfahren nannte: Die Opfer mussten sich erst einmal ordentlich in Reihen hinlegen, bevor sie erschossen wurden. Kurt Werner, im SS-Sonderkommando 4A einer der Untergebenen von Jeckeln, sagte bei einem der Nürnberger Folgeprozesse nach dem Krieg aus, was dann vor sich ging: „Die nachfolgenden Juden mussten sich auf die Leichen der zuvor erschossenen Juden legen. Die Schützen standen jeweils hinter den Juden und haben diese mit Genickschüssen getötet.“

Auch Hitlers "Reichsführer SS" Heinrich Himmler, der Jeckeln zum effektiveren Töten gedrängt hatte, sah sich dessen Methode bei einem weiteren Massaker bei Minsk an, "in der Pose eines sachlich interessierten Zuschauers", berichtete ein Augenzeuge. Himmler stand neben der Grube, sah, dass ein Jude noch lebte, und kommandierte: "Schießen Sie auf den!" Das Ganze sei für Himmler "praktisch ein Schauspiel" gewesen.

Danach ein Trinkgelage

Jeckeln selbst feierte die für ihn erfolgreiche Massenmord-Premiere in der Schlucht von Babi Jar mit seinen Helfern: Er lud "die Ordnungspolizisten, die bei den Vorbereitungen geholfen hatten, zu einem Trinkgelage ein, bei dem er ihnen die politische Logik des Mordens erklärte", so Timothy Snyder.

Diese Freude am Töten, dieses Feiern von Massakern beschrieb intensiv auch Klaus Theweleit, zuletzt in seinem Buch "Das Lachen der Täter". Der Autor Jonathan Littell machte diese Barbarei zum Thema seines umstrittenen, weil exzessiv ins brutale Detail gehenden Romans "Die Wohlgesinnten" — darin spielen auch das Massaker von Babi Jar und die sich daran anschließenden Taten eine Rolle.

Als sich nach der deutschen Niederlage von Stalingrad die Rückkehr der Sowjets abzeichnete, starteten die Nazis die "Ent-Erdungsaktion", um die Spuren ihres Wütens zu löschen: KZ-Häftlinge mussten die Leichen ausgraben und auf benzingetränkten Bahnschwellen verbrennen.