Stefan Ustorf: "Dafür werde ich wieder Kritik einstecken"

20.4.2021, 13:00 Uhr

Ist freundlicher als er wirkt: Stefan Ustorf, Sportdirektor der Ice Tigers.  © Sportfoto Zink / Thomas Hahn, Sportfoto Zink / ThHa

Werden Sie in Nürnberg noch Hooligan genannt, Herr Ustorf?
Ustorf: Nee. In Nürnberg hat das noch keiner zu mir gesagt.

Hören Sie diesen Spitznamen gerne?
Ustorf: So wie der Name in Berlin zustande gekommen und wie er von den Fans benutzt worden ist: Ja. Über die lange Zeit, die ich dort verbracht habe, ist das ein schöner Spitzname geworden.

Tatsächlich ist er aber auf Ihren Vater zurückzuführen.
Ustorf: Richtig. Der Original-Hooligan war ich nicht. Ich hatte danach zwar auch die eine oder andere Aktion, aber nie so schlimm wie mein Vater.

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In Berlin waren Sie Meisterspieler, Ihre Nummer wird nicht mehr vergeben. Als Sie Manager wurden, kannte Sie jeder als „Hooligan“. War es schwierig, sich davon zu emanzipieren?
Ustorf: Ich glaube schon. Ich bin dankbar für meine Zeit in Berlin, weil ich da viel gelernt habe, muss aber ganz ehrlich sagen, dass ich einen anderen Weg gehen würde, hätte ich dazu die Gelegenheit. Um eben genau diesen Unterschied klarstellen zu können, eben nicht mehr Spieler zu sein. Ich betrachte das so: Jede Situation gibt dir die Möglichkeit, etwa daraus zu lernen. Hoffentlich hilft mir das jetzt.

Klare Ansagen und ein gemeinsamer Kaffee

In Nürnberg wirkt es so, als wollten Sie von Beginn nicht mehr der Ex-Spieler, der Hooligan sein. Sie geben sich freundlich, aber klar in Ihren Aussagen. Täuscht der Eindruck?
Ustorf: Ich halte mich schon für eine freundliche Person, auch wenn ich weiß, dass es nicht immer so aussieht. Meine Frau schimpft immer sehr mit mir, sie meint, dass ich grundsätzlich sehr böse und unzufrieden aussehe. Aber dafür kann ich nichts, das ist halt so. Wenn es etwas gibt, was ich auf den Tod nicht ausstehen kann, dann ist es, Spielchen spielen. Das habe ich als Spieler nicht gemocht, wenn das Trainer und Manager mit mir gemacht haben. Und das werde ich jetzt auf keinen Fall tun. Ich möchte, dass jeder, der mit mir beruflich etwa zu tun hatte, danach sagen kann, in seiner Position mag ich ihn nicht, aber ich würde jederzeit einen Kaffee mit ihm trinken gehen.

In einer gemeinsamen DEL-Tabelle würden die Ice Tigers Platz sechs belegen – seit dem 20. März, dem ersten Spieltag mit Ihnen als Sportdirektor. Welchen Einfluss hatten Sie darauf?
Ustorf: Das ist nicht so einfach zu beantworten. Sicherlich habe ich meine Vorstellungen, wie wir spielen müssen, um Erfolg zu haben, ganz klar so angesprochen. Ich habe auch die eine oder andere Veränderung herbeigeführt. Aber natürlich ist es wichtig, ein berufliches Vertrauensverhältnis zu Frank Fischöder und den Spielern aufzubauen, damit sie wissen, wie das bei mir läuft. Und es war unglaublich wichtig, der Mannschaft eine Identität zu geben. Das war etwas, das komplett gefehlt hat – auch um der Mannschaft klar zu machen, wie sie zu spielen hat, um Spiele zu gewinnen. Ich habe klargestellt, in welcher Rolle ich bestimmte Leute sehe und wie sie diese Rolle erfüllen sollen, um Erfolg zu haben. Ich bin überzeugt davon, dass Eishockeyspieler Führung haben wollen und genaue Ansagen. Das hat vielleicht noch gefehlt.

Spieler haben sich gesteigert

Zunächst waren Sie bei Spielen hinter der Bande gestanden. Warum und warum zuletzt nicht mehr?
Ustorf: Für mich ging es darum, Leute in bestimmten Spiel- und Drucksituationen besser kennenzulernen. Ich wollte wissen, wer spricht, wie miteinander gesprochen wird. Das alles wollte und musste ich in einem kurzen Zeitraum lernen, um bestimmte Entscheidungen zu treffen.

Frank Fischöder hat sich also nicht irgendwann über Ihre Anwesenheit beschwert?
Ustorf: Nein. Das war meine Entscheidung. Und natürlich war das mit unserem Cheftrainer abgesprochen.

Sie haben bereits mehrmals erwähnt, dass Sie die ersten nicht ganz so erfolgreichen 24 Spiele nicht vergessen werden. Seitdem Sie hier sind, hat sich aber nahezu jeder Spieler gesteigert. Das Endergebnis ist trotzdem enttäuschend. Macht das so manche Entscheidung schwierig?
Ustorf: Ja und nein. Ich habe von der Mannschaft gefordert, dass wir die Chance nutzen, unser Erscheinungsbild, wie der Rest der Liga über uns denkt, noch einmal zu ändern. Das hat die Mannschaft durchaus getan. Das macht Entscheidungen natürlich ein bisschen schwerer. Ganz klar. Auf der anderen Seite habe ich mehr Optionen.

"Ich habe nicht mehr viel Spielraum"

Schon bei Ihrer ersten Pressekonferenz haben Sie gesagt, dass relativ viele Spieler über die Saison vertraglich an die Ice Tigers gebunden sind. Offiziell weiß man das nur einem halben Dutzend.
Ustorf: Ich habe die Spieler miteinbezogen, die für die kommende Saison einen gültigen Vertrag haben.

Und das sind wie viele?
Ustorf: Das sind 15. Ich habe nicht mehr viel Spielraum.

Wie wollen Sie diesen geringen Spielraum nutzen?
Ustorf: Ich werde mich dazu nicht äußern, so lange ich die Abschiedsgespräche mit den Spielern noch nicht geführt habe. Spieler, die keinen Vertrag mehr in Nürnberg bekommen, werden das von mir als Erstes erfahren.

Zwei Spieler haben Sie bereits verpflichtet, die zählen bereits zu den 15 Spielern?

Eine der ersten Verpflichtungen des neuen Sportdirektors: Charlie Jahnke kennt Ustorf noch aus Berlin.  © Laegler/ Eibner-Pressefoto via www.imago-images.de

Ustorf: Nein. Die kommen dazu.

Sie werden also hauptsächlich nach neuen Importspielern suchen. Wie machen Sie das?
Ustorf: Mit Video, mit sehr vielen Telefonaten mit Leuten, denen ich vertraue. Ich habe sehr, sehr viel Eishockey in der DEL und der DEL2 gesehen. Ich werde auch relativ schnell nach Nordamerika fliegen und spezifisch Spieler anschauen, von denen ich weiß, dass sie mit Europa liebäugeln. Die AHL spielt nur noch bis zum 15. Mai, da ist nicht mehr viel Zeit. Aber das meiste findet über Video statt. Ich sage es ganz offen, das ist Scheiße. Es ist unglaublich schwer, sich ein anständiges Bild von einem Spieler über Video zu machen. Die meisten neuen Spieler werden Ausländer sein, aber es kann gut sein, dass ich mich der ersten Saison darauf konzentriere, Spieler zu verpflichten, die schon in Europa sind, weil ich die kenne, weil ich sie öfter gesehen habe. Aber ich bin auch der Meinung, dass wir auf dem ausländischen Markt nicht unter Zeitdruck stehen.

Die Schere geht immer weiter auseinander

Wie schätzen Sie den Markt in der DEL ein? Man hört von Mannschaften, die aggressiv verpflichten, genauso wie von Mannschaften, die nicht wissen, wie viel Geld sie überhaupt zur Verfügung haben.
Ustorf: Das habe ich auch gehört, aber nur aus der Presse. Es bewegt sich relativ wenig, ganz einfach, weil es unglaublich schwer ist, etwas zu machen, ohne zu wissen, wie es weitergeht. Das größte Problem ist nicht nur die kommende Saison, du weißt ja nicht, ob du langfristige Verträge abschließen kannst. Ich glaube, Spieler und Vereine müssen sich sehr bewusst sein, dass sich die Zeiten geändert haben; und dass Gehälter, wie sie gang und gäbe waren, in den kommenden Jahren nur noch von drei, vier Klubs gezahlt werden können. So sehe ich die Situation. Ich hoffe, ich liege damit falsch.

Das heißt, die Schere in der DEL geht noch weiter auseinander.
Ustorf: Sind wir doch mal ganz ehrlich: In den letzten 15 Jahren, einmal Hannover, einmal Ingolstadt, aber ansonsten sind es doch immer dieselben drei Mannschaften. Die Ausgeglichenheit während der regulären Saison ist schön. Aber Meister werden drei Vereine. Das ist Fakt.

Wo können sich da die Ice Tigers künftig einordnen?
Ustorf: Unser Ziel ist es, in den nächsten Jahren ehrliche, harte Arbeit abzuliefern, die uns jedes Jahr die Chance gibt, um den Playoff-Einzug mitzuspielen. Warum dann nicht irgendwann Ingolstadt oder Hannover sein? Wir wollen ein unterhaltsames Produkt auf die Beine stellen, das jedes Jahr um die Playoffs mitspielt.

Clark Donatelli, Trainer in Krefeld, spricht davon nächstes Jahr Meister werden zu wollen. Krefeld hat weit abgeschlagen den letzten Platz belegt. Da deutet sich schon jetzt eine Saison an, in der Klubs aus Angst vor dem Abstieg über ihre Verhältnisse verpflichten könnten.
Ustorf: Das macht es sehr gefährlich. Der Abstieg wäre für viele Vereine der Super-Gau. Aber ich gehe noch einen Schritt weiter, obwohl ich weiß, dass ich dafür Kritik werde einstecken müssen: Auf- und Abstieg ist für die Nachwuchsförderung in Deutschland nicht gut. Zur kommenden Saison wird ein weiterer U23-Spieler eingeführt, es wird überlegt, im nächsten Jahr auf vier U23-Spieler zu erhöhen. Aber sind wir doch ehrlich: Was passiert mit diesen U23-Spielern, wenn ihr Verein an Weihnachten Zwölfter ist? Kein einziger Verein in unserer Liga wird auch nur einen Ausländer weniger verpflichten, weil er einen U23-Spieler mehr verpflichten muss. Im Gegenteil. Ein 24-Jähriger muss gehen, geht in die DEL2, nimmt dort einem 20-Jährigen den Job weg. Und kein Zweitligist wird wegen einem 24-Jährigen einen Ausländer weniger verpflichten. Bei uns gibt es nur einen einzigen Weg, um die Jugend zu fördern: die Ausländerzahl reduzieren. Auf- und Abstieg wieder einzuführen, erhöht den Druck auf die Gesellschaften. Das wird dem jungen deutschen Eishockey auf keinen Fall helfen.

"Wir reglementieren uns zu Tode"

Und die erstaunliche Entwicklung eines Daniel Schmölz, der im Alter von 29 Jahren zu einem Top-Spieler geworden ist, wird noch unwahrscheinlicher.
Ustorf: Der durchschnittliche junge Spieler ist 22, wenn er bereit ist, in der DEL eine normale Rolle einzunehmen. Wir brauchen uns nicht auf Tm Stützle, Lukas Reichel oder einen Roman Kechter berufen. Das sind Ausnahmen. Die Norm ist, dass ich einen vielversprechenden Spieler nicht halte, weil er aus der Förderlizenz herausfällt, ich aber einen U23-Spieler brauche und ich es mir sportlich nicht erlauben kann, mit drei U23- und fünf 25-Jährigen aufzulaufen, weil ich dann sportlich nicht konkurrenzfähig bin. Ich habe das immer wieder gesagt und kriege immer wieder Ärger dafür: Wir reglementieren uns zu Tode in Deutschland.

Die U23-Spieler für die kommende Saison haben sie also schon unter Vertrag?

Und noch ein Zugang: Tim Fleischer kommt aus Iserlohn (hier im Zweikampf mit Max Kislinger).  © osnapix via www.imago-images.de

Ustorf: Mehr als genug. Mein Ziel ist es auch nicht, nur mit drei U23-Spielern aufzulaufen, sondern vier, fünf in der täglichen Aufstellung zu haben.

Wissen Sie denn, mit welchem Etat Sie planen dürfen?
Ustorf: Ja, Wolfgang Gastner hat hier mit allen anderen einen hervorragenden Job gemacht. Ich habe einen festen Etat und das ist, soweit ich das weiß, sehr viel mehr, als das bei anderen Vereinen der Fall ist.

Geplant wird mit Zuschauern

Dieser Etat bezieht sich aber auf eine Planung mit Zuschauern.
Ustorf: Ja, zu 100 Prozent. Wenn wir keine Zuschauer haben dürfen, weiß ich nicht, ob nächstes Jahr in der DEL Eishockey gespielt wird. Das ist keine Schwarzmalerei, ich weiß einfach nicht, wie wir eine weitere Saison ohne Zuschauer finanzieren sollten und wie viele Spieler dazu bereit wären, trotz eines bestehenden Arbeitsvertrags, der ihnen eine gewisse Summe zugesteht, zwei Jahre in Folge auf Geld zu verzichten.

Sie haben schon vor Ihrem ersten Arbeitstag eine unglaubliche Lust darauf vermittelt, wieder in dieses Geschäft einzusteigen. Ist Ihnen diese Lust in den ersten vier Wochen geblieben?

Ustorf: Ich bin extrem glücklich, jeden Tag zur Arbeit gehen zu dürfen – auch weil das in dieser Zeit auch nicht normal ist. Ich schätze mich glücklich, zum jetzigen Zeitpunkt im Sport einen Job bekommen zu haben, weil ich seit Anfang August auf Jobsuche war und gesehen habe, wie schwer das ist. Ich bin überglücklich mit der Situation in Nürnberg. Wir können hier einiges bewegen, davon bin ich überzeugt.