WM-Kolumne: Der Fußball im Zeichen des Gesangs

23.6.2018, 12:00 Uhr

Auch die Fans von Peru unterstützen ihre Mannschaft gesanglich. Sportlich hat es bislang leider nicht viel gebracht, aber die Fans kamen sich dadurch emotional ein ganzes Stück näher. © Marius Becker/dpa

Lothar Matthäus steigt also an der Haltestelle Dutzendteich in die S2 ein. Der Zug ist voll, die fränkischen Fußballfans lassen dem Rekordnationalspieler zunächst keinen Platz. Dann aber wird er erkannt und natürlich muss er sofort singen: "Mexico mi amor", das Lied, das ihn noch bekannter gemacht hat als seine 150 Länderspiele.

Matthäus singt, er singt dieses 32 Jahre alte Lied schließlich überall, vor Fernsehkameras, auf Fußballplätzen und eben auch in der S-Bahn. Und mit Matthäus singt der ganze Waggon. "Sombreros verbergen den Stolz in den Augen der einsamen Männer. Zärtliche Mädchen verschenken die Sehnsucht im Dunkel der Nacht." Unvergessen. Oder eher unvorstellbar.

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In Liverpool ist genau das passiert, mit drei feinen, aber entscheidenden Unterschieden. Es war nicht Lothar Matthäus, es war nicht "Mexico mi amor" und wirklich gesungen hat John Barnes auch nicht.

Barnes, 79 Einsätze für die englische Fußballnationalmannschaft, 84 Tore für die Reds, hat sprechgesungen, so wie er es immer macht, wenn er irgendwo erkannt wird. Und der freundliche Barnes wird immer erkannt.

Viele Engländer kennen das Lied Song dazu auch nur als "John Barnes Rap", tatsächlich heißt es "World in motion" und ist auch nach 38 Jahren noch der beste WM-Song aller Zeiten. Keine Widerrede. Am Ende rappt Barnes herrlichen Blödsinn ("Catch me if you can 'cause I'm the England man"), großartig aber ist dieses Stück aber vor allem, weil es von New Order stammt.

Popkultur und Fußball waren schon immer und sind noch immer beste mates (jüngstes Beispiel: die grandiose Vorstellung des englischen WM-Kaders), in Deutschland hat man 2006 Herbert Grönemeyer dazu erkoren, den Soundtrack zum Sommermärchen zu schreiben.

Mehr muss man nicht wissen. Deutsche WM-Songs sind ohnehin ausnahmslos grauenvoll – zugegeben, aus der Sicht eines eingebildeten und wenig toleranten Musiksammlers, der selbst die Sportfreunde Stiller (54, 74, 90, 2006/2010/2014/2018) nur kurze Zeit gut fand. So lange sie eben keiner kannte. Dann aber, viele Jahre später, kommt der Sohn (7) aus der Schule und bringt einen Ohrwurm mit. "Auf uns, kennst du das?" Ja, leider. "Das muss auf meine Spotify-Playlist."

Gute Güte, hat es denn überhaupt nichts gebracht, dem Kind Arcade Fire, Pixies und allerlei deutschen Hip Hop vorzuspielen? Mittlerweile sind weitere Fußball-nahe Songs hinzugekommen. Bei Mark Forsters "Chöre" singt auch der kleine Bruder (3) mit. Und auf den Weg in Schule und Kindergarten muss inzwischen mindestens einmal "Zusammen", der aktuelle Beitrag zur WM von den Fantastischen Vier und Clueso, abgespielt werden.

Es gibt Schlimmeres, jeden anderen aktuellen WM-Song zum Beispiel. Wer singt, kann sich nicht streiten. Und gerade in Zeiten, in denen uns alle so vermeintlich viel trennt, schadet es sicher nicht, auch mal etwas "Zusammen" zu machen – Singen zum Beispiel, oder den deutschen Sieg gegen Schweden zu bejubeln. Danach schauen wir uns noch einmal John Barnes an. When something's good, it's never wrong.