Rückkehr nach Moskau: Nawalny ist Putins Staatsfeind Nr. 1

18.1.2021, 17:46 Uhr

Vor der spontanen Gerichtsverhandlung: Alexej Nawalny in einer Polizeistation in Moskau. © Kira Yarmysh, dpa

Eigentlich müsste der Mann längst tot sein. So hatte es - allem Anschein nach - der Kreml gewollt. Und im August einen Anschlag mit dem als Chemiewaffe geltenden Nervengift Nowitschok auf Alexej Nawalny verüben lassen. Er überlebte, wurde in Deutschland gesundgepflegt. Und das Opfer dieser Tat selbst war es, das die Drahtzieher mit entlarvte: Nawalny rief vor ein paar Wochen einen der verdächtigen Agenten an - und der gestand ihm, an der Tat beteiligt zu sein.

Die Realität ist dramatischer als ein Thriller

Klingt alles nach einem Polit-Krimi nach Art des kürzlich verstorbenen John Le Carré. Wieder mal überbietet die Realität aber die Fiktion. Und so erleben wir in Russland ein Drama, das heißen könnte wie ein US-Thriller: "Der Staatsfeind Nr.1"

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In dieser Rolle sieht Kreml-Chef Wladimir Putin ganz offensichtlich den Russland-Rückkehrer Nawalny. Anders lässt sich die drakonische Härte nicht erklären, mit der Moskau auf die Ankunft des Regimekritikers reagiert hat. Nun wurde das Opfer eines Anschlags verurteilt, die Suche nach den Tätern hat noch nicht ansatzweise begonnen.



Clevere "smarte" Abstimmungen

Im Herbst sind Duma-Wahlen im russischen Riesenreich. Und Nawalny hat schon einmal vorgemacht, wie das geht: die Putin-Partei "Einiges Russland" zu schwächen. Da er selbst nicht kandidieren kann, rief er bei etlichen regionalen Wahlen dazu auf, dafür zu sorgen, dass der Kandidat der Kreml-Partei nicht die Mehrheit erreicht - dadurch, dass Unzufriedene für den jeweils aussichtsreichsten Oppositionsbewerber votieren. "Smarte Abstimmung" nennt Nawalny das, und er brachte Putin damit schon einige peinliche Schlappen bei.

Der Kremlchef tut gern so, als sei Nawalny irgendein Oppositionspolitiker, spricht von "einem bekannten russischen Blogger", um ihn abzuwerten. Doch es macht ihn offensichtlich höchst nervös, wie dieser vermeintliche Nobody an seiner Macht rüttelt. Nawalny kennt die Stimmung im Land von vielen Reisen, er registriert die Unzufriedenheit mit Putins System, die durchaus wächst. Und ihm gelingt es, diese Wut zu kanalisieren. Das macht ihn so gefährlich für den Moskauer Machthaber.

Hau-Ruck-Verfahren

Der gibt sich schon gar nicht mehr die Mühe, so zu tun, als gehe es in Russland rechtsstaatlich zu. Das Hau-Ruck-Verfahren, mit dem Nawalny nun zu 30 Tagen Haft verurteilt wurde, ist eine Farce.

Und ein Fehler Putins. Er sorgt selbst dafür, dass sein gefährlichster Gegner noch populärer wird - als Held hinter Gittern. Nawalny rief schon jetzt zu Protesten auf - ein Appell, der durchaus auf Resonanz stoßen könnte. Der Kreml-Chef muss in seiner Nachbarschaft, in Weißrussland, beobachten, wie starke Oppositionelle das Regime des Diktators Lukaschenko erschüttern. So eine Situation will er vermeiden. Er forciert sie aber mit seiner Überreaktion.

Der Druck wächst - von außen wie von innen

Wie soll "der Westen", wie soll Europa, wie Deutschland reagieren? Gelassen, mit der Fortsetzung der (relativ sanften) Sanktionen gegen Moskau, mit Rückendeckung für rechtsstaatliche Prinzipien, mit der Forderung nach Freilassung Nawalnys. Und eine deutsche Auszeit für Putins Pipeline Nord Stream 2 würde sicher Wirkung zeigen.

So könnte der Druck auf Putin steigen - von außen wie von innen. Was nun mit Nawalny geschah, wird womöglich zum Startschuss einer Oppositionsbewegung, die der Kremlchef mit Druck und Gewalt allein nicht mehr unter Kontrolle bekommt. Vielleicht probiert er es dann ja doch mal mit Reformen und mehr Demokratie.