Mitarbeiter bewahren Teile des Quelle-Archivs

1.12.2009, 00:00 Uhr

Es sind Szenen, die das ganze Chaos der Quelle-Liquidation zum Ausdruck bringen: Dort, wo bis vor kurzem noch Hunderte von Mitarbeitern in der Verwaltung von Deutschlands größtem Versandhaus tätig waren, prägen jetzt gespenstisch-leere Büroflure mit Stapeln von Umzugskartons das triste Bild. In der Königswarterstraße in Fürth, wo einst das «Zahlenherz« der Quelle schlug und Buchhalter Monat für Monat akribisch Einnahmen und Ausgaben addierten, werden aus Bürofenstern wahllos Firmenakten in Entsorgungscontainer geworfen - ohne Garantie, dass sich darunter nicht auch wertvolle Dokumente befinden. Am Standort Herderstraße hatten Mitarbeiter schon Teile des dortigen Archivs im Hausmeisterkeller in Sicherheit gebracht, doch die Tür wurde aufgebrochen und nur mit viel Glück konnten die Bestände doch noch vor dem Schredder bewahrt werden.

«Es war schlimm, was ich damals vorgefunden habe«

«Wir retten, was zu retten ist«, beschreibt Manfred Gawlas, zuständig für die Öffentlichkeitsarbeit, die wirre Situation in diesen letzten Tagen. Beispielsweise die Schallplatte mit Operettenmelodien, die Quelle in den 50er Jahren unter dem firmeneigenen Label «Quellux« über den Katalog vertrieben hat. Eine treue Kundin hat die Platte in den 90er Jahren auf einem Flohmarkt ergattert und dann den Fürthern zur Verfügung gestellt. Oder unzählige Film-Mitschnitte und Fotografien: In den Schränken der Hauptverwaltung an der Finkenstraße lagern säuberlich geordnet historische Aufnahmen von unschätzbarem ideellen Wert - Bilder von Modeschauen aus den 60er Jahren, Zeitdokumente vom Richtfest für das Versandzentrum in Leipzig aus dem Jahr 1992. Oder auch das mittlerweile schon vergilbte Bild vom 8. Juni 1942, dem Tag, als Gustav und Grete Schickedanz geheiratet haben.

Silvia Strattner findet inmitten des Chaos die Aufnahme auf Anhieb. Kein Wunder, sie hat nebenher ab 1997 dieses Teil-Archiv aufgebaut. «Es war schlimm, was ich damals vorgefunden habe«, erinnert sich die Frau, der inzwischen vom Insolvenzverwalter irrtümlich schon zum zweiten Mal gekündigt wurde. «Kaum war ich fertig mit dem Auswerten und dem Sortieren, da wurden irgendwo wieder neue Filme, Kataloge oder Tonaufzeichnungen gefunden und die Arbeit ging von neuem los«, erinnert sich Strattner.

«Das ist ein Teil deutscher Kulturgeschichte«

Die engagierte Frau wird «ihre« Schätze auch nach dem Verlöschen der letzten Lichter bei Quelle noch eine Zeitlang begleiten - und zwar ins Museum Industriekultur. Ihr Kollege Gawlas konnte nicht länger mit ansehen, wie einmalige Dokumente und Unterlagen für immer zu verschwinden drohten. Er suchte kompetente Interessenten für das Katalogarchiv und all die anderen Belege für die einst glorreichen Zeiten des Versandhauses - und fand unter anderem im Nürnberger Industriemuseum einen dankbaren Abnehmer.
«Für uns ist das ein wahrer Glücksfall, denn oft genug wird in solchen Insolvenzfällen viel zu spät an den Erhalt der Firmenarchive gedacht«, strahlt Museumsleiter Matthias Murko. Unter anderem die komplette Sammlung aller Versandkataloge ab den 30er Jahren hält derzeit Einzug in sein Museum. «Das ist ein Teil deutscher Kulturgeschichte«, freut sich Murko.

Schon vor der Pleite hatte er für eine Ausstellung über die Geschichte der Fürther Straße in Nürnberg Quelle-Exponate gesucht - Produkte, die über den Katalog verkauft wurden. Weit über 300 Gebrauchsgüter kamen so zusammen, von der Schneekette fürs Auto bis zum Kühlschrank. «Was wir noch brauchen, sind Textilien und -Freizeitartikel - und als Schmankerl eines der legendären Mars-Mofas, die per Versand vertrieben wurden«, wünscht sich der Museumsleiter. Während die Produktschau wohl 2010 bereits zu sehen sein wird, werden die Bestände aus dem Bereich Marketing- und Öffentlichkeitsarbeit wohl erst einmal in den Lagerregalen des Museums verschwinden. «Wir können es bei unserer finanziellen und personellen Ausstattung ohne Sponsor gar nicht leisten, diese Dokumente der Öffentlichkeit zugänglich zu machen«, bedauert Murko. Allenfalls Historiker und andere Profi-Forscher werden Einblick erhalten.

Wohl für immer vor den Augen der Öffentlichkeit verborgen bleibt neben dem privaten Familienarchiv auch das Quelle-Zentralarchiv. Hier lagern sensible Kundendokumente, Steuerbelege und andere Unterlagen, die zum Teil bis zu zehn Jahre aufbewahrt werden müssen. Zuständig dafür ist der Insolvenzverwalter, der diese wichtigen Akten zentral aufbewahren will - wenn sie bis dahin nicht schon verschwunden sind.