Pränataldiagnostik: Debatte muss sich an Realität orientieren

11.4.2019, 09:59 Uhr

Der Bundestag debattiert am Donnerstag über Down-Syndrom-Bluttest als Kassenleistung. © Patrick Seeger/dpa

Neun von zehn Föten mit Down-Syndrom, schätzen Experten, werden in Deutschland abgetrieben. Gesicherte Zahlen gibt es nicht, aber dass ein Großteil der Kinder mit Trisomie 21 nie auf die Welt kommt, ist eine Tatsache. Und das geht einer Gesellschaft, die sich so sehr wie nie zuvor um die Rechte und die Teilhabe behinderter Menschen sorgt, unter die Haut.

Die aktuelle Debatte im Bundestag und in der Gesellschaft um nicht-invasive pränatale Tests, die eine Trisomie 21 sehr verlässlich detektieren können und demnächst in bestimmten Fällen von der Kasse bezahlt werden könnten, ist zu Recht hoch emotional. Es ist auch höchste Zeit, sie zu führen, geht es doch um grundlegende Fragen: Was kann die Medizin? Was soll sie künftig können? Und welche Grenzen setzen wir ihr?

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 "Die richtigen Leitplanken geben"

Allerdings ist die Gefahr beträchtlich, dass der Diskurs gerade wegen der Emotionalität abdriftet. Deshalb muss man sich klarmachen, dass es nicht um die grundsätzliche Frage geht, ob Kinder mit Behinderungen abgetrieben werden dürfen oder nicht. Auch, ob die pränatalen Tests, die Selbstzahler schon seit 2012 nutzen, verboten werden, ist kein Thema.

Die Realität ist vielmehr: Die Tests sind zugelassen, sie werden immer billiger – und stehen damit in Zukunft de facto auch ohne Kassenzulassung so gut wie allen Schwangeren zur Verfügung. Dieses Rad lässt sich nicht zurückdrehen.

Im Übrigen würde selbst ein Verbot der Blutanalysen am ethischen Dilemma wenig ändern. Auch andere nicht-invasive Verfahren wie das Ersttrimester-Screening, ebenfalls eine Selbstzahlerleistung, sind darauf ausgelegt, Trisomien zu erkennen. Auch hier werden über 90 Prozent der betroffenen Föten identifiziert.

 

Es muss jetzt deshalb darum gehen, der Pränataldiagnostik die richtigen Leitplanken zu geben. Eine kann sein: Weiterhin eine inklusive Gesellschaft voranzutreiben, die "Ja" zu Menschen sagt, die nicht der Norm entsprechen. Ein solches positives Klima kann im entscheidenden Moment Mut machen.

Ärzte sind in der Verantwortung

Zum anderen ist es dringend nötig, die Beratungsqualität und die ethische Aufklärung in der Pränataldiagnostik zu verbessern. Schwangeren ist vor einer Untersuchung zu oft nicht klar, welchen Preis das Wissen haben kann. Auch nach einer Diagnose kommt den Ärzten die größte Verantwortung dabei zu, beide Optionen aufzuzeigen: die Schwangerschaft zu beenden – oder sich auf das Leben mit einem besonderen Kind einzulassen.

Für diese Begleitung braucht es Zeit, Qualifikationen und verpflichtende ethische Standards. Für welchen Weg sich eine Frau oder ein Paar am Ende entscheidet, ist Privatsache, und es verbietet sich für Dritte, den Stab zu brechen. Aber je umfassender informiert ein Test gemacht wird oder eine Entscheidung fällt, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass auch die Rechte des Kindes genug Gehör finden.