Die Würde ist unantastbar

24.11.2008, 00:00 Uhr

Eine krasse Fehleinschätzung. Die Deklaration, eine Antwort auf die Gräuel des Zweiten Weltkriegs und den Holocaust, wurde relativ schnell nicht nur zu einer politischen und moralischen Richtschnur, sondern führte auch zu konkreten völkerrechtlichen Abkommen. Etwa zur europäischen Konvention für Menschenrechte, die vor dem Europäischen Gerichtshof in Luxemburg eingeklagt werden können oder zur Konvention gegen Völkermord und gegen Folter. Auf ihr beruhen Tribunale gegen Kriegsverbrecher und der internationale Strafgerichtshof in Den Haag.

Sie werden laufend weiterentwickelt. Das Menschenrecht auf Wasser ist ein Beispiel. Die Klimakatastrophe könne nach Ansicht mancher Experten durchaus ein Menschenrecht auf intakte Umwelt begründen.

Immer handelt es sich um ein Lernen aus erfahrenem Leid oder Unrecht. Und ihre stärkste Begründung ist die unantastbare, unveräußerliche Würde des Menschen, die ganz bewusst in der Menschenrechtserklärung und auch im Grundgesetz am Anfang steht. Es ist «das Recht, das uns zu Menschen macht« – das war auch das treffende Motto der internationalen Menschenrechtstagung in Nürnberg.

Ständiges Lernen

Die versammelten rund 200 Experten machten zugleich deutlich, dass die Beschäftigung mit Menschenrechten ein ständiges Lernen und Neuorientieren ist, denn permanent werden diese Rechte bedroht, sei es durch Diskriminierung am Arbeitsplatz oder im Bildungswesen, sei es durch Antisemitismus, durch religiöse Verfolgung und Folter.

Manche Verletzungen werden noch nicht einmal von den Betroffenen als solche empfunden. Ein Politikwissenschaftler nannte die Genitalverstümmelung, die in Afrika von vielen Frauen als selbstverständlich angesehen werde. Andere sind auch bei uns stillschweigend geduldet: In Artikel 23 der Erklärung heißt es, «jeder hat das Recht auf Arbeit«.

Es waren die aktuellen Spannungsfelder, die dafür sorgten, dass die Tagung sich nicht in akademischen Debatten erschöpfte. Die Missachtung der Menschenrechte muss in historischen Bezügen gesehen werden, doch der Blick in die Geschichte kann auch die Sicht verzerren: Das Bild von Sinti und Roma wird immer noch von der «Zigeuner«-Definition der Nazis geprägt, Juden haben gegen Jahrhunderte alte Vorurteile zu kämpfen. Der Holocaust ist nicht geeignet, den heutigen Rassismus zu erklären, denn er entstand unter den Bedingungen einer Diktatur.

Macht und Entmachtung

Das Grundmuster freilich bleibt: Es geht um Macht und Entmachtung, um die Stigmatisierung oder Verfolgung oder gar Vernichtung von vermeintlich Schwächeren durch die Stärkeren. Hier muss auch die Menschenrechts-Erziehung ansetzen, wenn junge Leute heute aus der Vergangenheit für die Zukunft lernen sollen. Den Schulen wurde da auf der Tagung ein schlechtes Zeugnis ausgestellt. Dieses Fach finde einfach nicht statt, beklagten auch Pädagogen.

Aber es gibt glücklicherweise Vorbilder aus dem außerschulischen Bereich. Das Nürnberger Menschenrechtszentrum, das die Tagung mit veranstaltete, ist sehr aktiv. Und mehrere Referenten nannten aus der Türkei, aus Argentinien und Russland Lehrbeispiele dafür, wie Menschenrechte erst verletzt und dank eines bürgerschaftlichen Engagements dann doch durchgesetzt wurden. Das macht Mut.