Bergemann: "Müssen auch in Nürnberg Euphorie entfachen"

22.8.2014, 05:58 Uhr

Bald ist der große Tag — wie ist die Stimmung im Team? Ist die Mannschaft bereit für die Herausforderung?

Frank Bergemann: Die Stimmung ist positiv angespannt. Die Vorbereitung ist ja so eine Sache. Es gilt Rollen umzuverteilen, um ein großes Ganzes hinzubekommen. Und jeder will sich verbessern. Wir haben großen Wert darauf gelegt, alle verletzungsfrei durch diese Phase zu bringen – was uns auch gelungen ist. Jetzt stehen wir vor einer neuen Herausforderung. Vieles hat man schon erlebt, manches muss man einfach erlebt haben.

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Sicher sind jetzt auch Spieler wie Basti Preiß und Jan Stochl, natürlich aber auch Sigi Sveinsson und Martin Stranovsky gefragt, die ja alle viel Erfahrung haben ...?

Bergemann: Eigentlich ja. Aber an Hierarchien muss man auch arbeiten. Was zählt ist letztlich, wer die Kastanien aus dem Feuer holt, wenn es wirklich brennt.

Haben sich die beiden Neuen schon so ins Team gearbeitet, wie Sie sich das erhofft haben?

Bergemann: Menschlich auf jeden Fall, gar keine Frage. Martin tut sich aufgrund seiner großen Erfahrung auch darüber hinaus leicht. Siggi muss noch die Härte adaptieren und in den Spielrhythmus finden. Aber sie werden uns beide definitiv weiterhelfen.

Die Mannschaft ist trotz aller Verstärkungen insgesamt sehr unerfahren, was die 1. Bundesliga angeht. Worauf muss das HCE-Team sich in der „stärksten Liga der Welt“ einstellen?

Bergemann: Auf mehr Härte, mehr Tempo und mehr Qualität. Fehler werden in der 1. Bundesliga noch härter bestraft und Pausen gibt es keine: 40 gute Minuten reichen hier nicht mehr. Aber auch in der 2. Liga ging die Entwicklung ja schon in diese Richtung. Aber bisher konnten wir jede Saison eine Stufe zulegen, jetzt sind es drei Stufen auf einmal. Es muss einfach jeder bereit sein sich weiter zu entwickeln.

Enttäuschungen werden in dieser Saison nicht ausbleiben. Wie muss man damit umgehen, als Spieler, aber auch von Seiten der Verantwortlichen?

Bergemann: Das schwierigste ist sicher, dass man lernen muss, mit noch mehr Niederlagen als gewohnt umzugehen, selbst wenn man auf einem guten Weg ist. Das braucht viel Vertrauen zueinander und auch ins eigene Können. Man muss Niederlagen schnell aus den Klamotten schütteln. Aber wir haben immer schon unter professionellen Bedingungen gearbeitet und alles ausgelotet, was notwendig war. Es geht darum, ein Umfeld zu schaffen, das die Mannschaft vom „Gegenwind“ abkapselt. Und darum, einen professionellen Umgang miteinander zu pflegen, in dem man auch einmal uneigennützig ist und auf die eigene Chance wartet.

Im Fachmagazin Handballwoche und auch in der Sportbild steht für die Experten Florian Kehrmann und Oliver Roggisch der HCE schon als sicherer Absteiger fest – ist so etwas Belastung oder Ansporn?

Bergemann: Das ist eine persönliche Motivation für uns, eigentlich kann uns nichts besseres passieren. So etwas muss einfach ein Ansporn sein, es darf aber nicht zu Blockaden führen. Es hilft manchmal, sich gegen Negatives zu wehren.

Ganz aus der Welt ist es ja nicht, dass Aufsteiger zu Saisonbeginn als Absteiger gehandelt werden. Damit sind die Erwartungen jedenfalls schon einmal niedrig angesetzt. Das schafft Raum für Überraschungen. Wo liegt das Saisonziel?

Bergemann: Das Ziel kann nur Klassenerhalt heißen. Wir müssen uns in die Spiele reinkämpfen, in denen wir eine Chance haben und in anderen über uns hinaus wachsen. Die Liga sollte dafür schon Motivation genug sein. Sie ist der Traum vieler Spieler, darf aber kein Abenteuer werden, das schnell zuende ist.

Als wenn die 1. Bundesliga nicht schon Herausforderung genug wäre, muss ausgerechnet in der Premierensaison des HCE in einer 19er-Liga gespielt werden. Das macht den Druck noch größer, weil man vier Teams hinter sich lassen muss.

Bergemann: Das ist einfach so. Darüber zu reden, ist nur Energieverlust.

Wer könnten die Konkurrenten in diesem verschärften Abstiegskampf sein?

Bergemann: Die beiden Mitaufsteiger und dann die letztjährige Abschlusstabelle von hinten her (HBW Balingen-Weilstetten und Bergischer HC, d. Red.)

Genug von den Schwierigkeiten – die Vorbereitung war sehr erfolgreich. Wo steht die Mannschaft, was ist sie zu leisten im Stande? Wo liegen die Stärken?

Bergemann: Wir haben in der Vergangenheit gezeigt, dass wir bei großen Schwierigkeiten und Rückständen unsere Kampfkraft in die Waagschale werfen können. Immer nach dem Motto „Geht nicht gibt‘s nicht“. Es ist unsere große Stärke, dass wir Probleme zusammen angehen. Außerdem sind wir von unserer Spieldisziplin her schwer auszurechnen.

Ist die Rolle des Neulings auch von Vorteil, weil man noch nicht so bekannt ist?

Bergemann: Das spielt in dieser Liga keine Rolle.

Florian Kehrmann lobte in der Handballwoche die starke Defensive des HCE um Basti Preiß – die beste der 2. Liga – und den tollen Rückhalt durch das Torhüter-Duo Stochl/ Bayerschmidt. Führt hierüber der Weg zum Ligaerhalt?

Bergemann: Das muss der Weg sein. Wir können die Grundlage für den Klassenerhalt nur über eine gute und intensive Deckungsarbeit legen. Dafür muss jeder viel investieren. Dazu kommt die gute Torhüterleistung, die wiederum die Basis für Konter ist.

Wie hat sich das Spiel des HCE verändert? Auffällig war zuletzt, dass viel mehr über die Außen lief und das Spiel insgesamt schneller und geprägt von großer Wurfeffektivität war.

Bergemann: Man muss immer etwas verändern und erkennen, was umsetzbar ist. Letztes Jahr haben wir oft mit vier Rückraumspielern agiert. Das war sehr positiv und hat unser Spiel breiter gemacht. Daran werden wir weiter arbeiten. Wir müssen unsere Flexibilität erhöhen, damit es uns gelingt, unseren Gegnern Aufgaben zu stellen.

Wie haben sich die Spieler im Einzelnen entwickelt?

Bergemann: Ich möchte gar nicht auf Einzelne eingehen. Es ist grundsätzlich bei sehr vielen eine Weiterentwicklung erkennbar – und großer Trainingsfleiß.

Von den beiden international erfahrenen Neuen wird das erwartet, aber wer kann und soll sich darüber hinaus in schwierigen Situationen als Führungsspieler beweisen und Verantwortung übernehmen?

Bergemann: Ich hoffe natürlich, dass Siggi in schwierigen Situationen von seiner Erfahrung profitieren kann. Ganz sicher kann aber Martin Stranovsky Verantwortung übernehmen. Das letzte Jahr hat aber gezeigt, dass wir immer Spieler haben, die ein großer Rückhalt sind. Die Erwartung haben wir auch jetzt. Natürlich ist das auch typisch für die Spielmacherposition, wo es weniger auf Tore sondern auf das Erkennen von Situationen ankommt.

Als Aufsteiger steht man besonders im Fokus. Schauen da die Schiedsrichter besonders genau hin, muss man sich deren Respekt erarbeiten?

Bergemann: Man muss sich schon ein gewisses Standing und eine Akzeptanz erarbeiten. Wichtig ist, dass wir von Anfang an einen sehr disziplinierten Umgang mit den Schiedsrichtern pflegen.

Die Halle in Nürnberg birgt die große Chance, dass viele Handball-Fans in der Region mobilisiert werden. Andererseits war die Hiersemann-Halle eben auch die Hiersemann-„Hölle“. Droht die Gefahr, dass der HCE seine Heimmacht verliert?

Bergemann: Wir müssen das als Chance sehen und auch in Nürnberg eine Euphorie entfachen und eine neue Fankultur aufbauen. Ich denke darüber darf man auch gar nicht so viel nachdenken, sondern man muss die Gegebenheiten positiv annehmen, auch wenn es schwer wird. Das Umfeld hat jedenfalls hart gearbeitet, um alles positiv zu gestalten. Das war eine Mammutaufgabe für die Mannschaft, aber vor allem auch für die Organisation. Unsere Erlanger Heimmacht müssen wir in den vier Spielen dann auch nutzen.

Wer sind in dieser Saison die Favoriten auf die Meisterschaft und die vorderen Plätze?

Bergemann: Das sind sicher Kiel, die Füchse Berlin, die Rhein-Necker Löwen und Flensburg. Ich denke aber, dass auch Melsungen einen Schritt nach vorne machen wird.