Kommentar: Die SPD ist verzweifelt auf Themensuche

23.10.2018, 11:22 Uhr

Der Mindestlohn ist eine Erfolgsgeschichte. Eine Erfolgsgeschichte, die der SPD zu verdanken ist. Es waren die Sozialdemokraten, die dafür sorgten, dass seit dem 1. Januar 2015 eine unterste Grenze dessen gilt, was Menschen verdienen müssen. Ja, es ist richtig, dass 8,84 Euro pro Stunde vielerorts immer noch nicht zum Leben und später für eine auskömmliche Rente reichen. Das ist aber kein Argument gegen den Mindestlohn - sondern für seine Erhöhung.

In genau diese Kerbe schlägt nun Bundestagsvizepräsident Thomas Oppermann. Der SPD-Politiker fordert einen Mindestlohn von zwölf Euro. Natürlich lassen sich gute Argumente dafür finden, ebenso aber Argumente dagegen (zum Beispiel dieses: Sollte die Mindestlohn-Kommission mit Vertretern aus Wissenschaft und Sozialpartnern nicht gerade sicherstellen, dass die Höhe des Mindestlohns eben nicht Objekt politischer Überbietungswettbewerbe wird?).

Werbung
Werbung

Unabhängig von Pro und Contra lässt sich aber schon jetzt eine politische Einschätzung treffen: Der Vorstoß der SPD wird beim Wähler nicht verfangen.

Gewollt populistisch

Zum einen, weil Oppermanns Forderung so gewollt populistisch daherkommt, als wäre sie aus dem Wahlprogramm der Linken abgeschrieben (was sie übrigens tatsächlich ist). Doch Populismus steht der SPD nicht gut. Das können andere besser.

Zum anderen, weil der Vorschlag in seiner Schlichtheit nicht das liefert, was den Sozialdemokraten so sehr abgeht. "Die SPD war bereits die Partei der Arbeiterklasse (in den 50er und 60er Jahren), die Partei der Aussöhnung mit dem Osten (in den 70er), die Partei der Abrüstung (in den 80ern) und die Partei der gesellschaftlichen Erneuerung (ab 1998, mit Gerhard Schröder als Kanzler)", schrieb mein Kollege Dieter Schwab kürzlich und fragte mit Recht: "Und was ist sie heute?" Seine Analyse: "Den Sozialdemokraten fehlt ein Narrativ, eine Erzählung, die Menschen begeistern kann."

Die schlichte Forderung nach einem höheren Mindestlohn wird dieses Fehlen einer sozialdemokratischen Erzählung für das 21. Jahrhundert sicher nicht kaschieren. Denn eine solche Erzählung zu entwickeln, das wird Jahre dauern. Die SPD muss diese Geduld aber aufbringen, wenn sie nicht gänzlich verschwinden will. Denn genau das droht ihr, wenn sie bloß noch auf Schnellschüsse wie den Oppermanns setzt.