Ausgrabungen in Altstadt

Unterm Neumarkter Hotel Stern: "Dufte" Funde in alter Latrine

9.10.2021, 12:45 Uhr

Der Abgang (links unten) zum Keller wurde vor langer Zeit zugeschüttet, deshalb waren die Archäologen auch überrascht, als sie unter dem abgerissenen Frühstücksraum des Hotels auf einen Hohlraum stießen. © Günter Distler, NNZ

"Wenn man die Bodenplatte rausmacht, ist man gleich im Mittelalter", sagt Daniela Rehberger. Die Archäologin steigt den letzten Meter hoch zur Kastengasse, die die östliche Neumarkter Altstadt parallel zur Marktstraße durchzieht. Dazwischen klafft eine große Lücke, seitdem das Hotel Stern im August abgerissen worden ist.

Das Wirtshaus braute im 19. Jahrhundert sein eigenes Bier: Eines der Fundstücke, die einst in der Latrine versenkt wurden, war der Bügel einer Bierflasche aus der Sternbrauerei. © Günter Distler, NNZ

Was dort, auf dem rund 800 Quadratmeter großen Areal, einmal kommen mag, steht fest: ein neues Hotel mit 45 Zimmern, drei Wohnungen und eine Fiehlmann-Filiale im "Vorderhaus" am Oberen Markt. Was aber im Untergrund, im Zuge der archäologischen Bodenerkundungen, zum Vorschein kommt, lässt sich nie mit Sicherheit vorhersagen.

Die "Gerberhöfe" sind nur zwei Häuser weiter: Archäologin Daniela Rehberger neben dem gemauerten Gerberbottich. © Günter Distler, NNZ

Inzwischen hat das Team der Parsberger "Adilo"-Archäologen mindestens sechs Jahrhunderte Neumarkter Siedlungs- und Wirtschaftsgeschichte offen gelegt. Ein stattlicher Gerberbottich aus Backsteinen kündet von der Nähe zu den neu bebauten "Gerberhöfen" mit ihrer geruchsintensiven Vorgeschichte.

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Das älteste Fundstück: Das kleine Töpfchen aus dem 15. Jahrhundert ist fast unversehrt. © Günter Distler, NNZ

Reste eines Kühlkellers erinnern daran, dass die Wirtsfamilie Grässler, die das Gasthaus "Stern" im 19. Jahrhundert von Anton Glossner übernahm, am Oberen Markt 31 auch ein eigenes Bier gebraut hat. Um 1920 ging das Anwesen an den späteren Tankstellenbetreiber Rödl über, nach dem letzten Krieg dann an die Familie Stepper.

Im Hintergrund ein Stützbogen vor der Außenmauer an der Bockwirtsgasse. © Günter Distler, NNZ

Neben zwei Brunnen, von denen es zahlreiche in den Altstadthäusern gab, stießen die Archäologen auf einen vergessenen Abgang zu einem größeren Hohlraum. Der entpuppte sich als Keller mit einem weiteren runden Brunnen, womöglich aus dem Spätmittelalter, schätzt Daniela Rehberger. Eine Wand, halb roter Backstein, halb leuchtend weißer Kalkstein, lässt auf einen Umbau schließen.

Die Flaschenhälse sind aus grünem "Waldglas". © Günter Distler, NNZ

Während dort, an der tiefsten Stelle der Grabung, kaum Gegenstände gefunden wurden, der Keller vor seiner Schließung offenbar freigeräumt wurde, erwies sich zehn Meter weiter eine große Latrine mal wieder als "Goldgrube". Sie befand sich mit kleineren Nebengebäuden im Innenhof zwischen den beiden Häusern, die einst getrennt auf dem Grundstück standen: der "Sternwirt" vorne an der Marktstraße, das andere hinten an der Kastengasse.

Gute Konserve: Die große Latrine im einstigen Innenhof erwies sich als "Goldgrube" für die Archäologen. © Günter Distler, NNZ

Die Toilette aus dem 16./17. Jahrhundert ist zweieinhalb Meter breit und gemauert. Eine ähnlich große Latrine gebe es drüben in der Klostergasse, erzählt Rehberger, auf dem Gelände der Wohnanlage "Klosterhöfe" (davor Hackner), wo sich früher das Rentamter befand. "Es muss sich hier also schon in der Frühen Neuzeit um einen wohlhabenderen Haushalt gehandelt haben, um eine größere Wirtschaft. Nicht High Class, aber gehobener als eine Spelunke."

Eine Tonpfeife. © Günter Distler, NNZ

Diese Feststellung spiegelt auch die Qualität der Funde wieder, meist Reste von Trinkgefäßen. Während Gläser und Flaschen beim Wurf in eine herkömmliche Abfallgrube in kleine Scherben zerschellen, die schnell verwittern, landen sie in der Latrine weich und werden in der Humusschicht, die sich aus den menschlichen Exkrementen gebildet hat, gut konserviert.

Hier ein kleiner Glas-Stiefel, der einst einem Stamperl Stand gab. © Günter Distler, NNZ

Aus den Tiefen des Schachts barg das Grabungsteam in der vergangenen Woche ein Sammelsurium an Zeugnissen aus 600 Jahren Gasthauskultur. "Je tiefer man kommt, umso spannender wird es", sagt Adilo-Chef Friedrich Loré. Mit am besten erhalten ist kurioserweise der älteste Fund, ein Töpfchen aus dem 15. Jahrhundert. "Deutlich älter, als was wir sonst hier haben", so Loré.

Hölzerne oder gemauerte Gruben, aber auch einfache Erdöfen sind typische Funde unter Häusern in der Neumarkter Altstadt. © Günter Distler, NNZ

Wohl am jüngsten und auch fast noch unversehrt ist ein mit Spielkarten verziertes Schafkopf-Schälchen für Geldmünzen. Zeitlich dazwischen liegen Teile von Butzenscheiben, Trinkgläsern und von einem Bierhumpen mit einer Stadtansicht von Wien.

Auch im stillen Örtchen entdeckt: Kleine Fläschchen und aufwändig dekorierte Glas-Schafte. © Günter Distler, NNZ

Daneben liegt ein Stück Fayence-Keramik, eine Tonpfeife, die Scherbe eines Bechers mit einem emaillierten Maiglöckchen, Flaschenteile aus grünem Waldglas, der verzwirbelte Hals eines "Kuttrolfs", eine Art großes Scherzglas, das beim Trinken gluckernde Geräusche macht.

Blick von der Kastengasse zum Oberen Markt: Hier entsteht ein neues Hotel mit 45 Zimmern. © Günter Distler, NNZ

Eine Scherbe ist mit einem Goldmuster verziert, der Fuß eines anderen Glases wurde bereits mit einem Löwenkopf geblasen. Ein Stamperl stand sogar auf einem kleinen Stiefel mit Sporn. "So etwas habe ich zum Beispiel bisher noch nicht gesehen", sagt Daniela Rehberger. Und sie hat schon einige Grabungen in der Neumarkter Innenstadt geleitet.

Ein kleiner Porzellanteller für den Spieleinsatz beim Karteln. © Günter Distler, NNZ

Um Bodenerkundungen kommen Bauherren in der Altstadt nicht herum, auch wenn sie kostspielig und zeitaufwändig sind. Denn obwohl die meisten Gebäude nicht unter Denkmalschutz stehen, ist der Grund darunter ein Bodendenkmal, erklärt Sebastian Sturm von der Unteren Denkmalschutzbehörde.

Dass die neue Bebauung im hinteren Teil des Stern-Areals (an der Kastengasse) nicht unterkellert wird, mache es da schon etwas billiger, sagt Timo März vom Architektenbüro Theo Nutz. "Da kommt die tragenden Bodenplatte darüber, dann sind die Befunde wieder konservatorisch bedeckt."