Kurzfristige Umstellung

Mehr Fragen als Antworten zur Corona-Impfung: "Die Stiko hat Chaos in den Praxen ausgelöst"

2.7.2021, 18:48 Uhr

Die Stiko empfiehlt generell, nach einer Erstimpfung mit AstraZeneca die Zweitimpfung mit einem mRNA-Impfstoff von BioNTech oder Moderna vorzunehmen. © Daniel Karmann, dpa

Das geforderte grüne Licht wurde jetzt von der Ständigen Impfkommission (Stiko) in Form einer Empfehlung gegeben und doch blieb der Jubel aus. Der Bayerische Hausärzteverband (BHÄV) verlieh der Stiko stattdessen die "gesundheitspolitische Zitrone des Monats". Durch ihre Corona-Impf Empfehlung ohne jede Vorankündigung habe die Kommission "Chaos in unseren Praxen ausgelöst", erklärten der Vorsitzende des Bayerischen Hausärzteverbands Markus Beier und der Vorsitzende des Verufsverbands der Kinder- und Jugendärzte Dominik Ewald: "Mit dieser erneuten Kehrtwende werden das Vertrauen der Patienten in die Impfkampagne unnötigerweise erschüttert und neue Impfhürden im praktischen Impfmanagement aufgebaut", so die Verbandschefs.

Die Stiko empfiehlt generell, nach einer Erstimpfung mit AstraZeneca die Zweitimpfung mit einem mRNA-Impfstoff von BioNTech oder Moderna vorzunehmen. Gleichzeitig wird bei dieser heterologen Impfung der Abstand zwischen erster und zweiter Spritze von zwölf auf nur noch vier Wochen verkürzt. Darauf einigten sich am Freitag auch die Bundesgesundheitsminister der Länder und Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU).

"Mehr Fragen als Antworten"

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Nach Angaben des Hausärzteverbands, aber auch nach Meldungen einzelner Ärzte geht es seit Freitag in den Praxen rund. Viele Patienten, die erst in ein oder zwei Monaten für die Zweitimpfung vorgesehen waren, wollten jetzt unbedingt vor dem Sommerurlaub vollständig geimpft werden, berichtete Beier: "Doch wo soll über Nacht der mRNA-Impfstoff herkommen?" Berichtet wird aber auch von mit AstraZeneca Erstgeimpften, die trotz entsprechenden Wunsches dasselbe Vakzin für die Zweitimpfung zunächst nicht bekommen können. Bekannt wurden andererseits auch Fälle, in denen Ärzte verzweifelt nach Abnehmern für den AstraZeneca-Impfstoff fahnden.

Die Stiko werfe bei den bereits vollständig mit AstraZeneca Geimpften die Frage auf, ob sie Patienten zweiter Klasse seien, berichtete Hausärzte-Chef Beier. Sie befürchteten, gegen die Delta-Variante des Virus nicht ausreichend geschützt seien. Eine große Überraschung sei die Erkenntnis nicht, dass Kreuzimpfungen offenbar einen sehr guten Schutz gegen die Delta-Variante bieten. Zahlreiche Studien hätten dies in den vergangenen Monaten gezeigt, so die Verbandsvorsitzender Beier und Ewald: "Es war völlig unnötig, dass die Stiko mit einer Adhoc-Meldung völlig unabgestimmt die Impfpolitik ändert und dann mehr Fragen aufwirft als Antworten liefert". Durch die einsame Entscheidung der Stiko, die "schlecht geplant und überlastet bis gar nicht kommuniziert" worden sei, müssten die Ärzte jetzt Menschen auffangen, die verunsichert seien und viele Fragen hätten.

Holetschek: Bürger nicht verunsichern

Bayerns Gesundheitsminister Holetschek, der zur Zeit auch Vorsitzender der Gesundheitsministerkonferenz der Länder ist, hat die Probleme kommen sehen. Die Gesundheitsmister hätten der Stiko "zu verstehen gegeben, dass kurzfristige Kommunikation zu dem in unserer Bevölkerung so wichtigen Thema des Impfens gegen das Coronavirus Irritationen auslösen kann", sagte der CSU-Politiker. Die Bürger dürften nicht verunsichert, sondern über Neuerungen und wichtige Erkenntnisse der Wissenschaft "verlässlich und rechtzeitig" informiert werden. "Für künftige Fragestellungen", so Holetschek, "sollten wir uns nach meiner Ansicht sicherlich nach der Pandemie auch über die gemeinsamen Strukturen austauschen."

In der Sache unterstützten die Gesundheitsminister einstimmig die Stiko-Empfehlung. Der Vorteil von Kreuzimpfungen bestehe in einem kürzeren Abstand von vier Wochen zwischen Erst- und Zweitimpfung, erklärte Holetschek. Außerdem sei die Wirksamkeit einer Kombination aus AstraZeneca als Erstimpfung und mRNA-Impfstoff als Zweitimpfung nach neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen und Darstellung der Stiko "mindestens so hoch ist wie eine homologe Impfserie mit einem mRNA-Impfstoff."



In der kommenden Woche seien rund 136.000 Zweitimpfungen mit Astrazeneca terminiert, in der Folgewoche 28.000, sagte Holetschek in Nürnberg. Der Minister geht davon aus, dass viele Impflinge eine Zweitimpfung mit einem mRNA-Impfstoff wünschen werden. "Wir haben die Impfzentren aufgefordert, das bei ihren Planungen zu berücksichtigen", sagte Holetschek. Es könne sein, dass durch die aufgrund der unangekündigten Stiko-Empfehlung "kurzfristig erforderliche Umstellung in einzelnen Impfzentren vorübergehend weniger Erstimpfungen mit mRNA-Impfstoff vergeben werden können oder Erstimpftermine verschoben werden müssen". Auch sind die Termine für dieses Wochenende und Anfang nächster Woche seien bereits vergeben. Bereits nächste Woche werde man sich in der Gesundheitsministerkonferenz über Auffrischungsimpfungen unterhalten und welche Impfstoffe hier jeweils zum Einsatz kommen können.