Moria: Merkel bietet Aufnahme von 408 Flüchtlingsfamilien an

15.9.2020, 17:00 Uhr

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Innenminister Horst Seehofer (CSU) wollen maximal rund 1500 weitere Migranten von den griechischen Inseln in Deutschland aufnehmen. Wie die Deutsche Presse-Agentur am Dienstag von Innenpolitikern erfuhr, handelt es sich dabei um 408 Familien mit Kindern, die in Griechenland bereits als schutzbedürftig anerkannt wurden. Nur ein Teil von ihnen lebte zuletzt in dem Flüchtlingslager Moria auf Lesbos, das vergangene Woche abgebrannt war. Die Bundesregierung hofft, dass sich auch noch weitere europäische Staaten an der Aufnahme der Familien beteiligen.


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Nach dpa-Informationen ist der Vorschlag mit der griechischen Regierung bereits besprochen worden. Der SPD-Fraktionsvorsitzende Rolf Mützenich sagte, er lehne ein "Lotteriespiel" über die Aufnahme von Geflüchteten aus den griechischen Lagern in Deutschland ab. Eine exakte Zahl wolle er daher noch nicht nennen, sagte er am Rande einer Fraktionssitzung. Er zeigte sich zuversichtlich, dass sich die Koalition an diesem Mittwoch auf eine Zahl sowie konkrete Hilfen für Griechenland einigen werde. Die SPD-Vorsitzende Saskia Esken hatte gefordert, Deutschland müsse zusätzlich zu den bereits gemachten Hilfsangeboten mehrere Tausend Geflüchtete aus Griechenland aufnehmen.

"Sehr guter Kompromiss"

Der CSU-Vorsitzende Markus Söder nannte den Vorschlag einen "sehr guten Kompromiss". Daran sollten sich jetzt alle beteiligen "und es nicht wieder zerreden". Die CSU im Bundestag forderte die SPD auf, dem Merkel-Seehofer-Vorschlag zuzustimmen. Er erwarte von der SPD, dass sie der Versuchung widerstehe, in einen Wettbewerb um eine Zahl einzutreten und die Bereitschaft habe, den Vorschlag mitzutragen, sagte CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt vor einer Sitzung der Unionsfraktion. Unter den CSU-Abgeordneten habe es eine breite Bereitschaft gegeben, die Lösung mitzutragen. Dies erwarte er auch in der Gesamtfraktion. "Die Aufnahme von rund 400 Familien, die sich derzeit noch auf den griechischen Inseln befinden und in einem regulären Asylverfahren als schutzbedürftig anerkannt wurden, ist ein vertretbarer Vorschlag", sagte der stellvertretende Unionsfraktionsvorsitzende Thorsten Frei (CDU) der Deutschen Presse-Agentur in Berlin.

EU-Ratspräsident Charles Michel betonte bei einem Besuch in Athen die Notwendigkeit einer Reform des europäischen Asylsystems. "Wir müssen eine gerechte und starke Antwort zur Bekämpfung der Schleuser und ein neues Asylsystem entwickeln", erklärte er nach einem Treffen mit dem griechischen Regierungschef Kyriakos Mitsotakis. Gastgeber Mitsotakis kündigte ein neues Lager auf der Insel Lesbos an, das unter gemeinsamer Führung der EU und Griechenlands entstehen solle.

Die Idee eines neuen, geschlossenen Lagers auf Lesbos ist dabei nichts Neues – entsprechende Pläne gibt es in Athen schon länger. Allerdings wehrten sich die Bewohner der Insel bisher erfolgreich gegen solch eine Anlage. Sie fürchten, dadurch endgültig als Flüchtlingsinsel stigmatisiert zu werden und wollen, dass die Migranten die Insel verlassen.

Grüne fordern Aufnahme von 5000 Menschen

Die Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt forderte von der Bundesregierung "eine schnelle Aufnahme von 5000 Menschen". Die Aufnahme von 400 Familien, die bereits positive Asylentscheidungen haben, sei "ein Alibi-Angebot". Der Vorsitzende der Linkspartei, Bernd Riexinger, sagte: "Die Geflüchteten aus den Lagern in den Bundesländern und Kommunen aufzunehmen, die sich dazu bereit erklärt haben, wäre problemlos machbar." Das Seehofer dies verhindere, "ist an Kaltherzigkeit und Zynismus kaum zu überbieten".

Die migrationspolitische Sprecherin der FDP-Fraktion, Linda Teuteberg, erklärte dagegen: "Ein neuerliches deutsches Solo führt nicht weit. Die ebenso wichtige wie schwierige Aufgabe einer gemeinsamen europäischen Migrationspolitik ist Sache der Europäischen Union und nicht deutscher Kommunal- und Landespolitiker." AfD-Parteivize Stephan Brandner kritisierte die geplante Hilfsaktion. Er sagte: Das Einfliegen von Migranten aus Moria schafft weitere Anreize, Flüchtlingslager weltweit in Brand zu stecken und so ein Ticket nach Deutschland zu erpressen."

Die griechischen Behörden gehen davon aus, dass das seit Jahren heillos überfüllte Flüchtlingslager Moria vergangene Woche von Migranten angezündet worden war. Zuvor war die Situation dort eskaliert, nachdem mehrere Asylbewerber positiv auf das Coronavirus getestet worden waren.

Der griechische Minister für Bürgerschutz, Michalis Chrysochoidis, teilte am Dienstag mit, fünf von sechs mutmaßlichen Brandstiftern seien inzwischen ausfindig gemacht worden. Er sagte im Staatsradio: "Die Brandstifter sind festgenommen. Es sind junge Migranten. Ein weiterer wird noch gesucht." Aus Polizeikreisen hieß es, die fünf Festgenommenen seien Afghanen, deren Asylanträge abgelehnt worden waren. Mehr als 12.500 Migranten wurden durch den Brand in der Nacht zum vergangenen Mittwoch obdachlos.

Keine unkontrollierbare Folgewirkungen

Seehofer hatte am Freitag mitgeteilt, Deutschland werde von insgesamt 400 unbegleiteten Minderjährigen, die aus Griechenland in andere europäische Länder gebracht werden sollen, 100 bis 150 Jugendliche aufnehmen. Zudem betonte er, man wolle dann in einem zweiten Schritt mit Athen über die Aufnahme von Familien mit Kindern sprechen. Das Bundesinnenministerium will eine Delegation nach Lesbos schicken, um zu schauen, wer am dringendsten Schutz benötigt. Ziel sei es, bei der Auswahl "objektive Kriterien" anzuwenden, "damit keine unkontrollierbaren Folgewirkungen entstehen", hieß es aus dem Ministerium.

Die griechischen Behörden hatten - abgesehen von den 400 unbegleiteten Minderjährigen - offiziell bislang nicht um die Aufnahme der nun obdachlos gewordenen Menschen in anderen EU-Staaten nachgesucht. Viele von ihnen zögern jedoch, einzuziehen. Stand Dienstagmorgen waren rund 800 Migranten in dem Lager aufgenommen, das mittlerweile Platz für rund 5000 Menschen bietet, wie der griechische Staatssender ERT berichtete.