Tesla-Gegner aus China

Nio ET7: Erste Ausfahrt im chinesischen Luxus-Stromer

13.11.2022, 11:56 Uhr

Nio ET7: Die elektrische Luxuslimousine nimmt sich unter anderem Tesla vor. © Hersteller

„Wollen Sie schnell swobben?“, fragt Daniel Medawar. In korrektem Schrift-Denglisch würde das „swappen“ heißen und Batterietausch meinen. Ja, wir wollen. Medawar gibt die Instruktionen: Auf dem Infotainment-Bildschirm die Tauschstation lokalisieren, Reservierung und Buchung vornehmen, dann den automatisierten Parkvorgang aktivieren. Rückwärts rangiert das Fahrzeug in ein Gebäude, das einer Waschanlage nicht unähnlich sieht. Wie von Zauberhand wird das Auto etwas angehoben, dann spielen sich geheimnisvolle Vorgänge unter dem Wagenboden ab, und nach etwa fünf Minuten ist der Nio ET7 mit einem frisch geladenen Austausch-Akku bereit für die Weiterfahrt.

Power-Swap-Stationen

Daniel Medawar zeichnet bei Nio verantwortlich für den Ausbau der Ladeinfrastruktur. Ein wichtiger Job, denn der Akkuwechsel als Alternative zum – ebenfalls möglichen – klassischen Laden ist eine Besonderheit, mit der sich die junge chinesische Marke von anderen Elektroauto-Anbietern abheben will. Eine Power-Swap-Station gibt es bereits in Zusmarshausen bei Augsburg, zwei weitere befinden sich in Berlin und Hilden bei Düsseldorf. Mittelfristig, sagt Medawar, sollen daraus in Deutschland 100 werden und europaweit schon im kommenden Jahr 120.

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Den hiesigen Markt will Nio zunächst mit der 5,10 Meter langen, eleganten und strömungsgünstig geformten Luxuslimousine ET7 erobern, die sich unverkennbar das Tesla Model S zum Vorbild nimmt, oberhalb der Windschutzscheibe aber ein etwas merkwürdig anmutendes Gebilde trägt, in dem die Sensoren für das dereinst mögliche autonome Fahren wohnen. Vorerst kann der ET7 nur die Spur halten und mit einem Abstandstempomaten dienen.

Diese Power-Swap-Station zum Akkutausch gehört zum Sortimo-Ladepark Zusmarshausen bei Augsburg. © Hersteller

Auch der minimalistisch reduzierte Innenraum orientiert sich an Tesla, die allermeisten Funktionen sind über den großen Touchscreen im Tablet-Stil anzusteuern, leider auch Elementares wie die Einstellung von Außenspiegeln und Lenkrad, das ist umständlich und lenkt den Blick unnötig ab. Zur Vorliebe chinesischer Kunden für Verspieltes passt zudem Nomi, ein kugelrundes, drehbares Ding auf dem Armaturenträger, dessen menschelnd blinzelnde Äuglein auf Blickkontakt mit dem Fahrer bleiben und das Sprachbefehle ausführt sowie die Navi-Hinweise verbalisiert. Außerdem warnt Nomi, wenn das zulässige Tempo überschritten oder die Spur verlassen wird. Eine „erwachsenere“ Ausführung ohne Knubbel-Knöpfchen und Comic-Stimmchen, sagt Nio-Produktchef Ben Steinmetz, sei für 2023 in Vorbereitung.

Maximal reduziert: ET7-Interieur.  © Hersteller

Vergleichsweise klein fällt der Kofferraum mit seinen 370 Litern aus, erweiterbar durch Umklappen der Rücksitzlehnen ist er nicht, und auch kein zusätzliches Staufach („Frunk“) unter der Fronthaube erweitert die Lademöglichkeiten.

Allradantrieb erfährt der ET7 von je einem E-Motor an Vorder- und Hinterachse, die summa summarum aufgebotenen 480 kW/654 PS und ein Drehmoment von 850 Newtonmetern sind wahrscheinlich mehr, als der automobile Mensch je braucht. Von 0 auf 100 km/h geht es in 3,8 Sekunden, bei Tempo 200 setzt die Elektronik einen Schlusspunkt. Das Fahrgefühl ist ein ganz hervorragendes, ruhig, geschmeidig und überaus komfortabel, auch dank der serienmäßigen Luftfederung schwebt der Fahrer gefühlt über der Straße.

Was die Akkukapazität betrifft, kann der Kunde zwischen 75 kWh für 385 und 100 kWh für 505 Kilometer Reichweite wählen. Wie erwähnt, ist auch konventionelles Laden möglich, wobei die Ladeleistung – bis zu 11 kW an der Wallbox und 130 kW am DC-Schnelllader – nicht mit der von Konkurrenten wie dem Mercedes EQE oder Mercedes EQS (200 kW) mithalten kann, von einer 800-Volt-Architektur à la Porsche Tayan, Audi e-tron GT oder auch Kia EV6 beziehungsweise Hyundai Ioniq 5 ist schon gar nicht die Rede.

Zur Wartung abgeholt

Ob Komfort, Sicherheit oder Fahrassistenten: Dem ET7 bleibt so gut wie nichts vorenthalten, bei der Serienausstattung herrscht Opulenz, der Konfigurator lässt nur noch bei Akkugröße und Farbe die Wahl. Doch das hat einen hohen Preis. Zu buchen ist der China-Luxusliner nur im Abo-Modell, die Monatsmiete beginnt bei 1184 Euro. Winterräder, Versicherung und Wartung sind inklusive, zur Inspektion und zu Reparaturen wird die Elektro-Limousine an der Haustür abgeholt und wieder dorthin zurückgebracht, für die Zeit des Werkstattaufenthalts gibt es ein Ersatzfahrzeug. Auch der Akkutausch gehört zu den Abo-Leistungen, zumindest vorerst.

Rundum-Sorglos-Paket: Das - allerdings teure - ET7-Abo umfasst bereits Wartung, Winterräder und Versicherung. Nur für den Strom muss der Kunde noch aufkommen. © Hersteller

Zu erwarten steht, dass Nio noch im November alternativ eine Kauf-Option anbietet – doch auch sie dürfte nur mit dem Geldbeutel wohlsituierter Kunden kompatibel sein.

Die Idee ist nicht neu

Die Sache mit dem Akkutausch haben übrigens schon andere ausprobiert. Bereits vor rund zehn Jahren wollte das US-amerikanische Unternehmen Better Place eine entsprechende Infrastruktur aufbauen, als Partner konnte man immerhin Renault-Nissan ins Boot holen, 940 Exemplare der elektrischen Stufenhecklimousine Fluence waren im Rahmen eines Pilotprojekts in Israel unterwegs. Doch der Plan scheiterte, unter anderem, weil sich das System nur auf einen Batterietyp fokussierte und das Abrechnungsmodell datenschutzrechtliche Bedenken aufkommen ließ. Und angesichts der ET7-Schlange, die im Rahmen der Fahrpräsentation vor der Batteriewechsel-Station in Zusmarshausen wartet, überlegen wir, ob das Andocken an einer Ladesäule nicht der schnellere Weg zum vollen Akku wäre. Nio ist da optimistischer und verweist darauf, dass der Batterietausch in China – wo es bereits 1200 Power-Swap-Stationen gibt – bereits gelebte Realität sei.

Anfang 2023 folgen dem ET7 die kleinere Limousine ET5 und das Midsize-SUV EL7. Swappen werden auch sie können.

Nio ET7 in Kürze:

Wann er kommt: Der Marktstart ist bereits erfolgt

Wen er ins Visier nimmt: Tesla Model S, Mercedes EQS, Porsche Taycan

Was ihn antreibt: Je ein Elektromotor an Vorder- und Hinterachse, Systemleistung 480 kW/654 PS

Was er kostet: Vorerst nur im Abo, Monatsmiete ab 1184 Euro