Vorbilder im Verein statt Florian Hambüchen

Neue Cheftrainerin des TV Fürth 1860: Warum Turnen so wichtig ist

7.10.2021, 19:30 Uhr

Frau Hoppenstedt, Sie haben eine halbe Minute Zeit, eine Brandrede für den Turnsport zu halten, um möglichst viele Menschen von Ihrer Sportart zu überzeugen. Auf die Plätze, fertig, los . . .


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Turnen ist für Jung und Alt, für Mann und Frau. Turnen macht schlau. Turnen stärkt das Bewusstsein für den Körper. Turnen lässt uns jung bleiben. Johann Friedrich Ludwig Christoph Jahn legte die Grundlage und der TV Fürth ist in seinen Ursprüngen ein Turnverein gewesen. Ich werde es mein Leben lang machen und nie damit aufhören, jeden davon zu überzeugen, es einmal auszuprobieren.

Was entgegnen Sie jemandem, der sagt, Turnen sei doch nur was für Mädchen?

Turnen ist ein ästhetischer Sport, der von jedem ausgeübt werden kann und darf. Turnen macht ein attraktives Erscheinungsbild. Aber auch die inneren Werte wie Disziplin, Konzentration und Durchhaltevermögen werden im Turnsport gefördert. Das sind Attribute, die für Jungs und Männer gleichermaßen interessant sind wie für Mädchen und Frauen.

Wie wichtig sind Aushängeschilder wie Fabian Hambüchen für den Turnsport?

Ich sehe generell eine große Entwicklung im Breitensport, die auch ohne große Namen in der Öffentlichkeit stattfindet. Im Leistungssport ist es aber meiner Meinung nach so, dass sich die Kinder und Jugendlichen ihre Vorbilder nach einfacheren Kriterien aussuchen. Also eine Person, die nah und greifbar ist, hat ein viel größeres Identifikationspotenzial als ein Fabian Hambüchen. Das sind dann meistens die Leute aus dem eigenen Verein, die direkt an der Entwicklung beteiligt sind und hier eine wichtige Rolle spielen.

"Ich kann Menschen motivieren"

Auf was muss sich die Turnabteilung der 60er mit Ihnen als neuer Cheftrainerin gefasst machen?

(lacht) Da ich für den Breitensport von null bis 99 Jahren verantwortlich bin und der Leistungssport von Alexander Thiemann organisiert wird, sehe ich hier ein Team im Vordergrund. Natürlich laufen viele Entscheidungen über mich, aber ich lege viel Wert auf ein Miteinander und Gemeinsamkeit. Denn ohne das Team gäbe es auch mich nicht. Hier sehe ich aber auch eine wichtige Fähigkeit von mir: Ich kann Menschen motivieren und ihre Stärken schnell herausfinden, was dann dazu führt, das Beste aus einer Gruppe herauszuholen.

Dabei kommen Sie ursprünglich gar nicht aus dem Turnsport . . .

Als ich als Jugendliche auf der Sportschule in Potsdam bei einem Tag der offenen Türe war, hat mich der Talentscout der Ruderer auf ein Ruder-Ergometer gesetzt, weil ich durch meine Größe aufgefallen bin. Das hat dann gut geklappt und ich habe eine Zukunft in der Sportart gesehen, weil ich schon immer Leistungssport machen wollte.

Warum hat es dann trotzdem gefunkt zwischen Ihnen und dem Turnen?

Meine sportlichen Wurzeln liegen in der Rhythmischen Sportgymnastik, das habe ich als kleines Kind leidenschaftlich gemacht. Als ich dann zum ersten Mal Mutter wurde, war der Spagat zwischen Leistungssport und Kind zu groß. Ich wollte dem Sport aber unbedingt erhalten bleiben. Sport hat eine unglaubliche pädagogische Wirkung. Als dann die Stelle in Fürth ausgeschrieben wurde, habe ich nicht lange gezögert und mich sehr gefreut, dass ich genommen wurde.

Trainingsstätten werden rarer

Wir wollen hoffen, dass die Trainingsstätten im anstehenden Winter offen bleiben. Was sind Ihre Ziele in den kommenden Monaten mit der Turnabteilung?

Zuerst möchten wir möglichst viele neue Übungsleiter in unser Team holen, denn hier haben wir auch noch einen leichten Engpass. Die tolle Entwicklung im Turnsport merken wir auch bei uns. Doch auch die Trainingsstätten werden immer voller und die Trainingsgeräte immer rarer. Hier sind wir im engen Austausch und Dialog mit der Stadt Fürth, um unseren Mitgliedern weiterhin ein attraktives und qualitatives Trainingsangebot zu bieten.

Turnen war als Hallensportart stark von den Lockdowns betroffen. Wie hat Corona die Ziele und die Entwicklung der Abteilung beeinflusst?

Wir hatten leider einen leichten Rückgang der Mitgliederzahlen zu verzeichnen. Doch viel schlimmer ist die Entwicklung bei den Kindern und Jugendlichen oder auch den erwachsenen Turnerinnen und Turnern selbst. Durch die fehlenden Trainingsstrukturen, die wir trotz hoher Kreativität nicht zu 100 Prozent ersetzen konnten, ist die sportliche Entwicklung stehen geblieben, bei einigen sogar rückläufig gewesen. Im Leistungssport hat die Disziplin gelitten, denn die wichtigen Rituale oder Gewohnheiten, die durch den Trainingsalltag gefestigt waren, konnten nicht aufrecht erhalten werden.

Auf was achten Sie bei der Rückkehr der Turner ins Training dann besonders?

Wichtig ist, dass die Basis wieder gelegt wird für weitere Aufbauschritte. Also Dinge wie Athletik, Krafttraining, Beweglichkeit oder Ausdauer haben jetzt oberste Priorität für mich und mein Team. Erst danach gehen wir wieder an die Geräte und arbeiten an dem spezifischen Training.



Kommen Sie denn überhaupt noch dazu, selbst Sport zu treiben?

Ja, meine Leidenschaft zum Rudern ist nicht erloschen. Ich bin regelmäßig noch im Boot auf dem Main-Donau-Kanal unterwegs. Aber wenn ich mal für mich sein will, gehe ich gerne auch Rennrad fahren, im Winter bin ich begeisterte Ski-Fahrerin.

Anne Hoppenstedt ist 32 Jahre alt und hat Sportwissenschaft und Psychologie an der Universität in Magdeburg studiert. Die gebürtige Potsdamerin kann auf eine Leistungssportkarriere im Rudern zurückblicken und war vor ihrer Zeit als Turnlehrerin auch als Landestrainerin im Ruderverband Bayerns im Einsatz. Die zweifache Mutter ist seit diesem Sommer beim TV Fürth 1860 als neue Führung der Turnabteilung in ein neues Kapitel ihrer Sportkarriere gestartet.