Bundestagswahl

Freie Wähler: Sprung in den Bundestag nicht geschafft - doch die Stimmung ist bestens

29.9.2021, 07:09 Uhr

Hubert Aiwanger (2.v.re.) nimmt die Maske ab, als er am Wahlabend seinen Parteifreunden zuprostet. Doch sein Verhalten, Prognosen noch während der laufenden Abstimmung zu veröffentlichen, stieß  vielen sauer auf. © Tobias Hase, dpa

Berlin? War da was? Für die meisten Aktiven der Freien Wähler geht es am Tag zwei nach der Bundestagswahl wie gewohnt weiter. Kein Blick zurück im Zorn? Kein bisschen Wehmut, wenn die politische Konkurrenz die Koffer packt und in die Bundeshauptstadt reist? "Warum?", fragt Elisabeth Simmerlein zurück. "Wir sind mit dem bayerischen Ergebnis sehr zufrieden!"

Wenn man auf Bundesebene auch nur auf 2,4 Prozent gekommen ist, so haben die Freien im Freistaat ihren Stimmenanteil von 7,5 Prozent im Vergleich zur letzten Wahl nahezu verdoppelt. Das gute Abschneiden sei auch Ausfluss der Regierungsbeteiligung in München, sagt Simmerlein, die weiß, wie Siegen geht: Seit Mai 2020 ist die heute 31-Jährige Bürgermeisterin der kleinen Gemeinde Pinzberg im Landkreis Forchheim.

Je stärker man sich in den Gemeinden positioniere, umso stärker werden man auch bei der nächsten Bundestagswahl sein, ist sie überzeugt. "Aber dafür braucht man Ausdauer. Das ist kein Sprint, das ist ein Langstreckenlauf!" In vier Jahren werde man es dann vielleicht schaffen, bei der nächsten Kanzler(innen)wahl dabei zu sein.

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So ähnlich sieht es auch Armin Kroder, Landrat des Nürnberger Landes, mittelfränkischer Bezirkstagspräsident und stellvertretender Landesvorsitzender der Freien Wähler. Er erlebe es täglich, dass Entscheidungen, die in Berlin oder Brüssel getroffen werden, direkt Auswirkungen auf kommunaler Ebene haben "und uns Bandagen anlegen", sagt er im Gespräch mit unserer Redaktion. "Deswegen wollen wir mitreden im Bund!"

Ob das nächste Mal tatsächlich der Sprung in den Bundestag gelingt, sei zwar nicht sicher, "aber wenn man nicht kämpft, hat man schon verloren". Zumindest habe der diesjährige Wahlkampf der Partei nicht nur beachtliches Renommee in der Bevölkerung verschafft, sondern ihr auch den heiß begehrten Nachwuchs beschert. Viele junge Leute, darunter eine ganze Reihe an Frauen, haben sich aufstellen lassen.

Walter Schnell aus Kammerstein, ein Urgestein der FW und heute Fraktionschef im Bezirkstag in Ansbach sowie stellvertretender Landrat im Landkreis Roth, weiß aber auch, dass sich vielerorts "die Begeisterung an der Basis, für den Bundestag zu kandidieren, in Grenzen" gehalten habe. Einige Ortsverbände hätten sich überhaupt nicht am Bundestagswahlkampf beteiligt.

Parteidisziplin gibt es nicht

Denn es gebe eine ganze Reihe an Parteimitgliedern, die sich in der Kommunalpolitik am wohlsten fühlen. Innerhalb der FW duldet man derlei "Individualismus", wie es Schnell nennt, "Parteidisziplin gibt es nicht". Trotzdem hält er es für richtig und wichtig, die Fühler Richtung Bundespolitik auszustrecken. Mit Blick auf Union und SPD urteilt er: "Es tut auch der Demokratie gut, wenn bestimmte Erbhöfe weniger werden".

Die Wählerinnen und Wähler suchten nach neuen politischen Alternativen, und die sieht Schnell zuallererst bei den Freien. Doch so neu sind die wiederum nicht. In vielen Gegenden der Region saßen Unabhängige oder Parteilose, wie sich Vorgängergruppierungen der Freien Wähler nannten, längst in den Gemeinderäten, als man dort weder CSU- geschweige denn SPD-Vertreter kannte.

Gesunder Menschenverstand gefragt

Jedoch, politische Entscheidungen, "die durch den gesunden Menschenverstand geprägt sind", brauche man dringender denn je, findet Schnell, der 24 Jahre Bürgermeister von Kammerstein war.

Kritisch sieht er das Verhalten seines Landesvorsitzenden, des bayerischen Wirtschaftsministers Hubert Aiwanger. Sein Umgang mit dem Thema Impfen habe der Partei geschadet. Viele Bürgerinnen und Bürger hätten die FW deswegen nicht gewählt. Zudem hält er Aiwangers Vorgehen am Wahlsonntag, erste Prognosen noch während der Abstimmung an die Öffentlichkeit zu geben, verbunden mit dem Hinweis, nun kräftig die Freien zu wählen, für ein "no go". Möglicherweise hat der Minister damit gegen das Wahlgesetz verstoßen. Aiwanger müsse sich nun endlich entschuldigen, fordert Schnell.

Auch Robert Ilg, Bürgermeister in Hersbruck, erwartet umgehend Aufklärung darüber, was tatsächlich geschehen ist. "So was darf nicht passieren", sagt er. Ihn ärgert der Fauxpas sehr, der jetzt für Trübungen sorge: Die Freien hätten im Wahlkampf gezeigt, dass sie auf allen politischen Ebenen Verantwortung übernehmen wollen und auch können.

Nun komme es darauf an, auch in anderen Bundesländern "fleißige und hartnäckige Arbeit" zu leisten, um neben Rheinland-Pfalz und Brandenburg in weitere Landtage einzuziehen. "Sich in anderen Bundesländern besser aufstellen", nennt Steffen Schmidt, mittelfränkischer Bezirksvorsitzender der FW, diesen Prozess, der in den nächsten drei Jahren Vorrang habe, um dann schlussendlich auch in Berlin Fuß fassen zu können. Vor allem in den Städten müsse man zulegen, auf dem Land sei man besser präsent.

Konkurrenz zur AfD

Für Fritz Ruf, FW-Vorsitzender im Landkreis Fürth, keine unlösbare Aufgabe. ​​​​​​​Gelinge es bei der nächsten Wahl, die Stimmen wie​​​​​​​ in Bayern auch auf Bundesebene zu verdoppeln, sei das Ziel erreicht, rechnet er vor. Man fische keineswegs am rechten Rand, sagt Ruf, aber man habe diesmal als echte Alternative der AfD mindestens einen Prozentpunkt an Stimmen abluchsen können. ​​​​​​​