Kaczynski-Absturz: Polens Innenminister tritt zurück

29.7.2011, 20:00 Uhr

Polens Innenminister Jerzy Miller hat Wort gehalten. Bereits am Jahresanfang hatte der Politiker der regierenden Bürgerplattform (PO) angekündigt, dass der Bericht über die Ursachen der Flugkatastrophe in Smolensk vom April 2010 für seine Landsleute „sehr schmerzhaft“ sein wird. „Es wird wehtun“, warnte er. Nun legte die von ihm geleitete Kommission die mit großer Spannung erwartete Untersuchung vor – mit zum Teil schockierenden Ergebnissen für Polen. Denn der Bericht enthüllte desaströse Zustände in der Luftwaffeneinheit Geschwader 36, die für den Transport polnischer Politprominenz samt Präsident und Regierungschef zuständig ist. Es gibt auch schon das erste Opfer: Seinen Hut musste Verteidigungsminister Bogdan Klich nehmen.

Die Liste der Verfehlungen beim Arbeits- und Schulungssystem in der Elitetruppe ist lang. Die Piloten seien ungenügend geschult, vorgesehene Trainingsflüge nicht ausgeführt, Vorschriften ignoriert, Ruhezeiten nicht eingehalten worden. Bei extremen Witterungsbedingungen, die beim Flug nach Smolensk herrschten, wurde die fehlende Erfahrung der Besatzung zum Verhängnis. Sie hätten einen falschen Höhenmesser benutzt und zu spät das Landemanöver abgebrochen. Im dichten Nebel hatte die Maschine mit dem linken Flügel einen Baum erfasst und war zerschellt. Präsident Lech Kaczynski, seine Frau Maria und 94 weitere Politiker, Geschäftsleute, Militärs und Geistliche starben.

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Verschwörungstheorien

Der Zwillingsbruder des verunglückten Präsidenten, Oppositionschef Jaroslaw Kaczynski, hält den Rücktritt des Ministers für völlig unzureichend. „(Regierungschef Donald) Tusk fehlt der Mut, selbst die Verantwortung zu übernehmen“, sagte Kaczynski. Er wiederholte seine Vorwürfe: Tusk habe mit dem russischen Premier Wladimir Putin gegen Lech Kaczynski paktiert. Die Übergabe der Ermittlungen an Russland, statt eine internationale Kommission einzuschalten, halten die National-Konservativen für einen Landesverrat. „Alles Lügen“, reagierte der Kaczynski-Vertraute, Antoni Macierewicz, auf den Bericht. “Die ganze Schuld wurde auf die Polen abgewälzt“, empörte er sich. Die national-konservative Opposition will die Schuldfrage für Smolensk zum Spitzenthema des Wahlkampfes vor der Parlamentswahl im Oktober machen. Denn die Gesellschaft ist in dieser Frage tief gespalten. „Nur ein Trottel kann den Regierungsbericht ernst nehmen“, sagte die Witwe des stellvertretenden Kulturministers, Tomasz Merta, Magdalena Merta.

In nationalkonservativen Kreisen wimmelt es von Anhängern der Verschwörungstheorien. Sie halten ein Attentat – eine Bombe oder vom Geheimdienst künstlich erzeugten Nebel – für sehr wahrscheinlich. Es gebe Beweise, dass das ganze Computersystem der Unglücksmaschine bereits vor dem Zusammenprall mit dem Bau aufgehört habe zu funktionieren, sagte Macierewicz. Seit Jahren bemühen sich Warschau und Moskau nach all den Spannungen im historisch belasteten Verhältnis um eine Annäherung. Die Flugkatastrophe hatte zunächst die Führungen und Menschen in beiden Ländern näher gebracht. Das von den Russen gezeigt Mitleid wurde an der Weichsel mit Dank angenommen. Doch der russische Ursachenbericht vom Januar, der die ganze Schuld der polnischen Seite gab, löste in Polen eine Welle der Empörung aus und belastete wieder das Verhältnis. Im polnischen Bericht ist nun von irreführenden Informationen russischer Fluglotsen die Rede. Innenminister Miller setzt auf eine neue Öffnung. Er sei dafür, dass die polnischen und russischen Experten über seinen Bericht diskutieren, sagte er. Denn es gebe ein gemeinsames Ziel: Herauszufinden, was am 10. April wirklich passiert sei.