Polizei nutzt Corona-Gästelisten: Jetzt spricht Bayerns Innenminister

18.7.2020, 14:32 Uhr

Wer in Bayerns Restaurants bedient werden möchte, der muss seine Kontaktdaten hinterlegen. Mindestens ein Name, eine Adresse und eine Telefonnummer wurden seit Mitte Mai wohl bereits hunderttausende Male verlangt, ein gewaltiger Datenschatz, auch wenn er nur dezentral in den Lokalen hinterlegt und nach vier Wochen vernichtet wird. In mehreren Fällen, das bestätigten mehrere Polizeipräsidien und das Innenministerium, wurden die Gästelisten aber auch zur Strafverfolgung genutzt. Obwohl die Staatsregierung stets betonte, dass damit lediglich Infektionsketten während der Corona-Pandemie nachverfolgt werden sollen. Ein Vertrauensbruch, kritisiert die Opposition im bayerischen Landtag. 

Jetzt kontert Bayerns Innenminister Joachim Herrmann. "Die Polizei geht in einem Wirtshaus einem Mordversuch nach und sucht Zeugen. Nach Auffassung von FDP und Grünen sollte sie den Täter lieber laufen lassen, anstatt die Gästedaten beizuziehen, um den Täter zu ermitteln oder Gäste ausfindig zum machen, die etwas gesehen haben könnten", sagt der CSU-Politiker auf Nachfrage der Nürnberger Nachrichten. Das sei "völlig absurd", so der oberste Dienstherr der bayerischen Polizei. 

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Herrmann spricht auch über die Suche nach einem vermissten Wanderer, der laut dem Innenministerium mutmaßlich Gast in einer Almwirtschaft im Freistaat gewesen war. "In einem solchen Fall geht es um Leben und Tod", heißt es aus dem Ressort. "Einen vermissten Wanderer würden Herr Hagen und Frau Schulze wohl auch lieber seinem Schicksal überlassen", sagt Herrmann. Der FDP-Politiker Martin Hagen hatte zuvor gefordert, die Gästedaten für polizeiliche Ermittlungen auszuschließen. Katharina Schulze, Fraktionschefin der Grünen, äußerte sich ähnlich.

"Der Bürger erwartet zu Recht, dass die Polizei im Rahmen der Rechtsordnung alles zu seinem Schutz unternimmt und nicht unter dem Deckmäntelchen eines falsch verstandenen Datenschutzes die Hände in den Schoß legt"
- Bayerns Innenminister Joachim Herrmann

Grundsätzlich, sagen Experten, sei das Vorgehen der Polizei zulässig. Der bayerische Datenschutzbeauftragte hat dennoch Bedenken. "Wenn sie das isoliert betrachten, dann ist das kein Problem", sagt Thomas Petri gegenüber den Nürnberger Nachrichten. Die Strafprozessordnung mache Zweckänderungen möglich. Daten, die ursprünglich zu einem anderen Zweck gesammelt wurden, dürfen von der Polizei genutzt werden. Doch es gibt verfassungsrechtliche Probleme. "Im Prinzip wird hier so etwas wie eine Vorratsdatenspeicherung auf den Weg gebracht", sagt Petri.

Die enge Zweck-Mittel-Relation, die unter anderem der Europäische Gerichtshof für derartige Sammlungen anmahnt, sei nicht gegeben. Der Datenschutzbeauftragte plädiert für ein Begleitgesetz auf Bundesebene, das regeln soll, wann die Polizei auf die Daten zugreifen darf - und wann nicht. 

Wann werden Gästelisten genutzt? Ministerium konkretisiert

Wann also greifen Ermittler auf die Daten zu? Gegenüber unserer Zeitung konkretisiert das Innenministerium: "Die Fälle beziehen sich vor allem auf Ermittlungsverfahren wegen schwerwiegender Straftaten, wie beispielsweise versuchte Tötungsdelikte." Grundsätzlich gelte die Zweckbindung, nach Auffassung des Ministeriums könne die zur Gefahrenabwehr aber aufgehoben werden - "soweit hierfür gesetzliche Grundlagen bestehen". 

Das Ministerium betont auch: Man wisse um die Sensibilität der Daten. Deshalb seien "die befassten Polizeibeamten gehalten, in entsprechenden Fällen frühzeitig die Abstimmung mit der sachleitenden Staatsanwaltschaft zu suchen und an die Prüfung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes in Bezug auf Anlass und Umfang einen engen Maßstab anzulegen."