75 Jahre NN

Bruno Schnell prägte den Aufstieg des Verlags

3.6.2020, 17:27 Uhr

Die meisten von uns in der Redaktion haben ihn nur ein-, zweimal selbst erlebt in ihrem Berufsleben, weil er sich sonst rar machte und alles andere als ein Freund öffentlicher Auftritte war. Wer aber 25 oder 40 Jahre Verlagszugehörigkeit erreicht hatte, wurde (und wird) eingeladen zur Jubilarfeier, jedes Jahr im Oktober. Das war nicht bloß für Bruno Schnell eine Art sehr großes Familienfest – für ihn aber sicher am meisten. Wer den NN-Verleger dort sah, der spürte: Dieses Medienhaus, das war seine Heimat. Er genoss diese Abende mit Swing, Begegnungen – und mit "seiner" Belegschaft.



Jeder Jubilar erhielt Urkunde, Geschenk – und ein paar anerkennende Worte von Bruno Schnell, der da oft erstaunlich gut Bescheid wusste, wer wo und wie arbeitet in "seinem" Verlag. Und er bekam die Anerkennung, die er gab, auch zurück, zum Beispiel bei der traditionellen Weihnachtsfeier für die Senioren des Verlags in einem Engelthaler Wirtshaus. Sie sangen dort für Schnell – auch als Dank dafür, dass er sich weit mehr als üblich engagierte für die "Ehemaligen" des Verlags.

Er selbst hätte öfter als alle anderen Jubiläum feiern können im Verlag Nürnberger Presse. Denn Schnell brachte es dort auf gut sieben Arbeits-Jahrzehnte: Am 1. Dezember 1947 trat er mit 18 Jahren als Direktionsassistent ins Unternehmen ein, geholt und gefördert vom Gründungsverleger Joseph E.Drexel. Und er prägte das Haus bis wenige Monate vor seinem Tod am 27. Januar 2018.

Sehr oft brannte bis zuletzt und bis in den Abend hinein Licht in seinem Eckzimmer im ersten Stock des "Braunen Hauses" an der Marienstraße 11, so genannt nicht nur wegen des Sandsteins, sondern weil in diesem Gebäude in der Nazi-Zeit die NSDAP-Gauleitung residierte. Und weil sowohl Drexel als auch Schnell in genau dem Raum ihren Schreibtisch hatten, in dem der berüchtigte Gauleiter und "Stürmer"-Herausgeber Julius Streicher saß. "Ich habe mich unheimlich gesträubt, da reinzuziehen, wo dieses Schwein saß", sagte der überzeugte und engagierte Antifaschist Schnell einmal zur heiklen Vorgeschichte seines Büros. Von dort lenkte er jahrzehntelang den Verlag. Und erntete zunächst die Früchte eines Erfolgs, dessen Grundlage er Ende der 1950er und Anfang der 1960er Jahre gelegt hatte: Mit dem "Nürnberger Modell" weitete er zum einen das Verbreitungsgebiet der Zeitung aus und sicherte zum anderen einigen kleineren Verlagen in der Region ihr Überleben.



Seine Idee: Der Verlag Nürnberger Presse bot diesen kleineren Heimatzeitungen an, ihnen den so genannten "Mantel" zu liefern – also alles außer dem jeweiligen Lokalteil, den die Verlage weiter selbst herausgeben. Eine echte Win-win-Situation: Die kleinen, sonst in ihrer Existenz gefährdeten Zeitungen konnten überleben – und die Nürnberger Nachrichten samt den nun mit ihnen kooperierenden Heimatverlagen vergrößerten so ihr Verbreitungsgebiet und die Gesamtauflage erheblich: Aus dem nur in Nürnberg und Fürth gestarteten Blatt wurde binnen weniger Jahre eine der größten deutschen Regionalzeitungen.

Die Zeit des Wirtschaftswunders und die Jahre danach bescherten den Verlagen eine stabile Phase des Wachstums. Auflagen und Anzeigen-Aufkommen stiegen: Viele kleine lokale und regionale Unternehmen, die es längst nicht mehr gibt, gehörten zu den Inserenten. Es war eine Phase, in der es den Zeitungen – anders als heute – ausgesprochen gut ging.

Bruno Schnell, der seit den 1960er Jahren alleinvertretungsberechtigter Geschäftsführer des Verlages war und nach dem Tod der Gründungsverleger Drexel (gestorben 1976) und Heinrich G. Merkel (1985) alleiniger Herausgeber und Verleger wurde, nutzte diese Wachstums-Jahre, um dem Medienhaus eine solide Basis zu schaffen, und auch zur Expansion.

Er sicherte der bürgerlichen Nürnberger Zeitung ihre Zukunft, als er das Blatt erwarb und in die Unternehmensgruppe eingliederte – (s)ein Beitrag zur Medien-Vielfalt in der Region. Später gelang es ihm, den legendären kicker zurück in den zur Unternehmensgruppe gehörenden Olympia-Verlag zu holen; aus den bis dahin getrennten Fußball-Fachblättern kicker und Sportmagazin wurde der kicker, wie er heute noch, im 100. Jahr seines Bestehens, auf dem Markt ist. Und Schnell stieg 1962 mit dem Erwerb eines Zeitungs- und Zeitschriften-Großhandels in die flächendeckende Vermarktung von Print-Produkten ein: Der daraus 1971 entstandene Nordbayerische Presse-Vertrieb NPV wurde einer der größten Presse-Grossisten Deutschlands.



Die Erträge dieser Unternehmen wanderten vor allem in die Rücklagen. Abhängig von Banken machte Schnell sich nie. Von diesem nachhaltigen Wirtschaften profitiert der Verlag noch heute, in weit schwierigeren Zeiten.

Dass andere Unternehmensführer stattdessen auf Gewinnmaximierung um fast jeden Preis und zu Lasten der Beschäftigten setz(t)en, das empörte Schnell. Und deshalb schrieb er gelegentlich Leitartikel, die schärfer und pointierter waren als die meisten anderen Kommentare. Nur ein Beispiel: "Wenn es je eines Beweises bedurft hätte, was schrankenloser Kapitalismus bedeutet, so wäre er am 12. Dezember 1996 in München erbracht worden. Der Siemens-Konzern, so berichtet sein Vorstandsvorsitzender, habe 1995/96 eine Eigenkapitalrendite in bisher nie gekannter Höhe erzielt. Andererseits werde man 1997 weitere 6000 Stellen streichen": So begann Schnell 1996 seinen bundesweit beachteten Leitartikel "Die Gewinnmaximierer". Eigentum verpflichtet: Diesen Satz aus dem Grundgesetz lebte Schnell vor – ohne daraus je großes Aufsehen zu machen. Er förderte nach Kräften die vorweihnachtliche Hilfsaktion "Freude für alle", mit der die Nürnberger Nachrichten seit nun schon über 50 Jahren Menschen aus der Region aus Notlagen helfen – mit jährlicher Anschubfinanzierung durch Schnell. Und zusammen mit seiner Frau startete er die "Bruno und Helga Schnell-Stiftung", die sich karitativ und sozial auf vielen Feldern engagiert.

Seinen Mitarbeiter waren ihm stets wichtig: Verleger Bruno Schnell bei seiner Ansprache an die große Gästeschar bei der Rentner-Weihnachtsfeier der Unternehmensgruppe Nürnberger Nachrichten.

Er selbst handelte als klassischer Patriarch, der sein Haus führte wie eine große Familie. Er hielt sich, anders als fast alle anderen Verlage, an geltende Tarifverträge, ja er kämpfte für deren Einhaltung und machte sich mit dieser Haltung keine Freunde bei anderen Verlegern. Keine betriebsbedingten Kündigungen, das war seine Maxime, die er durchhielt trotz wachsenden wirtschaftlichen Drucks. Denn seit der Jahrtausendwende brachen die Einnahmen der Verlage ein – weil weite Teile des Anzeigenmarktes ins Internet abwanderten und zugleich die Auflagen gedruckter Medien eine nach wie vor anhaltende Talfahrt antraten.

Unbeirrt hielt Schnell auch in diesen Jahren fest an einem Mäzenatentum, mit dem er vor allem das förderte, was ihm selbst am Herzen lag: Der passionierte Bergsteiger und sehr talentierte Maler rief den Kunstpreis der Nürnberger Nachrichten ins Leben, der seit 1993 regionale Künstlerinnen und Künstler fördert – mit bisher über 800 000 Euro. Er überließ der Stadt für den symbolischen Preis von einem Euro die Kunstvilla an der Badstraße, die nun die Werke regionaler Künstler präsentiert.

Schnell unterstützte den Weg Nürnbergs von der "Stadt der Reichsparteitage" zur "Stadt der Menschenrechte" nach Kräften: Er finanzierte den Nürnberger Menschenrechtspreis und unterstützte ideell und finanziell den Start des Dokumentationszentrums Reichsparteitagsgelände, das ohne sein Engagement nicht so schnell entstanden wäre.

Bruno Schnell (Mitte) rief 1993 den Kunstpreis der Nürnberger Nachrichten ins Leben und stattete ihn finanziell großzügig aus - mit bisher über 800 000 Euro. Seine Tochter Sabine Schnell-Pleyer (rechts) vom Verlag Nürnberger Presse und die Künstlerin Ilse Feiner zeigten sich während einer Preisverleihung im Jahr 2014 erfreut. © Michael Matejka

Die Stadt Nürnberg verlieh ihm für sein Lebenswerk im Jahr 2014 die Ehrenbürgerwürde – was ihn als Gegner persönlicher Auszeichnungen und öffentlichkeitsscheuem Menschen zu einem letzten großen öffentlichen Auftritt zwang; entsprechend knapp fiel seine Dankesrede aus. Bezeichnend, dass er sie vor allem dazu nutzte, um dafür zu werben, seinen wohl engsten, damals schon verstorbenen Freund Arno Hamburger ebenfalls zu ehren: Schnell schlug vor, dem langjährigen Vorsitzenden der Israelitischen Kultusgemeinde die Ehrenbürgerwürde posthum zu verleihen.

Seine Töchter Bärbel Schnell und Sabine Schnell-Pleyer setzen das Lebenswerk ihres Vaters fort – in schwierigen, aber auch chancenreichen Zeiten für Medienhäuser, die sich dem digitalen Wandel stellen müssen. "Dieses Internet" war Bruno Schnell stets fremd geblieben. Er war ein Mann der gedruckten Zeitung, ein Verfechter freier, kritischer Medien. Einer, der keine großen Worte machte, schon gar nicht um sich selbst.