Der letzte Club-Präsident tritt ab

5.10.2010, 12:00 Uhr

Das Protokoll ist lückenlos. „9 Uhr: Frühstück mit Gattin Irene, Schäfer köpft ein Ei“, notierte Bild. Wer es mit einem geköpften Ei in Deutschlands größte Boulevardzeitung schafft, muss wichtig sein. Und wichtig sein: Das war ein Antrieb für manchen Präsidenten des 1.FC Nürnberg, man ist ja immer auch eine Institution in dieser Stadt. Am Samstag war Franz Schäfer noch einmal wichtig, letztmals ging er als Präsident ins Stadion (laut Bild um 13.40 Uhr im schwarzen Anzug).

Als Schäfer dieses Amt übernahm, hatte mancher im Club eine heimliche Befürchtung: Schäfer würde versuchen, besonders wichtig zu sein. Am 8. Juni 2009 hatte sich ja ein Lebenstraum erfüllt – Schäfer musste das nie so formulieren, jeder wusste es. Schäfer, 73 Jahre alt, war schon beim Club, als die Bundesliga noch gar nicht gegründet war; als 17-Jähriger bewachte er das Tor der Jugendmannschaft, mit 21 redigierte er die Vereinszeitung. Später war er fast alles: Stadionsprecher, Leiter der Lizenzspielerabteilung, Aufsichtsrat, Vizepräsident.

Man kennt alle diese Daten deshalb so genau, weil der gelernte Journalist Franz Schäfer, der später ein erfolgreicher Unternehmer in der Möbelbranche wurde, die „lieben Kollegen“ (so das Anschreiben) in den Zeitungsredaktionen dieser Tage damit versorgte – außerdem mit einer Liste aller Präsidenten des 1.FC Nürnberg.

Der erste war Christoph Heinz. Der letzte ist Franz Schäfer. Morgen endet mit seiner Amtszeit auch die 110 Jahre währende Ära des Ehrenamts, und das Gefühl, Vereinsgeschichte zu schreiben, hat Schäfer ein wenig auch als Belohnung angesehen für das halbe Jahrhundert, das er diesem Verein gewidmet hat – bis zu jenem 8. Juni 2009, als er die Nachfolge des überraschend zurückgetretenen Präsidenten Michael A. Roth antreten durfte.

Verbale Scharmützel

Franz Schäfer war sehr stolz darauf – und hat es geschafft, der Versuchung, jetzt noch einmal besonders wichtig zu sein, zu widerstehen. Er war ein guter letzter Präsident: So eitel, wie man in solchen Ämtern sein muss, aber vor allem so sachlich-unaufdringlich, wie es die Zeit gebot. Das Amt war schon vorher im Grunde abgeschafft worden; gemeinsam mit Roth hatte Schäfer – „der Franz“, wie fast jeder im Verein sagt – eine Satzungsreform vorangetrieben, die das Wirtschaftsunternehmen, das ein Fußball-Bundesligist heute ist, in eine Führung durch hauptamtliche Mitarbeiter entlässt.

Es war, unfreiwillig, noch Roth selbst, der für die Notwendigkeit dieser Reform demonstrierte. Nach einem unkontrollierten verbalen Rundumschlag gegen Trainer und Manager im Zweitliga-Krisenherbst 2008 bremste der Aufsichtsrat den Elan des Chefs. Das kränkte ihn sehr, wie Roth noch beim Rücktritt ein paar Monate später ungefragt anmerkte. Die Botschaft war zu deutlich: Der Club wollte sich emanzipieren vom letzten Patriarchen der Bundesliga, der den Verein einst als Alleinherrscher geführt hatte – was in Zeiten der tiefsten wirtschaftlich-sportlichen Depression ein Segen war; ohne Roth wäre der 1.FC Nürnberg in Konkurs gegangen.

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Den Abschied hat Roth nicht ohne weiteres verkraftet, „goldene Sessel“, lästerte er, würden sich seine Nachfolger wohl bauen wollen – im neuen Funktionsgebäude am Valznerweiher, dem neben der Satzungsreform wichtigsten Projekt der Übergangszeit. In kleinen verbalen Scharmützeln blieb Schäfer dem ansonsten geschätzten Vorgänger nichts schuldig. Darin ähneln sie sich: Ist das Herz zu voll, läuft der Mund über; im Übereifer auch mal peinlich zu sein, gehört zum guten Recht des Ehrenamts. Ansonsten aber fiel Schäfer angenehm auf, weil er – als ruhiger Moderator einer Übergangszeit – gar nicht auffallen wollte, sondern den Ausgleich suchte. Als „Herzblutpräsidenten alter Schule“ bezeichnete ihn die Süddeutsche Zeitung, und als er vor der Saison mit kühnen sportlichen Prognosen für ein bisschen Schrecken im Verein gesorgt hatte, revidierte es Schäfer schnell: in der Nürnberger Zeitung, deren Sport-Ressortleiter er einst war. Seine Reportagen aus den sechziger Jahren sind lesenswert, lebendig und emotional.

Stolz auf den Club

Franz Schäfer war immer stolz auf seinen Club; und sein Wunsch war es unausgesprochen immer, dieser Club würde ein bisschen stolz sein auf ihn. Der Wunsch ist erfüllt; in 16 Monaten als verlässlicher und pflichtbewusster letzter Präsident hat Schäfer die Projekte Satzungsreform und Funktionsgebäude geräuschlos zu einem guten Ende gebracht – und ist die Mannschaft in der Bundesliga geblieben. Im Erstliga-Krisenherbst 2009 erlebte man einen besonnenen Präsidenten, der ein besonderes Kunststück vollbringen musste: Schäfer musste Profil als Chef entwickeln – und sich dabei überflüssig machen. „Es gehörte zu meinem Auftrag, mich wegzurationalisieren“, sagt er.

Den Spagat hat er gemeistert. Wie gut Schäfer den Abschied verkraftet, weiß er selbst noch nicht – er will da gar keine Souveränität vorspielen. „Es wird schon schwerfallen“, sagt er. Morgen, während der Mitgliederversammlung, wird es Blumen geben und, unter Applaus, eine Bestätigung: Franz Schäfer war wichtig für den 1.FC Nürnberg.