Wenn Mitarbeiter um Weisheit für die Chefs beten

6.11.2017, 19:16 Uhr

Der Katholik Klaus Kühnel aus Erlangen unterscheidet zwischen "lauen" und "ernsthaften" Christen. Erstgenannte gehen sonntags lieber zum Golf oder Tennis statt in die Kirche, Zweitgenannte bekennen sich im Gotteshaus und bei Andachten zum Glauben und zu Gott. Kühnel ist Leiter einer Ingenieurabteilung des Areva-Konzerns (Atomtechnik) in Erlangen und Sprecher des Gebetskreis-Netzwerks "Global Prayer" (weltweites Gebet). Dieser Name – in Anlehnung an die multinationale Bezeichnung "Global Player" entstanden – sei freilich ein bisschen übertrieben, gibt Kühnel auf Anfrage zu, ergänzt aber spontan, "dass wir gerne internationaler verbunden wären".

Bisher gehören hauptsächlich Mitarbeiter mehrerer Firmen aus Franken dem Netzwerk an. Deren Zusammenkünfte sind in Form und Dauer so gestaltet, dass sie sich in den geschäftlichen Alltag der jeweiligen Firmen integrieren lassen.

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So betet eine Gruppe von Areva-Mitarbeitern jeweils montags von 12.30 bis 13.15 Uhr unter dem Motto "Gottes guter Wille soll wie im Himmelreich so auch in unserer Arbeitswelt geschehen". Von den Gebetskreisen werden keine Fotos gemacht.

Große Konzerne wie Siemens, Porsche, Daimler oder Nestlé gehören zu dem Kreis, aber auch Mittelständler, Behörden (Arbeitsagentur Kiel, Finanzamt Karlsruhe) oder Kommunen (die Stadt Fürth). Es gibt sogar Unternehmen mit mehreren Gebetskreisen an unterschiedlichen Firmenstandorten (Daimler hat über 30 davon). Während viele Gruppen eine Öffentlichkeitsarbeit betreiben und für ihren gelebten Glauben leben, wollen einige von ihnen — ganz wertkonservativ — unter sich bleiben und keine Medien zulassen.

Als besonders eindrückliches Beispiel dafür, dass "unsere Gebete konkret erhört werden", verweist Klaus Kühnel auf die große Krise bei Siemens-Medizintechnik im Jahr 1998 in Erlangen. "Damals sollte fast alles platt gemacht werden. Unsere Kreise haben sich zusammengeschlossen und in Einheit für den Erhalt des Geschäfts und der Arbeitsplätze gebetet."

Plötzlich seien die Aussagen der Geschäftsleitung immer günstiger geworden, bis von Entlassungen nicht mehr die Rede war. "Schließlich hat der Konzern sogar neu investiert und im ehemaligen Gelände der amerikanischen Kaserne, dem heutigen Stadtteil Röthelheimpark, einen neuen Gebäudekomplex für die Medizintechnik errichtet."

Zur Stärkung der gemeinsamen Vision der "Global Prayer"-Gebetskreise wird jedes Jahr eine offene halbtägige Konferenz am Buß- und Bettag mit einem Gottesdienst als Höhepunkt abgehalten. Jeder könne teilnehmen, so Kühnel.

Dieser große Gottesdienst findet heuer am 22. November, 16 Uhr, in Erlangen (Pacellihaus), Sieboldstraße 3, statt. Hauptredner ist Günther Beckstein, ehemaliger bayerischer Ministerpräsident; er spricht über das Thema "Die zehn Gebote in der Arbeitswelt".

Ein anderer Gebetskreis ist weniger auskunftsfreudig. "Sind Sie ein Christ?" fragt die Sprecherin einer Fürther Kirchengemeinde barsch am Telefon. Der Reporter ist baff, zögert etwas, antwortet dann, er sei gläubig. Diese Auskunft beruhigt die Frau offenbar, um ihn als Gesprächspartner akzeptieren zu können.

Die Sprecherin, die ihren Namen nicht nennen will, organisiert seit zwei Jahren einen Gebetskreis in Fürth, in dem Christen aller Konfessionen für das Wohlergehen der Stadt und der Stadtväter beten. Ein kleiner Kreis — zirka ein Dutzend Teilnehmer(innen) — trifft sich in einmal monatlich zu Andacht und Gebet; der Ort soll nicht genannt werden.

Außerdem wird einmal pro Jahr im Sitzungssaal des Fürther Rathauses gebetet und gesungen, die Teilnahme ist offen (etwa 60 Plätze). Daran nehmen abwechselnd Bürgermeister Markus Braun oder Oberbürgermeister Thomas Jung teil.

Dazu die Sprecherin: "Fotos sind bei den Andachten nicht erwünscht, denn wir brauchen einen gewissen Schutz, wir leben in einer gefährlichen Zeit, und es kann noch schlimmer kommen." Sie verweist darauf, "es stehe bereits in der Bibel, für alle Menschen und die Obrigkeit zu beten" (1, Timotheus 2). Im Übrigen könne man beobachten, so die Frau weiter, dass das Klima im Fürther Stadtrat entspannter geworden sei, seitdem für das Wohl der Kommune gebetet werde.

Ähnlich reagiert der Gebetskreis einer großen Brauerei Mittelfrankens. Eine Anfrage der Redaktion, an einer Andacht teilnehmen zu können, wird abgelehnt mit der Begründung, "es handle sich um eine rein interne Angelegenheit, die nicht für die Öffentlichkeit bestimmt ist". Die Firma teilt dazu weiter mit: "Auch wenn das Anliegen der NN ein sehr schönes ist, möchten wir gerne im Verborgenen für unser Unternehmen und seine Mitarbeiter mit Gott reden gemäß dem biblischen Wort vom Beten im stillen Kämmerlein."

Der Geschäftsführer gibt zwar weiter Auskunft, möchte aber auch seinen Namen nicht in der Zeitung lesen. Er sei davon überzeugt, "dass der Erfolg unseres Unternehmens von der inneren Haltung abhängt", deshalb habe der Spruch "An Gottes Segen ist alles gelegen" für ihn eine große Bedeutung.

Der Chef teilt mit, dass die Mitglieder des seit Jahren bestehenden Gebetskreises sich auf freier Basis jeweils mittwochs vor Arbeitsbeginn im großen Besprechungsraum treffen — vom Hausmeister über den Außendienstmitarbeiter bis zum Personalchef. Die Zusammenkunft leite der führende Mitarbeiter eines Tochterunternehmens der Brauerei.

Der Geschäftsführer weiter: "Ich selbst bin nur ein einfaches Mitglied der Gruppe. Gebetet wird für wirtschaftliche Anliegen, die mit dem Unternehmen zu tun haben, wie auch für persönliche Probleme der Belegschaft, zum Beispiel Krankheitsfälle.

Auch die klassische Bitte um Weisheit, vor allem an die Geschäftsleitung gerichtet, fehlt eigentlich nie". Er räumt allerdings ein, dass die gläubige Haltung des Unternehmens bei manchem Mitarbeiter auf Skepsis stößt.

Über den Kreis werde intern bereits genug "spekuliert und gespottet", berichtet er, fügt aber hinzu, "es wäre freilich unnormal, wenn dies nicht so wäre".

Doch auch das Gegenteil scheint der Fall zu sein: Dass sich Informationen über den Gebetskreis positiv auf den Verkauf auswirken, beweise die Tatsache, dass schon manche Gäste nach einem 90-minütigen Firmenrundgang bei anschließender fränkischer Brotzeit spontan erklärten, angesichts des bekennenden Christentums würden sie künftig bevorzugt das Bier dieser Brauerei trinken.

Darüber hinaus trifft sich in den Räumen der Brauerei, wie das Büro des Fürther Oberbürgermeisters bestätigt, gelegentlich noch ein weiterer Kreis verschiedener Persönlichkeiten aus der Region zum Gebet, unter ihnen ein ehemaliger Polizeichef in Fürth, ein früherer Landrat und eine ehemalige Bundesministerin.

Die Entwicklungen in Politik und Wirtschaft der vergangenen Jahre zeigen jedenfalls, dass christliche Ethik immer stärker Einzug hält in Unternehmens-Philosophien. Viele Manager und Führungskräfte suchen mittlerweile Halt bei Gott. Sie sehen es als eine Herausforderung, den Mitarbeitern in den Firmen eine Chance zu geben, ihre Fähigkeiten einzubringen und damit auch ihren Familien die Möglichkeit zur Lebensgestaltung zu geben.

Dazu erklärt ein promovierter Betriebswirt, dem selbst eine Unternehmensgruppe gehört: "Die Anforderungen in der Wirtschaft werden immer größer, das Klima wird kälter, härter, rücksichtsloser." Als Folge lehre Not beten, auch in den Chefetagen. Im Frankfurter Westend etwa strömen jeden Dienstagmittag viele Bosse zum "Bankergebet" in die St. Antonius-Kirche — und mancher Geistliche führt gar ein zweites Berufsleben als Management-Coach.

Wie beispielsweise Pater Anselm Grün (72) vom Benediktiner-Kloster Münsterschwarzach, der mit seiner Botschaft durch das ganze Land reist, heute bei der Sparkasse Erlangen, morgen beim Bayerischen Bauernverband und übermorgen bei den Wirtschaftsjuroren Forchheim.

Der ehemalige Cellerar (Wirtschaftsverwalter) des Klosters — eigenen Angaben zufolge investiert er auch in Aktien und Anleihen — hat bisher über 300 Bücher veröffentlicht.

Als Referent ist er pro Jahr bei rund 200 Vorträgen im In- und Ausland unterwegs, gelegentlich tritt er auch im Fernsehen auf. Seine Themen lauten "Menschen führen – Leben erwecken", "Führen mit Werten" oder "Spirituell führen mit Benedikt und der Bibel".

Auch Mönchskollege Anselm Bilgri, ehemaliger Cellerar des Klosters Andechs, steht so oft auf dem Podium, dass eine Illustrierte ihn bereits zum "Manager-Messias" beförderte.

Theologin Susanne Sandherr, Professorin an der Katholischen Stiftungsfachhochschule in München, sieht hingegen in diesem Trend eine typische Entwicklung der Zeit. "Dass sich eine Führungskraft in einer herausgehobenen Position offen zum Glauben bekannt, ist ein Zeichen der Postmoderne. Ihr Kennzeichen ist die Beliebigkeit. Medien und Internet zeigen es uns jeden Tag. Alles ist möglich. In diesem Umfeld können die Menschen wieder wagen, sich offen zur Religion zu bekennen. Es erregt keinen Anstoß mehr."