Botschaft zum 11. September: „Mehr Liebe, weniger Hass“

11.9.2011, 09:00 Uhr

Die Durchsage in der U-Bahn wiederholt sich alle zwei Minuten. „Melden Sie Verdächtiges dem Personal oder der Polizei. Rucksäcke und große Taschen können durchsucht werden.“ Und als der Wagen der Subway-Linie E die „World Trade Center“-Haltestelle erreicht, wird endgültig klar, dass die Schlagzeile der New Yorker Morgenzeitung AM zutrifft: „Die Stadt befindet sich im Belagerungszustand.“

Beim Rundgang um Ground Zero steht alle fünf Meter ein Cop, an Kreuzungen werden an Checkpoints Lieferwagen stichprobenartig kontrolliert. Wenn morgen die Millionen-Metropole am zehnten Jahrestag der 9/11-Attacken hier den Opfern gedenkt, ist die Furcht vor einem weiteren Terroranschlag ausgerechnet an diesem Datum deutlich mit Händen zu greifen – zumal Sicherheitsbehörden seit Donnerstagabend von „glaubhaften Informationen“ über eine neuerliche Bedrohung für New York und Washington sprechen.

Polizei-Chef Raymond Kelly hat deshalb auch jene schnelle Eingreif-Abteilungen in Marsch gesetzt, die nach den Terroranschlägen von Mumbai im Jahr 2008 speziell dafür trainiert wurden, auf kleine Zellen von Extremisten zu reagieren, die sich mit Waffengewalt Zugang zu Hotels oder öffentlichen Gebäuden verschaffen könnten. „Wir wären dumm anzunehmen, dass nur Ground Zero ein Ziel ist“, sagt Kelly.

Eines dieser Teams wird nahe des UN-Hochhauses am East River stationiert, das ebenfalls als gefährdet gilt. Andere Einheiten sollen am Times Square bereitstehen. Doch die geballte Staatsmacht zeigt sich, mit Scharfschützen und Messgeräten für Radioaktivität, vor allem im Südzipfel Manhattans.

Stahl aus den Trümmern

Taucher suchten gestern sogar den Rumpf des Kriegsschiffs „New York“ ab, nachdem dieses vor Manhattan Anker warf – zum Bau des Schiffes wurde Stahl verwendet, der aus den Trümmern des früheren World Trade Centers geborgen wurde.

Gleichzeitig bemühen sich die Menschen im „Big Apple“ um so viel Normalität wie möglich. In den Warenhäusern wird gedrängelt, der nach den Attacken jahrelang leidende Tourismus verzeichnet neue Rekordzahlen: Fast 49 Millionen Menschen besuchten New York im letzten Jahr.

An der Gedenkwand für die 343 Feuerwehrleute, die am 11. September 2001 hier ihr Leben ließen, haben Unbekannte frische Blumensträuße und Grußkarten niedergelegt: „Für unsere Helden.“ Doch für jene, die auch zehn Jahre später noch einmal ihrem Mitgefühl Ausdruck geben wollen, ist die „St. Paul’s“-Kapelle gegenüber der Mega-Baustelle zum zentralen Treffpunkt geworden. Freiwillige geben dort weiße Bänder aus, die Besucher beschriften und dann an den schmiedeeisernen Zäunen und Bäumen rund um das Gotteshaus befestigen. „Mehr Liebe, weniger Hass“ lautet eine der handgeschriebenen Botschaften, die im Wind gegenüber Gate 3 H flattert, hinter dem ein gewaltiger Kran Baulasten in die Höhe zieht.

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Weniger Emotionen

Auch „Heike aus Germany“ hat sich an der Kapelle, die nach 9/11 wochenlang Rettungskräfte beherbergte und versorgte, auf einem der vielen „Ribbons of Remembrance“ verewigt. Doch was auffällt ist: Kaum ein Besucher zeigt noch jene Emotionen, die in den ersten Jahren nach den Attacken so unübersehbar waren. Die tragischen Ereignisse scheinen für viele längst zum zurückliegenden Teil der amerikanischen Geschichte geworden zu sein.



Nur in der Ausstellung, die einen Vorgeschmack auf das für 2012 geplante Museum geben soll, wird der Gast noch einmal so hautnah mit dem Geschehenen konfrontiert, dass die Gespräche verstummen und Augen feucht werden. Hinter einer Glasscheibe stehen ein Paar schwarze Lederschuhe, eine mit Staub bedeckte Brieftasche und ein Signalgeber – das, was von Feuerwehrkommandant Gerard Barbara nach dem Einsturz der Türme gefunden wurde. Am Eingang zur Ausstellung beobachten zwei Polizisten argwöhnisch jeden, der die Räume betritt. New York kurz vor dem 11. September 2011 — mit neuem Gesicht, aber alten Ängsten.