Wer soll uns am Ende des Weges helfen?

4.3.2015, 12:00 Uhr

Das Thema Sterbehilfe erhitzt weiter die Gemüter. ©  Oliver Berg/Archiv (dpa)

NZ: Warum soll die Sterbehilfe überhaupt neu geregelt werden?

Michael Frieser: Die Rechtsprechung hat sich fundamental verändert. Die Sterbehilfe-Organisationen werden immer aktiver, Vereine, Verbände, auch Einzelpersonen. Da spielen Namen wie Kusch, Arnold, Dignitas etc. eine große Rolle. Es gab weitgehende Rechtsänderungen in den Beneluxstaaten. Und in der deutschen Rechtsprechung wurde eine Position aufgeweicht, die wir eigentlich gesetzlich abgesichert hatten: Die Selbsttötung ist straffrei, und infolgedessen ist es auch die Beihilfe dazu – aber nur, solange sie eine passive Rolle einnimmt. Also rein unterstützend, soweit man keine Tatherrschaft übernimmt. Inzwischen geht man aber wesentlich weiter und sagt, dass auch eine fast aktive Sterbehilfe durchaus von der Rechtsprechung gedeckt ist.

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NZ: Wie muss man sich eine „fast aktive“ Sterbehilfe vorstellen?

Frieser: Denken wir einmal an schmerzlindernde Maßnahmen in der Palliativmedizin. Ein Arzt, der Schmerzen bis zu einem sehr hohen Grad versucht zu lindern, der nimmt es dabei billigend in Kauf, dass infolge dieser Maßnahmen das Leben seines Patienten vorzeitig enden kann. Das ist eine Position, die man in Deutschland mittlerweile akzeptiert, bis hin zum aktiven Eingreifen: Der Patient, der an lebenserhaltende Maßnahmen angeschlossen ist, der kann durch aktives Unterbrechen dieser Maßnahmen „vorzeitig“ dem Tod ein Stück nähergebracht werden. Diese Positionen haben sich stark verändert. Um nicht falsch verstanden zu werden, diese wichtigen, medizinischen Einzelfälle sollen und müssen weiterhin möglich bleiben.

NZ: Wo liegen die Probleme?

Frieser: Nicht die wenigen, existenziellen Einzelfälle, die tief ins persönliche Verhältnis zwischen Arzt und Patient reichen, sind unsere Herausforderung. Sondern Vereine, die sich in Deutschland ausbreiten und Menschen – oft mit mangelnder Beratung zum Leben hin – den leichten Weg zum Tod versprechen. Das Verbot des geschäftsmäßigen Handels mit dem Sterben ist die zentrale Forderung in unserem Positionspapier, das von einem Großteil der Unionsfraktion unterstützt wird. Unter Strafe gestellt werden soll das Schaffen von Strukturen und Organisationsformen, die Suizidbeihilfe geschäftsmäßig betreiben.

NZ: Auch Vereine ohne finanzielle Absichten?

Frieser: Ja. Wenn man sich allerdings die Organisation Kusch anschaut: Die nimmt kein Geld, aber sie nimmt Mitgliedsbeiträge. Und wer weniger zahlt, der wartet eben, und wer mehr zahlt, der ist gleich dran. Man kann viele Wege finden, um dieses vorgeblich mitleidige, selbstlose Tun in eine aktive und vielleicht sogar gewerbsmäßige Form zu überführen. Es gibt leider keine andere Möglichkeit, als dies über das Strafrecht zu regeln. Das ist einer der Unterschiede zu anderen Positionspapieren. Auch die lehnen Organisationen ab, sie wollen die Suizidbeihilfe aber nicht über das Strafrecht regeln, sondern vereinsrechtlich. Und sie wollen mit einem Katalog von Voraussetzungen eine ärztliche Suizidbeihilfe legitimieren. Zu den Voraussetzungen gehört, dass eine unheilbare Krankheit vorliegt, die in absehbarer Zeit zum Tode führt. Der Sterbewillige darf aber keine psychischen Defekte oder Depressionen haben.

NZ: Das ist schwer zu definieren und zu überprüfen.

Frieser: Wie soll denn das in der Praxis aussehen? Wie viele Gutachten bräuchte ich, um zu zeigen, dass jemand wirklich frei von psychischer Belastung ist? Bei einer tödlichen Krankheit wird schon alleine die Nachricht darüber die Psyche beeinträchtigen. Alleine die Voraussetzungen machen es schon sehr, sehr schwer. Und gerade die ganz überwiegende Mehrheit der Ärzte – wie auch die Bundesärztekammer – will unter keinen Umständen eine solche „Lex Ärzte“, also ein Gesetz mit einer nur für die Ärzte geregelten Form der Suizidbeihilfe. Das verträgt sich überhaupt nicht mit dem hippokratischen Eid. Stellen Sie sich bitte vor, wir bräuchten hier eine eigene Gebührenziffer für Suizidbeihilfe – undenkbar.

NZ: Aber es gibt momentan eine Rechtsunsicherheit bei vielen Ärzten.

Frieser: Es gab sehr viele, stundenlange, nächtelange Diskussionen mit Ärzten darüber. Und ich will ja gar nicht in Abrede stellen, dass es Ärzte gibt, die versuchen, diese schwierige Abwägungssituation mit einem Katalog von Voraussetzungen aufzufangen. Aber der absolut überwiegende Teil der Ärzte sagt: Es geht immer um die Absicht des Arztes. Verabreiche ich dem Patienten dieses Sedativum, um sein Leiden zu lindern, eingedenk der Tatsache, dass der Tod früher als vielleicht natürlich einträte? Tue ich es, um sein Leben zu beenden, oder um sein Leiden zu minimieren? Darum geht es.

NZ: Unerträgliches Leiden zählt auch zu den Voraussetzungen für die ärztlich assistierte Sterbehilfe im Positionspapier Hintze, Reimann, Wöhrl.

Frieser: Wenn Sie die Menschen fragen, die jeden Tag damit zu tun haben – in der Palliativmedizin oder der Hospizarbeit: Es gibt kein Krankheitsbild mehr, das den Menschen zu unermesslichem Leid verurteilt. Das Sterben schreckt ja die wenigsten Kranken, aber der Weg dorthin. Das Alleinsein und die Angst vor unermesslichem Schmerz. Und da sagen alle Palliativmediziner: Wir sind heute so weit, dass wir die Menschen vom Schmerz befreien können. Wir müssen ihnen nur den Zugang ermöglichen.

NZ: Erklärt die Angst vor dem Leiden die hohe Zustimmung zur aktiven Sterbehilfe in Umfragen?

Frieser: Ja. Das ist es, wovor die meisten Menschen panische Angst haben, dem wollen sie durch diesen selbst gewählten Ausweg entgehen. Doch je näher sie dran sind, desto öfter ändert sich das wieder. Der Fall Walter Jens zeigt das eindringlich. Nachdem er von seiner Alzheimer-Erkrankung erfuhr, hatte er für sich verfügt, dass er unter keinen Umständen in irgendeiner Art dahinvegetieren möchte. Und als er schon fast nicht mehr reden konnte, hat er sich diese drei Worte noch abgerungen: „Nicht tot machen!“. Am Ende bleibt die entscheidende Frage: Will die Gesellschaft die Voraussetzung dafür schaffen, dass der Mensch dem ihm gegebenen Leben selbst ein Ende setzt?

NZ: Bedeutet Ihr Positionspapier eine Verschärfung der Rechtslage?

Frieser: Es ist insofern schon eine Verschärfung, weil wir ein Themengebiet anpacken, das bisher nicht geregelt ist: Die Frage der Organisiertheit eines Sterbehilfe-Vereins. Bei geschäftsmäßiger Form ist es ein halblegaler Zustand, der sich auszuweiten droht. Bislang ist es nicht verboten, dass sich Menschen das Thema auf die Fahne schreiben und eine organisatorische Einheit bilden. Es ist nur verboten, dass sie am Ende bei der entscheidenden Tat die Grenze der passiven Beihilfe zur aktiven Tatherrschaft übergehen. Unsere Gesellschaft muss aber schon vorher dafür sorgen, dass jemand in einer existenziellen Notlage auch ordnungsgemäß beraten wird. Denn: Wenn der angebotene Tod zu einer gesellschaftlich akzeptierten Option wird, ist nicht nur das Schutzgut Leben bedroht, zu dessen unbedingtem Schutz wir durch das Grundgesetz aufgefordert sind. Die Gesellschaft insgesamt wird eine andere Richtung einschlagen. Der Druck auf Menschen, die ihr Leid für sich und andere als „unzumutbar“ empfinden, wird elementar werden und sie in eine falsche Richtung drängen.

NZ: Wollen Sie die ordnungsgemäße Beratung konkreter regeln?

Frieser: Ja, die Beratung muss eine Begleiterscheinung der Förderung der Hospiz- und Palliativmedizin sein. Da sind sich ja alle einig, dass die palliativen Einrichtungen ausgebaut werden müssen. Die Menschen müssen schnell Beratung bekommen von jemandem, der darin Erfahrung hat. Nicht von jemandem, der aus welchen Gründen auch immer gegen das Leben berät und nicht dafür. Die Politik darf sich nur dann anmaßen, beim assistierten Suizid einzugreifen, wenn sie auf der anderen Seite mit einem weitreichenden Ausbau der ambulanten Palliativversorgung und der Hospizarbeit den Menschen in schwierigster Lebenssituation eine Alternative anbietet.

NZ: Die letzte Frage: Wie wollen Sie sterben?

Frieser: Auch ich bitte meinen Schöpfer um ein schnelles Ende. Ich will meine Angelegenheiten geordnet haben. Aber ich nehme auch mein Ende an, so wie es ist. Und ich habe erlebt, dass Leiden sehr viel mehr sein kann als nur Schmerz. Es kann auch sehr wohl zu einer Form der Auseinandersetzung mit sich selbst führen. Und deshalb glaube ich, es ist wichtig: Auch das ist ein Teil von mir, wenn es länger dauert, dann dauert es länger. Und ich hoffe, dass ich in einer Gesellschaft lebe, die mich dann auffängt. Und ich glaube, dass ich auch dann in der Hand eines Höheren ruhe, der mich immer noch trägt und beschützt.

„Ist am Ende des Lebens eine Hilfe zum Sterben erlaubt?“ Um diese Frage dreht sich die Gesprächsrunde mit Dekanin Ursula Seitz und NZ-Chefredakteur Raimund Kirch in der Evang.- Luth. Kirchengemeinde Heilig-Geist. Am Sonntag, 8. März, um 18 Uhr im Gemeindehaus Am Doktorsfeld 13 in Nürnberg-Laufamholz.