Heroische Lebenshelfer

31.1.2020, 10:47 Uhr

Soeben hat Oliver Kilian noch geholfen, die Spülmaschine einzuräumen. Jetzt schwärmt er von seinem Traumberuf. "Oli", wie ihn hier alle nennen, ist Heilerziehungspfleger (HEP) und betreut im Wohnheim der Lebenshilfe Nürnberg im Team 26 Senioren mit Behinderung. Und da geht alles gemeinsam: Schnippeln, Kochen, Essen und Küche Aufräumen – den Alltag leben.

"Ich habe einfach Spaß bei der Arbeit, und die macht ja bekanntlich immerhin ein Drittel des Tages aus", sagt Kilian. "Hier ist es geradezu idyllisch, weil man Geborgenheit schafft und von den Bewohnern so viel zurückbekommt."

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HEP seien Bezugsperson und Partner der kleinen und großen Menschen mit geistigen oder körperlichen Einschränkungen. Deren Fähigkeiten und Kräfte gelte es zu erkennen und zu aktivieren, um ihre selbständige und selbstbestimmte Lebensweise zu erhalten oder zu entwickeln und somit die Lebensqualität zu maximieren.

Damit das gelingt, haben HEP jede Menge zu lernen: Heilpädagogik, allgemeine Pädagogik, Psychologie, Kommunikationsmethoden, Medizinisches wie Anatomie, Pflege und Krankheitslehre sowie rechtliche Grundlagen.

"Ich hätte nicht gedacht, dass die Ausbildung so umfangreich ist, und dass es auf so viele Kleinigkeiten ankommt", gibt Kilians Kollegin Franziska Schabdach zu. Sie hat ihre Ausbildung im September abgeschlossen. Im Mittelpunkt der Arbeit stehe immer der Mensch, der trotz geistiger oder körperlicher Einschränkungen Bedürfnisse und Wünsche, Ansprüche und unterschiedliche Stimmungen habe.

Soeben streckt Helmut den Kopf zur Tür herein. Bevor es mit Franzi zum Zahnarzt geht, möchte er, ja was denn bitte? Dem inzwischen 80-Jährigen wurde ein frühkindlicher Hirnschaden diagnostiziert. Anders als der unbedarfte Besucher, versteht Schabdach Helmuts Sprache problemlos: Er möchte einen Kaffee, zum Zahnarzt und von Fabian Schaer vom Fachdienst der Wohnanlage "Werner Wolf" der Lebenshilfe endlich das versprochene Foto. Außerdem liebäugelt er mit der Tischdekoration. "Die gehört aber Steffi und mit der musst du verhandeln, ob du sie kriegst", erläutert ihm Schabdach.

In ihrer dreijährigen Ausbildung, bei der sich Praxis und Theorie abwechseln – eine Woche sozialpädagogische Einrichtung und eine Woche Schule – erhalten angehende HEP das Rüstzeug für ihren komplexen beruflichen Alltag. Und da ist keiner wie der andere. "Manchmal läuft alles wie am Schnürchen und die Probleme von gestern sind wie weggeblasen, und ein andermal kommst du an und alle sind ohne ersichtlichen Grund nur eines: mies drauf und auf Krawall gebürstet", beschreibt Schabdach den ganz normalen Wahnsinn im Leben eines HEP.

Grenzen erkennen

"Aber auch ich bin mal schlecht drauf. Und wenn ich das dann sage, dann sind alle ganz lieb und besonders rücksichtsvoll, und das ist einfach nur schön." Ihr fundiertes Fachwissen befähige sie, Konflikte zu lösen, so dass am Ende alle wieder klarkämen.

Für HEPs ist es unerlässlich, sich selbst und ihre Fähigkeiten und Grenzen richtig einschätzen zu können, um erfolgreich zu interagieren, betont Schaer. Gefragt seien außerdem Konsensbereitschaft, Kritik-, Kommunikations- und Teamfähigkeit. Besonders wichtig sind laut Schaer zudem Geduld und Einfühlungsvermögen, ein Gespür dafür, wann es Menschen nicht gut geht, und jederzeit ein offenes Ohr für die Schützlinge. Voraussetzung für die Ausbildung ist in der Regel ein mittlerer Schulabschluss.

Kilian hatte, um sein Architekturstudium zu finanzieren, einen Fahrdienst für behinderte Kinder übernommen: die Initialzündung auf HEP umzusatteln, ein Beruf, der für ihn, wie er sagt, Berufung ist. Schabdach war Kosmetikerin, ehe sie, angefixt durch ihre Schwester, die als Ergotherapeutin in einer Behindertenwerkstatt arbeitet, Rouge und Lippenstift gegen Rollstühle eingetauscht hat.

HEP ist, Digitalisierung hin oder her, ein Beruf mit Zukunft, der Vielfalt statt Einfalt bietet und sie und ihre Familie zuverlässig ernährt, sind Schabdach und Kilian überzeugt. Die Lebenshilfe zahlt nach Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TvöD) nach Erfahrungsstufen (Betriebszugehörigkeit und Vorerfahrung). In der ersten sind das rund 2850 Euro brutto (netto 1820 Euro), in der zweiten 3080 brutto (netto 1930) und in der sechsten 4270 Euro (netto rund 2500 Euro).

Die Einsatzmöglichkeiten für HEP reichen vom Integrativen Kindergarten über Frühförderschulen, Werk- und Wohnstätten sowie Tages- und Freizeitstätten für Menschen mit Behinderung bis zu Rehakliniken und Alten- und Pflegeheimen.

Das Berufsbild des HEP hat Ludwig Schlaich entwickelt. Der evangelischen Pfarrer leitete 30 Jahre lang die Heil- und Pflegeeinrichtung Stetten im Remstal und erkannte, dass die Helferinnen und Helfer eine Ausbildung benötigen. Und so entstand dort 1958 die erste Fachschule für Heilerziehungsberufe in Deutschland.