Entwicklungspolitik nach Corona: Partner statt Bittsteller

27.7.2020, 14:36 Uhr

Mehr als eine Handvoll Getreide - bessere Handelsbedingungen könnten Afrikas Weg zu mehr Wohlstand beschleunigen.  © Rudolf Stumberger

Es wird schlimm, so viel ist sicher. Nicht nur weil die Corona-Pandemie auch in Afrika viele Menschenleben kosten könnte. Sondern vor allem auch, weil die ökonomischen Auswirkungen viele Staaten auf dem Kontinent mit ungeheurer Wucht treffen werden. Die Weltbank befürchtet, dass die Wirtschaft in weiten Teilen Afrikas erstmals seit 25 Jahren wieder schrumpfen wird – um mehr als fünf Prozent. Fast 30 Millionen Menschen könnten in die Armut abrutschen, prognostizieren die Vereinten Nationen. Die Zahl derer, die kaum in der Lage ist, die eigene Ernährung sicherzustellen, wird steigen. Die Kapitalflucht aus afrikanischen Staaten, die im Zuge der Corona-Krise eingesetzt hat, lässt die ohnehin schwachen Währungen weiter abwerten.

Eine fatale Entwicklung, da die Schulden der Staaten und des Privatsektors meist auf US-Dollar lauten. Die fristgerechte Rückzahlung dürfte in vielen Fällen kaum möglich sein. Gleichzeitig sind die Rohstoffpreise auf dem Weltmarkt eingebrochen. Zahlreiche afrikanische Volkswirtschaften, etwa Angola, Nigeria, Südafrika oder Tansania, leben aber vom Export ihrer Bodenschätze. Dazu kommt: Millionen Afrikaner, die in Europa, den USA oder anderswo auf der Welt arbeiten, können ihrer Familie in der Heimat derzeit nicht wie gewohnt Geld zukommen lassen. Weil sie im Zuge der Krise arbeitslos geworden sind oder weil die Filialen der Agenturen, die solche Geschäfte abwickeln, wegen der Pandemie vielerorts geschlossen sind. Dabei machen private Rückzahlungen aus dem Ausland, die der Weltbank-Ökonom Dilip Ratha "in Liebe gewickelte Dollars" nennt, in manchen Entwicklungsländern bis zu einem Drittel der Wirtschaftsleistung aus.

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Schulden stunden, Sozialsysteme stützen

"Die ökonomischen Auswirkungen der Pandemie werden in Afrika viel drastischer sein als bei uns", warnt Sebastian Prediger, Entwicklungsökonom bei der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW). Afrika braucht rasch Geld, das ist offensichtlich. Der Finanzbedarf zur Stützung der Konjunktur liegt Schätzungen zufolge im niedrigen dreistelligen Milliardenbereich. Erste Maßnahmen wurden bereits auf den Weg gebracht. Der Internationale Währungsfonds (IWF) hat 25 Ländern vorerst vom Schuldendienst entbunden. Die fälligen Zahlungen werden nun aus einem Katastrophenfonds des IWF beglichen. Im April haben die G20-Finanzminister zudem entschieden, die Schulden von 77 Staaten bis zum Jahresende zu stunden. Die Bundesregierung hat ein Corona-Sofort-Programm für Entwicklungsländer aufgelegt. Mehr als vier Milliarden Euro sollen unter anderem in Gesundheits- und Sozialsysteme betroffener Staaten fließen.

Geld für die, denen es schlechter geht als uns. Meistens sind damit Menschen in Afrika gemeint, vor allem diejenigen, die südlich der Sahara leben. Die 49 Staaten in diesem Gebiet bilden eine der ärmsten Regionen der Erde. Immer noch, trotz Unsummen an Hilfsgeldern, die in den vergangenen Jahrzehnten aus dem globalen Norden nach Afrika geflossen sind. Die klassische Entwicklungshilfe, der Gedanke, man müsse die ärmsten Länder der Erde nur mit ausreichend Kapital versorgen, dann würden sich die Volkswirtschaften aus dem Staub der Savanne erheben und zu den Industriestaaten aufholen, hat sich nicht bewahrheitet. "Einige Staaten in Afrika erhalten seit der Unabhängigkeit Entwicklungshilfe, seit über 50 Jahren, und doch wurde die Armut dort nicht wirklich reduziert", bilanziert Honest Prosper Ngowie, der als Wirtschaftsprofessor an der Mzumbe-Universität in Tansania lehrt.

Inzwischen gibt es zahlreiche prominente Stimmen, die den Erfolg von Entwicklungszusammenarbeit anzweifeln: Der US-Ökonom William Easterly etwa, der Nobelpreisträger Angus Deaton oder die aus Sambia stammende Wirtschaftswissenschaftlerin Dambisa Moyo. Ein robuster Zusammenhang von Entwicklungshilfe und Wirtschaftswachstum sei empirisch nicht nachweisbar, lautet einer der Kritikpunkte. Viel zu häufig seien die Geldzahlungen politisch motiviert, heißt es außerdem. Strukturelle Reformen und das Wohlergehen der Menschen im Empfängerland seien nicht das Hauptinteresse der Geldgeber.

War alle Entwicklungshilfe nutzlos?

In seinem Bestseller "The Great Escape" schildert Deaton den Fall des früheren Mauretanischen Präsidenten Maaouya Ould Sid‘Ahmed. Weil er es in den frühen 1990er Jahren mit der Unterdrückung seiner Bevölkerung übertrieben hatte, stoppte der Westen die Zahlungen an seine Regierung. Um die Gunst der Geldgeber wiederzuerlangen leitete Ould Sid‘Ahmed erste Reformen ein. Der Eifer währte nicht lange. Bald kam der Machthaber auf die Idee, den Staat Israel anzuerkennen – als eines der wenigen arabischen Länder. Schon flossen die Dollars aus dem Westen wieder und der Präsident konnte weiterregieren wie zuvor. Stützung totalitärer Regime, Aufrechterhaltung korrupter Strukturen, Unterminierung von Eigenverantwortung – das und noch viel mehr sehen Kritiker in Entwicklungshilfe.

Weil Regierungen kein Interesse an der Lösung gesellschaftlicher Probleme haben, wenn sie wissen, dass im Zweifelsfall sowieso Geberländer einspringen. Weil die Länder, die am dringendsten Geld brauchen oft auch die sind, in denen Korruption am weitesten verbreitet ist. Und weil man nie weiß, was die Mächtigen mit dem Geld machen, das sie durch Entwicklungshilfe sparen. Soll man es also lassen? War nichts, was westliche Staaten und Nichtregierungsorganisationen in den vergangenen Jahrzehnten in Afrika und anderswo versucht haben, erfolgreich? "Nein, man kann nicht sagen, dass Entwicklungszusammenarbeit als Ganzes gescheitert ist", relativiert Andreas Landmann. Er ist Professor für Entwicklungsökonomie an der Universität Erlangen-Nürnberg und plädiert für einen differenzierten Blick: "Für die Mehrheit der Menschen hat sich die Lebenssituation deutlich verbessert. Viele werden aber noch immer nicht erreicht."

Ein Containerschiff auf dem Suez-Kanal in Ägypten. Produkte aus Afrika haben es in Europa oft schwer.  © KHALED DESOUKI

Tatsächlich zeigen die ökonomischen Daten selbst für Sub-Sahara-Afrika eine positive Entwicklung. Die Kindersterblichkeit hat seit dem Jahr 2000 rapide abgenommen. Der Anteil der Menschen in der Region, die von weniger als 1,90 Dollar pro Tag leben müssen, ist auf 42 Prozent gesunken. Rund zwanzig Jahre zuvor waren es noch 59 Prozent. Die Lebenserwartung ist stark gestiegen – inzwischen der Hauptgrund für das Bevölkerungswachstum. Seit 1994 wächst das Bruttoinlandsprodukt stetig. Wie groß der Einfluss der Entwicklungshilfe auf diesen positiven Trend war, ist kaum eindeutig zu ermitteln. Dass es den Menschen ohne sie heute genauso gut ginge, lässt sich aber eben sowenig nachweisen. "Wir müssen das Bild vom bitterarmen Afrika aus den Köpfen bekommen. Die Meisten dort leben anders", betont Landmann.

Die Zeit der Corona-Krise ist auch eine Gelegenheit, innezuhalten, Althergebrachtes zu hinterfragen und neue Wege zu gehen – auch in der Entwicklungszusammenarbeit. Ökonom Landmann plädiert dafür, Maßnahmen und Projekte strikt zu evaluieren. Um herauszufinden, was wirkt und was nicht. Das passiere zu selten. Oft sind es schon kleine Eingriffe, die etwas verbessern können. So hat ein Experiment in Pakistan gezeigt, dass die Einführung einer Krankenversicherung dafür sorgt, dass Kinder seltener als Arbeitskräfte eingesetzt werden. Weil sie nicht mehr für Einkommen sorgen müssen, wenn ein Elternteil krank wird. Seit ein paar Jahren setzen sich zunehmend ergebnisbasierte Projekte durch. Dabei erhalten Frauen in afrikanischen Ländern zum Beispiel Gutscheine für Vorsorgeuntersuchungen. Erst wenn diese eingelöst und die Frauen tatsächlich untersucht wurden, kommt der ausländische Finanzier für die Kosten der ärztlichen Leistung auf.

420 Milliarden für Europas Agrarindustrie

Geld für Afrika muss jedoch nicht immer in Afrika ausgegeben werden. Denkbar ist stattdessen die Gründung eines Arzneimittelfonds, aus dessen Budget Pharmafirmen vergütet werden, die Impfungen oder Medikamente für Erkrankungen wie Tuberkulose oder Malaria entwickeln, die in vielen armen Ländern verbreitet sind. Erste Bemühungen in diese Richtung gibt es bereits, weitere sollten folgen. Ein anderer Vorschlag des Ökonomie-Nobelpreisträgers Deaton zielt darauf ab, wirtschaftlich schwachen Ländern in Verhandlungen über Handelsabkommen Expertise zur Verfügung zu stellen. Fachleute unabhängiger Organisationen könnten stärker als bisher dafür sorgen, dass die Interessen von Entwicklungsländern in den Verträgen gewahrt bleiben. Und nicht zuletzt stehen auch die westlichen Staaten in der Pflicht. Nicht vorrangig mit der Bereitstellung von Hilfsgeldern, sondern auch als faire Handelspartner und technologische Vorreiter.

Billig und viel: Die industrielle, stark subventionierte Agrarwirtschaft in Europa stellt Afrikas Bauen vor Probleme.  © André De Geare

Satte 420 Milliarden Euro waren im Finanzrahmen der EU für den Zeitraum von 2014 bis 2020 für die Förderung der Agrarindustrie veranschlagt. Das sind rund 40 Prozent des Gesamtbudgets. Afrikanische Bauern sind da kaum konkurrenzfähig. Zumal es deren Güter schwer haben, nach Europa zu gelangen. Der hiesige Markt sei für die Produkte aus Afrika nahezu gesperrt, bemängelte Entwicklungsminister Gerd Müller 2018 in einem Interview. Eine zweifellos richtige Erkenntnis, die die europäische Staatengemeinschaft aber endlich auch zu konkreten politischen Handlungen animieren sollte. Solange die EU Agrarprodukte aus Afrika mit hohen Zöllen belegt und gleichzeitig den Markt des Nachbarkontinents mit billigem Gemüse, Geflügel und Milch überschüttet, wird sich an den Verhältnissen nichts ändern.



Dabei liegt es im Interesse Europas, Afrika durch fairen Handel in seiner Entwicklung nicht weiter zu behindern. Nicht zuletzt, weil Stabilität und wachsender Wohlstand die Migrationsströme Richtung EU reduzieren dürften. Im Angesicht des Klimawandels gilt es allerdings sicherzustellen, dass der ökonomische Fortschritt nicht auf der Ausbeutung fossiler Ressourcen beruht. "Da haben wir eine Vorbildfunktion. Wir müssen zeigen, dass Wohlstand mit umweltfreundlichen Technologien möglich ist", mahnt Landmann. Die Innovationen, etwa zur Energieversorgung, könnten in ärmere Staaten exportiert werden. Vorher aber gilt es, die Volkswirtschaften des Kontinents vor dem Zusammenbruch zu bewahren. Damit Covid-19 die Erfolge der Vergangenheit nicht zerstört.