Nach der Diktatur keimt im Sudan die Hoffnung

27.11.2019, 20:22 Uhr

Mithilfe des MUAC Tests - "middle upper arm circumference" - kann man schnell feststellen, ob eine Unterernährung vorliegt. Im Sudan leiden darunter noch immer viele Kinder.

Die sudanesische Hauptstadt ein gutes halbes Jahr nach dem Sturz des Diktators Omar al-Bashir und nur wenige Wochen nach dem Ende der friedlichen Revolution, die vor allem von Frauen und jungen Leuten getragen wurde. Mittlerweile regiert ein Übergangsrat aus Vertretern des Militärs und der Protestbewegung für 39 Monate. In dieser Zeit soll der Sudan auf freie Wahlen vorbereitet, die Demokratisierung vorangetrieben und die grundsätzlichen Probleme im Land, wie die tief verwurzelte Korruption, angegangen werden.

Erst Ende August einigte man sich zwischen dem Militär und der FFC, der "Forces of Freedom and Change" – einer Vereinigung der vielen verschiedenen Protestgruppen – auf diesen neuen Weg. Und jetzt deutet so gut wie nichts mehr auf die monatelangen, teils blutigen Reaktionen der Sicherheitskräfte auf die Proteste der friedlichen Demonstranten hin. Im Gegenteil, Khartum wirkt wie eine Stadt, die lebendig ist, befreit wirkt, ja sogar durchatmet. Man kann die Hoffnung richtiggehend spüren.

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Der Filmemacher Adam Al-Sanosi begleitete unseren Autor durch Khartum.

Adam Al-Sanosi ist Filmemacher und Journalist, der die Revolution an vorderster Front begleitet hat. Er sagt, für diese Hoffnung in die Zukunft des Sudans habe man gelebt und gekämpft. Die Revolution habe dem Land gezeigt, was alles möglich sei. Sie habe die Menschen zusammengebracht. Der 36-jährige Journalist zeigt mir seine Stadt, es ist drückend heiß.

Ein Hauch von Silicion Valley

Adam fährt einen BMW älteren Modells, in dem weder die Klimaanlage funktioniert, noch sich die Fenster per Knopfdruck öffnen lassen. Es wird immer heißer im Wagen. Adam deutet auf die Plätze, an denen noch vor wenigen Monaten Sit-Ins stattgefunden hatten, wo es zu brutalen Übergriffen der Ordnungsmacht gekommen war. Schließlich halten wir an einem Pizza-Restaurant, Adam will etwas essen.

In dem Restaurant sitzen rund ein gutes Dutzend junger Frauen entspannt an mehreren Tischen, teils ist das Kopftuch runtergerutscht. Sie lachen, machen Selfies. Unter Machthaber Omar al-Bashir hatten Frauen schon für das Tragen einer Hose Prügelstrafe angedroht bekommen. In einer staubigen Seitenstraße parken wir vor einem unscheinbaren Haus. Im ersten Stock befindet sich der "Impact Hub" Khartum. Das ist ein globales Netzwerk, bei dem sich kleine Unternehmen und Freischaffende eine Bürofläche teilen.

Samar Khalid und Doha Ali, zwei der jungen Feministinnen von Amna in Khartum. Ihre Kollegin Ilaf Nasreldin wollte sich nicht fotografieren lassen.

Die Atmosphäre ist gelassen, eigentlich könnte das Büro problemlos im Silicon Valley liegen. An einem Tisch sitzen drei junge Frauen hinter ihren Laptops. Ilaf Nasreldin, 24 Jahre alt, Samar Khalid, 19 Jahre alt und Doha Ali, 21 Jahre alt. Sie haben 2018 Amna gegründet, eine feministische Organisation, die sich zum Ziel gesetzt hat, Gewalt gegen Frauen im Sudan zu stoppen. Es gab allerdings keine zuverlässigen Zahlen über Vergewaltigungen, über häusliche Gewalt, über Benachteiligungen von Mädchen in Schule und Beruf, auch keine Statistiken über die weitverbreitete weibliche Genitalverstümmelung im Land.

Frauen wollen sich ihre Rechte erkämpfen

Deshalb ging man daran, selbst Statistiken zu erstellen. Bis zur Revolution waren das zarte Versuche, nun geht man das offensiver an, befragt ganz offen Mädchen und junge Frauen im Alter von 11 bis 19 Jahren. Ilaf Nasreldin sagt unumwunden, dass sie eine Chance im neuen Sudan sieht, die Situation von Frauen zu verbessern. Sie hoffe auf eine Gesetzesreform, die Frauenrechtlerinnen schon lange gefordert hatten. Doha Ali beschreibt, dass das Leben für eine sudanesische Frau bislang alles andere als einfach war. "Es ist sehr schwierig”, sagt sie. Aber sie meint, dass nach allem, was passiert sei, Hoffnung bestehe.

Sie würden nicht darauf warten, bis irgendjemand ihnen ihre Rechte gibt. "Wir holen sie uns einfach!" Noch ist dieses Ziel nicht erreicht. Auch der Übergangsregierung gehören nur wenige Frauen an, die Regierung wurde mit Männern besetzt – wie immer. Doch die Frauen im Sudan gingen auf die Barrikaden. Von Khartum geht es in den Osten des Landes nach Kassala, einer Stadt mit mehr als 500 000 Einwohnern unweit der Grenze zu Eritrea.

Die Situation von Frauen und Kindern ist im Sudan häufig prekär. Die Hilfsorganisation CARE leistet Unterstützung.

Flüchtlinge aus Somalia, Äthiopien und Eritrea kommen durch Kassala, um von hier ihre gefährliche Reise Richtung Europa fortzuführen. Hier gehen die Uhren anders. Kann man in Khartum die Aufbruchstimmung nach der Revolution förmlich spüren, sind in Kassala die Probleme offensichtlich und drückend. Lange Schlangen an den Tankstellen, alles wirkt ärmlicher. Und hier in der Region ist die Unterernährung bei Kindern besonders hoch. Dazu kommen eine hohe Analphabetenrate bei Frauen und eine hohe Kinder- und Müttersterblichkeit bei Geburten.

Ein Tümpel für Ziegen und Kinder

Eatizas Yousif ist die Programmleiterin von CARE Sudan. Die Hilfsorganisation baute in der Region Kassala gleich einige Projekte auf. Die Unterernährungsquote im Osten des Landes, so Eatizaz Yousif, sei die höchste in allen 18 Bundesstaaten. Die Situation von Frauen sei ein riesiges Problem. Das spiegele sich in engen sozialen Normen, frühen Eheschließungen und der sehr eingeschränkten Mobilität der Frauen wider, die verhindert, dass sie eine bessere Schulbildung und Gesundheitsversorgung erfahren. Das alles führe dazu, dass die Frauen in der Gesellschaft nicht gleichberechtigt seien, sagt Yousif.

Es geht nach Kifteria, einer Dorfgemeinschaft etwa zwei Autostunden nordwestlich von Kassala. Hier hat CARE gemeinsam mit der lokalen Hilfsorganisation WAAD ein "Nutrition Center" eingerichtet, ein Zentrum für Ernährung. Die Unterernährung bei Kindern ist einfach zu groß. Hier werden die Kleinen gewogen, untersucht und die Mütter geschult, wie sie mit dem wenigen, was sie haben, ihre Kinder besser ernähren können. Oftmals erhalten die Kleinen zum Essen nur Sorghum, einen Hirsebrei, und den dreimal am Tag.

Aus diesem Tümpel trinken Menschen und Weidentiere gemeinsam. Auch Wasser zum Kochen und Waschen wird hier geschöpft.

Basik Onur Mohammed ist der ehrenamtliche Leiter des Ernährungs-Centers. Er sieht das Hauptproblem im Dorf in der mangelnden Versorgung mit sauberem Wasser. Die einzige Pumpe, die es gibt, funktioniert nicht mehr, deshalb wird das Regenwasser aus einem Tümpel geschöpft. Und es gebe keine Latrinen, was zu Krankheiten führe. Etwa 100 Meter vom Nutrition Center entfernt kann ich mitansehen, was er gerade beschrieben hat. Kinder rennen zum Tümpel, schöpfen Wasser in ihre Hände und trinken das braune Wasser, aus dem auch Ziegen und Kühe trinken.

Hierbleiben, weiterkämpfen

Es geht weiter nach Omraika, einem Dorf, das nur durch eine stundenlange Fahrt auf einer Ruckelpiste erreicht werden kann. In Omraika unterhalten CARE und WAAD ein Gesundheitszentrum. Es besteht aus einem Arztzimmer und zwei spartanischen Krankenzimmern. Was in dieser abgelegenen Gegend immer wieder zur Sprache kommt, ist eine fehlende Hebamme. Auch sollte die Krankenstation ausgebaut werden. Auf die Frage, warum keine der Frauen im Dorf sich zur Hebamme ausbilden lassen will, meinen die Dorfvorsteher, das gehe nicht, denn eine Frau dürfe nicht ohne männliche Begleitung nach Kassala, um dort eine Ausbildung zu erhalten.

Khartum, eine lebendige Stadt, in der Hoffnung zu spüren ist. In anderen Landesteilen sieht es weit schlimmer aus.

Und das hat zur Folge, dass weiterhin keine Hebamme hier vor Ort ist und dass weiterhin bei Schwangerschaftsproblemen die Frauen über die schlechte Straße nach Kassala gebracht werden müssen. Zurück in Khartum treffe ich Emad Zakria, einen jungen Mann, der aus Darfur kommt und dort mit Freunden "Shared Zone" aufgebaut hat, ein Netzwerk von Freiberuflern, kreativen Köpfen und kleinen Unternehmen. Er verkörpert wohl am besten die neue Generation im Sudan.

60 Prozent der Bevölkerung des Landes sind unter 25 Jahre alt. Seine Heimatregion Darfur ist noch immer voller Probleme: Kampfhandlungen, Flüchtlinge, Gewalt, Korruption, Hunger. Doch anders als viele junge Leute will Emad Zakria nicht nach Europa. Er will im Sudan bleiben. Die Jugend im Sudan habe mit dem Ende des Bashir-Regimes wieder Hoffnung geschöpft. Vorher hätten viele nur noch weg gewollt. Jetzt überlegen manche, hierzubleiben und beim Aufbau des Sudans zu helfen. Zakria will, dass die Welt erfährt, dass es im Sudan viele junge Leute gibt, die voller Potential, kreativ und innovativ sind.