Die erstaunliche Geschichte des Yasin Ehliz

8.5.2014, 06:00 Uhr

Felix Schütz stellte sich gleich mit seiner ersten Antwort als idealer Adressat grundsätzlicher Fragen heraus. „Wir haben heute gesehen“, sagte also dieser auffällig schmale Mann nach dem 1:3 gegen die USA, „dass wir nicht Kanada sind.“ Nach sieben, zum Teil ansehnlichen – aber eben doch nur – Vorbereitungsspielen schienen sich manche seiner Kollegen da vor dem Eröffnungsbully nicht mehr ganz so sicher zu sein. „Vielleicht, nein, sicher“, sagte Schütz deshalb noch, „kam diese Niederlage zur rechten Zeit.“

Zuletzt hatte die deutschen Eishockey-Nationalmannschaft gegen eine prominent besetzte russische Auswahl gewonnen (3:0) und mit 2:0 gegen die Schweiz, die in Weißrussland ab Freitag immerhin als amtierender Vizeweltmeister antritt. „Da war viel Euphorie in der Kabine“, sagte Schütz – und in Nürnberg wurde das Team von Pat Cortina rechtzeitig daran erinnert, dass man mit Euphorie allein in Minsk nicht ins Viertelfinale einziehen wird. Und tatsächlich musste auch der Bundestrainer nach der Generalprobe ein wenig überlegen, was genau ihm an diesem Abend gefallen habe. Cortina erwähnte die harten Checks von Dennis Reul und die Leistung des jungen Philip Grubauer, der nach seiner Einwechslung im Schlussdrittel vor allem deshalb kein Tor mehr kassierte, weil die US-Amerikaner ihr erstes und letztes Testspiel ruhig ausklingen ließen. „Und“, sagte Cortina, „natürlich hat Yasin Ehliz ein weiteres gutes Spiel gezeigt.“ Natürlich.

Noch eine Uhr vom Arbeitgeber

Yasin Ehliz spielte ja tatsächlich so, wie er eben immer spielt in Nürnberg. Nur rammte er am Dienstagabend eben nicht einen aufmüpfigen Straubinger in die Bande, sondern den 15 Zentimeter größeren Brock Nelson von den New York Islanders. Es waren auch keine behäbigen Schwenninger, die er hinter dem Tor stehen ließ, sondern Seth Jones und Jacob Trouba, die in fünf Jahren zu den besten Verteidigern der Welt zählen sollten. Es war eben kein normales Spiel in der Deutschen Eishockey-Liga, sondern für viele deutsche Spieler die letzte Chance, sich für ein Ticket nach Minsk zu empfehlen. Allerdings waren es auch nicht Patrick Reimer und Steven Reinprecht, seine kongenialen Kollegen von den Thomas Sabo Ice Tigers, für die seine klugen Pässe gedacht waren – ansonsten hätte Ehliz den letzten Test vor der WM mit mehr als einer Vorlage beendet.

Er wurde danach trotzdem zum besten deutschen Spieler gewählt. Und zwar nicht, um sich bei den 6300 Zuschauern zu bedanken. „Yasin war der beste Spieler“, stellte Tray Tuomie fest, der ebenfalls überrascht von den neuen Qualitäten des Tölzers war. Der Trainer der Ice Tigers setzt Ehliz neben Reimer und Reinprecht als furchtlosen Arbeiter ein, im Nationaltrikot aber sorgte Ehliz für Spielkultur und „kluge Pässe, auch im Power-Play, obwohl er da überhaupt nicht auf seiner Position spielt“.

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Ehliz verschwand danach in einer Traube von Fragestellern, beantwortete geduldig, ob er sich bereits mit Minsk befasst habe („Ich war sogar schon in Weißrussland, mit der U18, es war eine Katastrophe, das Hotel war ganz schlecht, das Essen auch. Minsk wird sicher besser.“), die Fragen, nach seinen Anfängen in Bad Tölz und nach seiner stetig wachsende Uhrensammlung. Für seine Leistung wurde er mit einem weiteren hochwertigen Produkt aus dem Angebot seines Arbeitgebers beschenkt.

In dieser jungen Mannschaft ist Ehliz noch immer unbekannt. Die jungen Übersee-Profis Tobias Rieder und Marcel Noebels, vor allem aber Leon Draisaitl, den selbst die vernünftige FAZ zum German Gretzky überhöhte, sorgten bislang für die Geschichten in dieser Nationalmannschaft ohne Reimer, Seidenberg, Ehrhoff und Sulzer. Ehliz sorgte allenfalls für die Randnotizen. Am Dienstagabend hat sich das geändert.

Anständig und ehrgeizig

Plötzlich wurde Draisaitl nach Ehliz gefragt („ein Supertyp, jeder mag ihn“) und Schütz natürlich auch. Der schnelle Stürmer war im vorigen Sommer schon einmal mit Ehliz in Bad Tölz auf dem Eis gestanden, unterhalten hatten sie sich nicht. Zu unterschiedlich waren die Lebenswelten des etablierten Nationalspielers, der mit angemessen viel Geld dafür entlohnt wird, dass er für Admiral Wladiwostok Eishockey spielt, und des Jungprofis, der zunächst einmal seine ersten beiden soliden DEL-Spielzeiten bestätigen wollte.

Ein Dreivierteljahr später sollte nun Schütz, der realistische Routinier, seinen neuen Kollegen beschreiben: „Ich kenne ihn seit fünf Wochen, er ist ein anständiger Typ, zurückhaltend und sehr ehrgeizig. Er hatte eine harte Zeit mit Pat. Jetzt macht es Spaß, mit ihm zu spielen.“ Dabei wusste da noch niemand, ob Pat Cortina den 21-Jährigen überhaupt mit nach Minsk nehmen wollte.

Am Mittwoch um 12.43 Uhr, 43 Minuten später als geplant, hob Flug HK 8832 dann vom Nürnberger Flughafen ab. An Bord des Airbus saßen Nelson, Jones, Trouba und die anderen US–Nationalspieler, Cortina, drei deutsche Torhüter, acht Verteidiger, 13 Stürmer, Schütz und Ehliz. Am Samstag geht es um 11.45 Uhr (Sport1) los für die Mannschaft, die jetzt schon weiß, dass sie nicht aus Kanada stammt.