Deponien von gestern könnten Rohstoffquellen der Zukunft werden

23.11.2018, 18:33 Uhr

Bevor es die Müllverbrennung gab und sich die Idee des Recyclings durchsetzte, haben die Deutschen über Jahrzehnte hinweg nämlich alles, was sie nicht mehr brauchten, erst in die Tonne und dann auf die Deponie geworfen: Leere Büchsen, Flaschen und Joghurtbecher, kaputte Elektrogeräte, Zeitungen von gestern, Bauschutt, Altreifen. Dazu kamen Industrie- und Gewerbeabfälle. Allein auf der Nürnberger Nord- und der Süd-Deponie wurden seit 1954 rund 3,4 Millionen Tonnen Abfall abgeladen.

Und Müll hat es mitunter in sich: Laut einem Bericht der Süddeutschen Zeitung verschwinden 4,5 Prozent der weltweiten Produktion des seltenen Metalls Tantal im deutschen Hausmüll. In den Müllbergen der USA sollen schon jetzt drei Weltjahresproduktionen Kupfer herumliegen. Womöglich könnten die Müllkippen von gestern also zu den Rohstoffminen der Zukunft werden.

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Die Idee, auf der Deponie nach verwertbaren Stoffen zu suchen, nennt sich "Landfill Mining". Dafür gibt es sogar schon einen wissenschaftlichen Leitfaden mit knapp 200 Seiten, der im Jahr 2016 nach einem Gemeinschaftsprojekt mehrerer Wissenschaftler, Institute, Hochschulen und Abfallentsorger in Nordrhein-Westfalen vorgestellt wurde.

Einer der daran beteiligten Professoren ist Daniel Goldmann von der TU Clausthal. Er begleitete die Arbeit aus Forschersicht, als im Kreis Minden-Lübbecke ab 2013 eine Materialprobe von rund 25 000 Tonnen Müll auf ihre Zusammensetzung untersucht wurde. Mit Schüttelsieben, Magneten und zum Teil in Handarbeit wurde wieder getrennt, was davor jahrzehntelang zusammengeworfen worden war.

Risiken und Platz sind wichtiger

Fazit des Professors: Goldgruben sind Mülldeponien nicht. Seltene Erden wie Coltan, die heute für die Handyproduktion benötigt werden, waren in den Zeiten, in denen Abfall deponiert wurde, noch nicht sonderlich verbreitet und sind heute deswegen kaum im alten Müll zu finden. Dafür gibt es darin viel brennbares Material wie Kunststoffe, Textilien, Holzreste, Papier und Kartonagen. Daraus, so Goldmann, könne man durch Verbrennung zumindest Energie gewinnen und auf diese Weise andere Brennstoffe wie Öl sparen.

Auf Metalle sei man zwar schon gestoßen, erklärt der Forscher, aber vor allem auf "Massenmetalle" wie Eisen, Kupfer und Aluminium. Dieses Ergebnis wird bestätigt von Georg Mehlhart und Veronika Ustohalova vom Öko-Institut in Darmstadt. Sie schätzen die Menge an Eisen- und Stahlschrott, die im deutschen Müll begraben liegt, auf 25 bis 100 Millionen Tonnen. Nicht-Eisen-Metalle wie Kupfer, Zink und Aluminium machen sieben bis 15 Millionen Tonnen aus. Das ist allerdings fast nichts gegen die knapp 500 Millionen Tonnen Holz, Papier und Plastik.

Und sonst? Falls Asche aus der Verbrennung von Klärschlamm auf die Deponie gekippt wurde, könnte sich aus Goldmanns Sicht eine Grabung nach Phosphat lohnen. Auch dieser Rohstoff wird weltweit schon langsam knapp. Für Phosphat könnte ein Müllberg "die Lagerstätte der Zukunft" sein, meint der Forscher.

Aber nicht jede Grabung verspricht auch einen Erfolg: Bestimmte Müllplätze und -schichten seien vollkommen uninteressant, erklärt Daniel Goldmann. Etwa, wenn überwiegend nur Asche aus der Verbrennung von Holz und Kohle zum Heizen abgelagert wurde. Damit fallen die ersten Jahrzehnte nach dem Zweiten Weltkrieg, in der Holz und Kohle die wichtigsten Heizmittel waren, durch. Die Experten der Nürnberger Abfallbetriebe ASN bestätigen diese Einschätzung: Von den 1950er bis in die 1970er Jahre holten fahrende Alteisensammler alles ab, was irgendwie verwertbar war. Auf dem Müllplatz landete kaum etwas davon.

Eine besonders interessante Zeitphase gibt es aber doch, von Anfang der 1990er Jahre bis 2005. Damals hatten viele Deponien gerade ihre Kapazitäten erweitert und wurden dann von einer Gesetzesänderung kalt erwischt: Ab 2005 sollte Hausmüll nicht mehr deponiert, sondern verbrannt werden. Also, so berichtet es Daniel Goldmann, seien viele Deponiebetreiber dazu übergegangen, gezielt die Entsorgungspreise der Recycler zu unterbieten, um ihre Kapazitäten noch bis 2005 aufzufüllen. Infolgedessen sei eine beträchtliche Menge Elektroschrott statt im Rohstoffkreislauf auf der Deponie gelandet.

Trotzdem steht die Suche nach verwertbaren Stoffen bis heute nicht im Mittelpunkt, wenn eine Müllkippe wieder aufgegraben wird, resümiert Goldmann. Viel wichtiger seien zwei andere Beweggründe. Zuerst Risiken, die von einer Deponie ausgehen. Wenn diese etwa in der Nähe eines Flusses angelegt wurde, der jetzt öfter Hochwasser führt. Oder wenn ihre Abdichtung marode wird und Gefahr für das Grundwasser besteht.

Der zweite Grund ist Platzbedarf: Deponien, die früher am Rande einer Siedlung angelegt wurden, können nach einer Ausdehnung der Bebauung mitten im Stadtgebiet liegen. Dann nehmen sie wertvollen Platz weg, den man womöglich besser nutzen will, etwa für ein Industriegebiet.

Die Technologie steht bereit

Wenn wegen einem dieser beiden Gründe eine alte Deponie wieder aufgegraben werde, sehe man aber immer zu, die darin enthaltenen Materialien so gut wie möglich zu verwerten, so Goldmann. Die Technologie für die Sortierung steht bereit: "Die Prozesse zum Trennen sind industriereif, wurden aber noch nicht im großen Stil umgesetzt." Besonders aufwendig aber sei gar nicht das Trennen des Mülls, sondern der Schutz des Personals und der Bevölkerung in der Umgebung vor Giftstoffen, austretendem Deponiegas und aufgewirbeltem Staub.

Nur zur Wertstoffgewinnung lohnt es sich aus Goldmanns Sicht noch nicht, einen Müllberg anzufassen. So schätzen das auch die Nürnberger ASN-Experten ein: Wertstoffe im Müll seien "unter wirtschaftlichen Bedingungen derzeit noch nicht nutzbar" und das gelte besonders für Nürnberg. Die Noris sei eine der ersten Städte in Deutschland gewesen, die auf Müllverbrennung setzte, sagt ein ASN-Sprecher. Schon seit Ende der 1960er Jahre kommt der Müll aus Nürnberg in den Verbrennungsofen.

Damit dürfte auf den Deponien im Stadtgebiet nicht viel Wertvolles zu holen sein. Als Geldanlage eignet sich eine Investition in einen Nürnberger Müllberg deswegen wohl eher nicht. Außer, es liegt zufällig noch ein Laptop mit Bitcoins drin.