Große Bereitschaft zum unternehmerischen Risiko

22.8.2016, 20:30 Uhr

Schon als kleines Kind hat es Olga Dick Spaß gemacht, alles zu organisieren und anderen zu sagen, wann sie was zu tun haben. 1983 wurde sie in Kasachstan geboren, 1993 kam sie mit ihrer Familie nach Deutschland. Heute ist Olga Dick gemeinsam mit Sabine Linz geschäftsführende Gesellschafterin der von ihr gegründeten Amoonic GmbH in Nürnberg. Zwar war sie erfolgreich als Jungmanagerin bei Siemens beschäftigt, aber sie ist „ihrer Leidenschaft gefolgt“ und hat einen Onlineshop gegründet.

Sie verkauft individuell angefertigten Schmuck — von Silber bis Platin und mit natürlichen Edelsteinen. Zum Sortiment gehören Ringe aller Art, vom Ehe- bis zum Ohrring und Ketten, die von den Online-Käufern am Bildschirm selbst gestaltet werden können.

Werbung
Werbung

2011 hat sich Dick selbstständig gemacht, im vergangenen Jahr wurde das Unternehmen mit dem IHK-Gründerpreis ausgezeichnet. Heute beschäftigt die junge Firma mit dem Namen Amoonic (zusammengesetzt aus amore und unique, also Liebe und Einzigartigkeit) rund 20 Mitarbeiter. Und Dick berichtet stolz von „steigenden Gewinnen“.

Bereit zum Risiko

Einer aktuellen Studie der Bertelsmann-Stiftung zufolge wächst der Beitrag, den Menschen mit Migrationshintergrund als Unternehmer, Gründer und Firmenbesitzer in Deutschland leisten. In Zahlen: 709 000 selbstständige Unternehmer mit Zuwanderungsgeschichte gab es 2014 – das ist ein Viertel mehr als 2005. 1,3 Millionen Jobs haben sie in dieser Zeit geschaffen, ein kräftiger Anstieg um 36 Prozent.

Während Deutsche, so Yvonne Stolpmann von der IHK Nürnberg für Mittelfranken „eher die sichere Anstellung in der Hinterhand behalten und im Nebenerwerb gründen“, sind Migranten nach ihren Beobachtungen häufig „risikobereiter“.

Werner Wendler, Leiter Corporate Finance bei der Sparkasse Nürnberg, sagt: „Aus den Gesprächen unserer Gründungsberater wissen wir, dass Migranten aufgrund fehlender formeller Qualifikation oder der fehlenden Anerkennung ihrer vorhandenen Abschlüsse eine hohe Motivation besitzen, ein eigenes Unternehmen zu gründen.“ Gründungen von Personen mit Migrationshintergrund erfolgen nach IHK-Angaben dabei häufiger als bei deutschen Gründern im Gastgewerbe und im Handel.

Nach Erfahrung der IHK-Berater führen sie bei ihrer Entscheidung zur Selbstständigkeit häufig den traditionellen Beruf der Eltern weiter – und dies sind insbesondere bei den großen Gruppen der türkisch-, osteuropäisch- und griechisch-stämmigen Migranten in der Regel Händler und Gastronomen.

Die Familien spielen gerade in der Gründungsphase ohnehin eine wichtige Rolle. Sparkassen-Manager Wendler sagt: „Sie werden bei ihren Gründungsvorhaben sehr oft von einem großen und aktiven Bekanntenkreis unterstützt, von denen bereits viele hier in Deutschland oder im Heimatland selbst ein Unternehmen gegründet haben.“

Offen für neue Wege

Nach seiner Erfahrung sind „manche Migranten vielleicht etwas risikobereiter“. Dabei spielten die Kontakte und Synergien im Bekanntenkreis ebenso eine Rolle wie gewisse kulturelle Mentalitäten.

Die erste Zuwanderer-Generation hat nicht selten alle Zelte in der Heimat abgebrochen. Das erfordere eine hohe Bereitschaft, sein Schicksal in die eigenen Hände zu nehmen, sich zu verändern und nach neuen Wegen zu suchen. Im Gründerreport 2015 des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK) heißt es: „Dieser ‚Spirit‘ wird oft auch an die nächste Generation weitergegeben.“

Orhan Kocagöz, Professor für Ökonomie und Management an der Nürnberger FOM Hochschule, hat beobachtet, dass „Türken Gelegenheiten schneller wahrnehmen und in Ideen ummünzen. Jedenfalls sind sie anfangs sehr davon überzeugt, dass ihnen diese Gelegenheit zu einer unternehmerischen Existenz verhilft.“

Nach seiner Erfahrung zählen Flexibilität und Improvisationskunst dann vor allem zu ihren Stärken bei der Gründung eines Unternehmens. Aber Kocagöz weiß auch, dass im weiteren Verlauf „mehr Organisationstalent und Managementtechniken gefragt“ sind. Berater der Kammern bestätigen nicht nur den Nachholbedarf im kaufmännischen und sprachlichen Bereich, sondern meinen, dass Gründer mit Migrationshintergrund den Rat von neutralen Beratungsstellen, Unternehmens- und Steuerberatern einholen sollten. So bietet die IHK Nürnberg zum Beispiel Gründern im gastronomischen Bereich einen auf sie zugeschnittenen Service: Öffentlich bestellte und vereidigte Dolmetscher helfen Jungunternehmern, die nicht ausreichend Deutsch verstehen, bei der Einrichtung ihrer Gaststätten.

Emotionale Hürde

„Besondere Schwächen und Risiken sind im Vergleich zu deutschen Gründern nicht ersichtlich“, sagt IHK-Beraterin Stolpmann: „Gründer mit Migrationshintergrund haben den gleichen Nachhol- und Beratungsbedarf rund um die Erstellung des Businessplans wie deutsche Gründer.“ Dabei sind in der Regel auch einige emotionale Hürden zu überwinden – und das ist für Menschen anderer Mentalität nicht immer ganz leicht.

Ein Beispiel: Der Businessplan enthält nicht nur die Stärken des Gründers und seines Vorhabens, sondern auch mögliche Schwächen. Über diese Schwächen möchten Berater und Geldgeber sprechen, aber einigen Migranten fällt es schwer, sich auf diese Weise „bloßzustellen“.

Unbedingt anklopfen

Die erfolgreiche Schmuck-Unternehmerin Dick sagt: „Natürlich gab es beim Weg in die Selbstständigkeit auch neue Fragen und Hürden, man kann nicht alles wissen“. Aber dann hat sie stets die Unterstützung und Hilfe von anderen Menschen bekommen. „Schon meine Mutter hat immer gesagt: Klopf an, wenn du vor der Tür stehst. Wenn du nicht klopfst, weiß keiner, dass du da bist.“