Oft ist es Nötigung

Drängler auf der Autobahn: So reagieren Sie richtig

8.9.2022, 04:59 Uhr

Es ist eine Standardsituation auf der Autobahn: Mit hoher Geschwindigkeit taucht ein anderes Fahrzeug im Rückspiegel auf, heftet sich gefühlt an die Stoßstange und meldet unter exzessivem Gebrauch der Lichthupe seinen Anspruch an, freie Fahrt auf der Überholspur zu bekommen.

Das ist mehr als nur eine Unsitte und auch dann nicht gerechtfertigt, wenn der/die Vorausfahrende tatsächlich die linke Spur blockiert, ohne selbst zu überholen. „Drängeln ist neben überhöhter Geschwindigkeit eine der beiden häufigsten Unfallursachen hierzulande“ weiß man beim Goslar Institut der HUK-Coburg-Versicherung. Wenn es auf Deutschlands Autobahnen zu einem Crash komme, sei in der Regel Rasen oder Drängeln oder beides in Kombination im Spiel.

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Erschrecken und Panikreaktionen

Hochgradiges Gefahrenpotenzial besitzen solche Situationen aus mehreren Gründen. So können sie beim Bedrängten heftiges Erschrecken und Panikreaktionen auslösen, die dann in eine Katastrophe münden. Schlagzeilen machte etwa im Jahr 2003 der sogenannte „Autobahnraser-Fall“ - ein Testfahrer des damaligen DaimlerChrysler-Konzerns war mutmaßlich so schnell und so nahe an das Fahrzeug einer jungen Frau herangefahren, dass sie abrupt nach rechts lenkte und dabei die Kontrolle über ihren Kleinwagen verlor. Bei dem Unfall verlor neben der 21-jährigen selbst auch deren zweijährige Tochter das Leben. Der Testfahrer wurde vor Gericht schuldig gesprochen, in zweiter Instanz reduzierte sich das Strafmaß allerdings auf zwölf Monate auf Bewährung, was in den Medien seinerzeit heftig kritisiert wurde.

Die Lage kann aber auch dann eskalieren, wenn sich der/die Bedrängte eher gegenteilig verhält und meint, verkehrserzieherisch tätig werden zu müssen – beispielsweise, indem das Tempo drastisch reduziert und der Überholvorgang betont lange verzögert wird. Ebenfalls beliebt ist es, das Bremspedal mit ein paar Stakkato-Tritten zu bearbeiten und dem Hinterherfahrenden rote Bremslicht-Signale ins Cockpit zu schicken.

Auch wenn der Drängler der eigentliche Aggressor ist: Wie gefährlich die Situation tatsächlich wird, hängt mitunter auch davon ab, wie der unter Druck gesetzte Autofahrer reagiert. Leicht fällt es nicht, angesichts der Provokation ruhig und gelassen zu bleiben. Und doch ist es wichtig, um eine Deeskalation zu bewirken.

Lieber vorbeiziehen lassen

Oft lässt sich einer Konfrontation schon durch regelmäßige prüfende Blicke in den Rückspiegel vorbeugen: Nähert sich ein schnelleres Fahrzeug, das man eventuell behindert? Gegebenenfalls – und wenn möglich – sollte man den eiligen Wagen lieber vorbeiziehen lassen. Nach dem Überholen ist es angebracht, gleich wieder auf die rechte Spur zu wechseln. Hat das eigene Verhalten dazu geführt, dass der von hinten Herannahende stark abbremsen musste, wird ein entschuldigendes Handzeichen oft als nette Geste akzeptiert.

Gar keine gute Idee ist es hingegen, ohne zwingenden Grund das Tempo stark zu verlangsamen, den dicht Auffahrenden auszubremsen oder – wie beschrieben – kurz aufs Bremspedal zu treten. „Das ist strafbar“, warnen die Experten des Goslar Instituts. Wird der nachfolgende Verkehrsteilnehmer gefährdet oder kommt es gar zu einem Unfall, sind 20 Euro Verwarngeld das Mindeste, was an Konsequenzen blüht.

Welche Sanktionen können aber dem Drängler drohen? Das kommt darauf an, wie sein Verhalten eingeordnet wird – „nur“ als Abstandsunterschreitung oder als Nötigung. In ersterem Fall hängt die Strafe unter anderem von der gefahrenen Geschwindigkeit und davon ab, in welchem Maße der Sicherheitsabstand verletzt wurde. Die Bandbreite reicht von 25 Euro Bußgeld bis hin zu 400 Euro, zwei Flensburg-Punkten und einem dreimonatigen Fahrverbot.

Heftiger kann die Sache ausgehen, wenn der Fall gemäß Paragraf 240 des Strafgesetzbuches als Nötigung und somit als Straftat interpretiert wird. Neben Geldstrafen drohen in besonders schweren Fällen auch der Entzug der Fahrerlaubnis oder sogar Freiheitsstrafen. Allerdings seien die „Tatbestände leider nicht immer eindeutig“, sagen die Goslar-Experten. In aller Regel müssen mehrere Dinge zusammenkommen. Zu dichtes Auffahren allein reicht ebensowenig aus wie der ausschließliche Missbrauch der Lichthupe. Erst ein mehrmaliges Aufleuchten in Kombination mit einem verminderten Sicherheitsabstand hat gute Chancen, als Nötigung zu gelten.

Abstandssünde oder Nötigung?

Zumindest meistens ist das so. Doch wenn der Abstand zum Vordermann über einen längeren Zeitraum hinweg viel zu gering bleibt oder die Lichthupe besonders exzessiv eingesetzt wird, kann schon jede dieser "einfachen" Ordnungswidrigkeiten für sich zur Nötigung werden.

Sein Fehlverhalten muss dem Drängler jedoch erst einmal nachgewiesen werden. Wer Anzeige erstattet, sollte Fahrzeug (Modell? Farbe?) und Fahrer(in) genau beschreiben können und neben dem Kennzeichen auch den Zeitpunkt und den Ort des Geschehens parat haben. Gut ist es, Zeugen benennen zu können, Mitfahrende beispielsweise. Auch Fotos oder Filmaufnahmen sind unter Umständen hilfreich. Allerdings dürfen sie nicht vom Fahrer beziehungsweise der Fahrerin selbst angefertigt worden sein – verbotene Handynutzung am Steuer kostet bekanntlich 100 Euro und einen Flensburg-Punkt.