Wenn ein idyllischer Ort zur Wildwasserbahn wird

16.4.2014, 10:09 Uhr

Am Anfang, also dort, wo die Oberfläche der Rednitz noch glatt ist, dass sich in ihr die Äste spiegeln, lösen sich im Takt von 45 Sekunden einzelne Kanuten aus einer losen Gruppe und nehmen Fahrt auf. Bald ist auch Thomas Fitzthum an der Reihe.

Im schnellen Stakkato schlägt er seinen Doppelpaddel in das Wasser, zwei Tore lang liefert die träge Strömung keinen Widerstand, zwei Tore also, die er nicht verfehlen kann. Dann aber ein Wehr, über das das Wasser stürzt, zu beiden Seiten flankiert von Steinaufwerfungen, die das Flussbett verengen und den olivgrünen Spiegel in eine weiße, keuchende Gischt verwandeln.

Der Kampf durchs Weißwasser

Thomas Fitzthum stemmt seinen Paddel in die Fluten, die Spitze seines Kajaks taucht tief ein — und auch er ist kurz fast vollständig verschlungen. Tor drei wartet gleich nach dem Auftauchen, Tor vier erfordert eine Richtungsvariation, Tor fünf liegt anspruchsvoll, er muss sich quer durch das ärgste Weißwasser kämpfen und es dann aufwärts durchfahren. Er beugt sich nach hinten, passiert die beiden Stangen ohne Berührung, bevor er sich von der Strömung erfassen lässt, die ihn weiter flussabwärts treibt. Es ist der erste Durchgang in der Klasse Junioren K1. Fitzthum ist amtierender bayerischer Meister in dieser Disziplin — und heute hier, um seinen Titel zu verteidigen.

Das „K1“ steht für Einer-Kajak, eine der beiden Kanu-Slalom-Bootsklassen. Die Wettkampfstrecke ist neunzehn Tore lang. „Eine eher einfache Strecke, für den Nachwuchs geeignet. Aber auch die Erwachsenen müssen hier erst mal schnell durchkommen“, erklärt Uwe Bischoff. Bischoff ist Leiter der Abteilung Kanu der SG 83 Nürnberg/Fürth. Sein Bart ist weiß und gekräuselt wie die Gischt hinter dem Wehr, gemütlich sitzt er auf der Terrasse des Bootshauses und lässt sich die Sonne auf die Unterarme scheinen, während ein paar Meter von ihm entfernt der Wettkampf in vollem Gange ist.

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Bauarbeiten an der „Riviera“

Die meiste Arbeit ist getan — für ihn zumindest. „Ich glaube, die haben extra auf uns gewartet“, sagt er. Mit „die“ meint er das Nürnberger Bauamt, das gegenüber des Einstiegs schon alles vorbereitet hat. Bauzäune, Zementmischer, chemische Toiletten — alles sauber aufgereiht für den Neubau der Fernabrücke, der das nächste Jahr das Geschehen um und über seiner Hausstrecke bestimmen wird. Die 31. Ausgabe des Fürther Kanuslaloms, der traditionell im Juli stattfindet, musste 2014 auf den April vorverlegt werden. Aber besseres Wetter, da stimmt auch Bischoff zu, hätten sie auch im Juli nicht haben können, hier an seiner „Weikershofer Riviera“.

123 Mädchen und Jungs, Frauen und Männer von neun bayerischen Vereinen sind gemeldet, insgesamt 35 verschiedene Wettkämpfe werden ausgefahren an diesem Wochenende, quer durch alle Altersstufen und Disziplinen. Oben, auf der Brücke, rollt unbeirrt der Verkehr, nur ein paar Radfahrer halten an, lehnen sich gegen die Brüstung und sehen hinunter in die idyllischen Uferauen.

"Man muss Boot fahren können"

Worauf es eigentlich ankommt bei diesem Kanusport, ist ihnen wohl auch nicht geläufig. „Man muss Boot fahren können“, sagt Bischoff dazu und lacht. Boot fahren, das heißt für Bischoff „mit dem Wasser zu fahren und nicht dagegen“, und dazu die nötigen Muskeln im Oberkörper zu besitzen, um auch mal da hinzukommen, wo einen das Wasser nicht von alleine hinbringt. Nicht alle in seiner Abteilung frönen dem Wettkampfsport: „Es ist wie beim Skifahren: Es gibt welche, die machen die Rennen mit, viele aber wollen einfach auf den Berg und runterfahren, wie sie wollen.“

Thomas Fitzthum ist keiner von denen, die es ruhig angehen lassen. Mäandernde Muster schraffieren das Wasser um ihn herum. Für einen Laien wirkt die immer wieder durch Steinhindernisse gebrochene Strömung undurchschaubar, aber die jungen Sportler am Ufer lesen in den Verwirbelungen wie in einer mathematischen Gleichung.

Sie tragen Neoprenanzüge unter ihren Startnummern, deuten auf Schikanen, sprechen von Manövern. Ihre Sportgeräte schillern wie angeschwemmte Fische an den grasbewachsenen Uferhängen, während sich einer von ihnen gerade an einem Tor abmüht. Das Wasser ist gute zehn Grad kalt — und der Lokalmatador Fitzthum schrammt haarscharf an einer Torstange vorbei. Hätte er sie berührt, wären zwei Strafsekunden die Folge.

Die Rednitz als Sprungbecken

Nach seinem Rennen wird er erklären, dass es ein guter erster Lauf hätte sein können — wenn da nicht diese Probleme an Tor 13 gewesen wäre. „Ich habe das Aufwärtstor ein bisschen zu knapp angefahren, hab mit dem Paddel dann die Steine berührt“, sagt er.

Dennoch ist er Zweiter nach seinem ersten Lauf, ist noch mittendrin im Kampf um die Titelverteidigung. Das Rennen auf der Rednitz ist in seiner Altersklasse nur das erste von dreien, aus deren Gesamtzeit sich am Ende der Sieger ergibt. „Aber die Besten“, so relativiert er, „sind heute ohnehin nicht dabei.“ Die Besten seines Jahrgangs bereiten sich nämlich aktuell in Australien auf die Junioren-Weltmeisterschaft in dieser olympischen Disziplin vor. Wie weit ist er selbst davon weg? „Mein Trainer sagt, ich hätte das Zeug dazu“, sagt er; wie auch der Augsburger Florian Breuer, der aktuell Mitglied im Juniorenkader ist, und der seine Karriere hier einst auf der Rednitz und bei der SG 83 begonnen hat.

Und auch beim diesjährigen Saisonhighlight zeigt sich, was dieser kleine Verein strukturell leisten kann: Er lässt junge Menschen in Berührung kommen mit diesem so interessanten und anspruchsvollen Wassersport — und kann, wenn es zu mehr reicht, ein Sprungbrett zu den großen Kanuzentren des Landes sein. Fitzthum legt zwar einen besseren zweiten Lauf hin, Niklas Brauneis aus Augsburg aber absolviert die rund 300 Meter lange Strecke am schnellsten.

Auch am Sonntag kommt die hochgehandelte Herrenmannschaft nicht über Rang zwei hinaus. Die SG 83 hat keinen Eiskanal wie die Augsburger Vereine, die auf ihrer künstlichen Wildwasseranlage optimale Trainingsbedingungen vorfinden. Aber sie haben die Rednitz auf 300 Metern wilder gemacht, haben ihr Bootshaus, haben eine Terrasse, auf die die Sonne scheint. Bald haben sie auch eine neue Brücke — nur den Bautrubel, den müssen sie nun aussitzen.