Bamf-Chef Sommer: "Wir haben immer noch Personalmangel"

14.5.2019, 17:27 Uhr

NZ: Monatelang war das Bamf negativ in den Schlagzeilen. Sie haben es in kurzer Zeit geschafft, dass es aus den Schlagzeilen kam – bis auf wenige Ausnahmen. Wie ging das?

Hans-Eckhard Sommer: Mir war es ein besonderes Anliegen, von vornherein einen neuen, kooperativen Führungsstil zu implementieren und offen auf meine Mitarbeiter zuzugehen – egal, ob Abteilungsleiter, Referent oder Sachbearbeiter. Wir haben aber auch an den Strukturen einiges verändert. Ich habe zudem mit den beiden Personalräten ein gutes Auskommen gefunden, um eine Führungskultur zu etablieren, die den Konsens zum Ziel hat.

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NZ: War es so einfach, das extrem belastete Verhältnis zum doch etwas schwierigen Personalrat zu entspannen?

Sommer: Als die beiden Personalräte gemerkt haben, dass ich ein offenes Zugehen auf die Mitarbeiter praktiziere, ist mir von ihnen große Sympathie entgegengebracht worden. Und so konnten wir die meisten Probleme – es waren rund 50 gerichtliche Klagen anhängig – lösen. Alle Klagen wurden zurückgezogen.

NZ: Die Spracherkennungs-Software und das Handyauslesen wurden von Ihren Vorgängern eingeführt. Wie sind die Erfolge?

Sommer: In 98 Prozent der Fälle werden die Angaben zur Herkunftsregion durch die Spracherkennungssoftware bestätigt. Diese haben wir für den arabischen Sprachraum entwickelt. Handydaten verwenden wir nur dann, wenn wir keine anderen Mittel zur Klärung der Frage haben, woher ein Asylbewerber kommt. Die Daten liefern wichtige Anhaltspunkte für die Entscheider, die bei der Anhörung gezielter nachfragen können.

NZ: Welche Möglichkeiten hat das Bundesamt für Flüchtlinge und Migration, islamistische Gefährder zu erkennen?

Sommer: Dafür sind zunächst die Nachrichtendienste zuständig: Bundesnachrichtendienst, Verfassungsschutz und das Bundeskriminalamt, mit denen wir eng zusammenarbeiten. Wir sind als Asylbehörde allerdings diejenigen, die häufig mit entsprechenden Personen den Erstkontakt haben. Sofern wir Anhaltspunkte dafür haben, die auf einen möglichen Zusammenhang mit Extremismus hindeuten, melden wir diese Fälle sofort den Diensten und an das Bundeskriminalamt.

NZ: Die Kooperation lief aber nicht immer so reibungslos ab.

Sommer: Es war ein längerer Weg dahin, dass sich das Bamf auch als Sicherheitsbehörde versteht. Das ist aber mittlerweile so, und insofern ist es für uns selbstverständlich, dass wir im Interesse der Sicherheit Deutschlands aufs Engste mit den Sicherheitsbehörden von Bund und Ländern zusammenarbeiten.

NZ: Das Bamf hatte jahrelang zu wenig Personal, dann massiv Personal aufgebaut. Dieses und nächstes Jahr müssen 620.000 Asylverfahren überprüft werden. Reicht dafür das Personal?

Sommer: Wir haben hier in der Zentrale immer noch einen eklatanten Personalmangel. Das hat aber nichts mit den Widerrufsverfahren zu tun, sondern damit, dass wir 2015 bis 2017 sehr viele Mitarbeiter in die Fläche geschickt haben, um über Asylanträge zu entscheiden. Viele Referate, besonders in der Nürnberger Zentrale, sind unterbesetzt. Für 2019 haben wir 300 zusätzliche Stellen vom Bund bewilligt bekommen, aktuell haben wir 8200 Stellen, von denen noch über 700 unbesetzt sind.

NZ: Es ist offenbar ganz schön schwierig, geeignete Bewerber zu finden.

Sommer: So ist es, es ist eine Herausforderung, Mitarbeiter zu finden, die exakt zu uns passen, denn es gibt ja niemanden auf dem Arbeitsmarkt, der beispielsweise Asylentscheider gelernt hat. Das lernt man erst bei uns. Es ist derzeit im gesamten öffentlichen Dienst nicht einfach, gut qualifizierte Mitarbeiter zu bekommen.

NZ: Kürzlich haben Sie dann doch für Schlagzeilen gesorgt, als Sie die "selbsternannten" Flüchtlingsräte kritisiert haben. Der Bayerische Flüchtlingsrat kontert: Er sei den Interessen der Flüchtlinge verpflichtet und nicht dem übersteigerten Abschiebeinteresse des Bamf-Präsidenten. Es sei ein Unding in einer Demokratie, Menschenrechtsorganisationen zu bekämpfen. Was sagen Sie dazu?

Sommer: Ich habe mich in keiner Weise kritisch zu sämtlichen Unterstützer-Organisationen geäußert. Das Wort selbsternannt habe ich verwendet, weil durch die Bezeichnung Räte der Eindruck erweckt wird, als hätten sie ein offizielles Mandat. Das ist aber nicht der Fall. Es handelt sich um Interessengruppen, die einen erweiterten Flüchtlingsbegriff vertreten, der nicht dem geltenden Recht entspricht. Ein abgelehnter Asylbewerber ist in diesem Sinne kein Flüchtling. Gerade im Bereich der Rückführungen führt das zu Schwierigkeiten bei der Akzeptanz des deutschen und europäischen Rechts.

NZ: Sie galten von Anfang an als "harter Hund" in Sachen Asylpolitik. Aber welche Möglichkeiten hat ein Bamf-Chef, Abschiebungen abgelehnter Asylbewerber zu beschleunigen?

Sommer: In der Tat ist das Bundesamt nur in begrenztem Umfang für Abschiebungen zuständig. Wenn ich darüber spreche, beziehe ich mich auch auf meine Erfahrungen, die ich bis vor einem Jahr in meiner Funktion im bayerischen Innenministerium gemacht habe, wo ich für Abschiebungen zuständig war. Das Bamf ist eng eingebunden bei Abschiebungen in Dublin-Fällen, die sogenannten Dublin-Überstellungen. In Zusammenarbeit mit den Ausländerbehörden ist das Bundesamt bis zum Tag der Abschiebung zuständig dafür, die Voraussetzungen für erfolgreiche Überstellungen zu schaffen. Im Übrigen sind wir dabei, Schritt für Schritt von der Bundespolizei einen Teil der Pass-Ersatzpapier-Beschaffung auch für Abschiebungen in die Heimatländer zu übernehmen. Aber ansonsten sind für Abschiebungen Ausländerbehörden und die Landespolizeien zuständig.

NZ: Welche Handhabe hat das Bamf, um das Dublin-System wieder zum Laufen zu bringen? Athen hat ja zuletzt 97 Prozent der Übernahmeersuchen aus der Bundesrepublik abgelehnt.

Sommer: Beim Dublin-Verfahren ist Griechenland ein besonderer Fall. Das heißt aber nicht, dass das System als Ganzes nicht mehr funktioniert. Ganz im Gegenteil: Wir haben hier erhebliche Verbesserungen erzielt. 2018 haben wir 55.000 Übernahmeersuchen an andere Mitgliedsstaaten erstellt, in 37.000 Fällen wurde zugestimmt. Das Einzige, womit wir nicht zufrieden sind, ist die Überstellungsquote von 25 Prozent: 9200 Personen wurden überstellt. Das ist immer noch nicht ausreichend, aber schon eine Verbesserung gegenüber den Vorjahren. 2016 lag die Quote bei nur 14 Prozent, wir steigern uns also permanent.

NZ: Was ist der Grund für die niedrigen Quoten?

Sommer: Das liegt jetzt nur noch in geringem Umfang am Bamf. Ursache sind vor allem die rechtlichen Umstände, unter denen Ausländerbehörden die Überstellungen vollziehen müssen. Der Bundesgesetzgeber versucht zurzeit, dem entgegenzuwirken, indem insbesondere die Möglichkeit der Abschiebungshaft erweitert wird. Aktuell ist es eine schwierige Aufgabe für die Polizisten, oftmals höchst belastend und frustrierend. Das belegen auch die Zahlen: 2018 sind über 30.000 Überstellungen gescheitert.

"Der Eindruck täuscht"

NZ: Sie haben das neue Geordnete-Rückkehr-Gesetz angesprochen, das Abschiebungen erleichtern soll. Man hat oft den Eindruck, dass es bei Abschiebungen die Falschen trifft: Gut Integrierte oder Kranke müssen gehen, diejenigen aus sicheren Herkunftsländern können oft nicht abgeschoben werden, auch Kriminelle nicht.

Sommer: Dieser Eindruck täuscht. Er entsteht dadurch, dass nahezu ausschließlich über solche Fälle berichtet wird. Die große Mehrheit – wir hatten 2018 über 24.000 Abschiebungen – sind unauffällige Fälle, über die es sich offenbar nicht zu berichten lohnt.

NZ: Kann das Bamf demnächst durch die Pass-Ersatzpapiere dazu beitragen, Abschiebungen zu beschleunigen?

Sommer: Bislang sind vor allem die Länder dafür zuständig mit hochspezialisierten Mitarbeitern. Die Bundespolizei ist für bestimmte Herkunftsländer zuständig, diese Aufgabe werden wir Schritt für Schritt übernehmen. Passersatzpapiere sind eine von mehreren Voraussetzungen für Abschiebungen. Sobald diese Papiere vorliegen, muss man innerhalb der Gültigkeit – die oft nicht allzu lang ist – abschieben. Auch viele weitere Dinge sind zu berücksichtigen wie Reisetauglichkeit oder Flugtermine.

NZ: Den Spurwechsel von abgelehnten Asylbewerbern lehnen Sie ab. Warum halten Sie es für sinnvoll, dass gut Integrierte, die für den deutschen Arbeitsmarkt nützlich wären, abgeschoben werden? Die mögliche Sogwirkung allein erscheint der Wirtschaft zu kurz gegriffen...

Sommer: Deutschland hat Anspruch darauf, die Zuwanderung selbst zu steuern und zu begrenzen. Eine Zuwanderung können wir aber nicht steuern, wenn wir unkontrollierte Migration zulassen und dann unseren Arbeitskräftebedarf daraus bedienen. Das Fachkräfteeinwanderungsgesetz wird unsere Möglichkeiten in sinnvoller und maßvoller Art erweitern. Alle Asylbewerber – auch abgelehnte – sind eng mit ihrer Heimat etwa über elektronische Kommunikationsmittel vernetzt. Mit einem Spurwechsel würden umgehend Signale in die Herkunftsländer gesendet werden, wonach es sich lohnt, illegal hierherzukommen und dann hier arbeiten und bleiben zu können. Das Spannungsfeld sehe ich schon. Aber wir haben ja auch Ausnahmeregelungen, beispielsweise die 3+2-Regelung.