Prozess beginnt

"Projekt Panther": Mit diesem größenwahnsinnigen Plan wollten sich die Wirecard-Chefs retten

8.12.2022, 11:00 Uhr

Weltweit gesucht: Auf dem Aktenordner eines Linken-Abgeordneten im Wirecard-Untersuchungsausschuss ist das Fahndungsplakat des flüchtigen Jan Masalek zu sehen.  © Kay Nietfeld, NN

Der Rang in der Wiener Gesellschaft bemisst sich keineswegs am dicken Auto oder der Protz-Villa alleine, sondern daran, wo jemand in der Wiener Oper sitzt. Legt man diesen Maßstab an, hat es Markus Braun, Österreicher und Chef von Wirecard, ziemlich weit gebracht. Genauer: bis in Loge Nummer zehn, fast in Reichweite zur Kaiserloge. Sehr viel mehr kann ein Normalsterblicher in Österreich kaum erreichen...

Braun, der im Frühjahr 2020 tief fallen wird, ist 2018 ganz oben angelangt, Wirecard hat es in den Dax geschafft, und der Chef ist ein Börsen-Star. "Der hat irgendwann beschlossen: Ich bin Steve Jobs, ich bin Elon Musk", sagt ein früherer Mitarbeiter von Wirecard. Auch seine Kleidung wählt der Vorstandsvorsitzende entsprechend aus - und trägt wie der Apple-Gründer meist einen schwarzen Rollkragenpullover. Ein Tech-Visionär, dem Kleingeist seiner Mitmenschen längst entrückt: In dieser Rolle gefällt er sich. Kritikern und Aufsichtsräten macht Braun, der um die Jahrtausendwende als Berater zu der Firma in Aschheim bei München stieß und schnell Großaktionär wurde, unmissverständlich klar: "Wirecard bin ich."

Sein Mann für die schmutzigen Geschäfte: Vorstandskollege Jan Marsalek, ebenfalls Österreicher. Der heute 41-Jährige soll hinter den Dutzenden Firmen stehen, in die die Wirecard-Gelder abflossen - hinein, so der Vorwurf, in die Taschen von Braun, Marsalek und Vertrauten - zum Schaden der Aktionäre. Marsalek, dem Verbindungen zum russischen Geheimdienst nachgesagt werden, gefällt sich in der Rolle des unkonventionellen Problemlösers, er ist fasziniert von der halbseidenen Welt der Kriminellen und Spione. Dass Wirecard mit der Zahlungsabwicklung von Pornografie und Glücksspiel im Internet groß wurde, kommt nicht von ungefähr.

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Doku-Drama bei RTL

Geld, Gier, Größenwahn, Sex und Drogen, "nicht mal mysteriöse Todesfälle unter Palmen fehlen": Die Story um den Aschheimer Konzern habe alles, was ein guter Film brauche, schreiben Bettina Weiguny und Georg Meck im Vorwort zu ihrem Buch "Wirecard". Das "Psychogramm eines Jahrhundertskandals" versprechen die beiden Journalisten der Frankfurter Allgemeinen Zeitung im Untertitel - und kommen, dank einer schier endlosen Schar von Gesprächspartnern - den Protagonisten hinter der Mega-Pleite nah wie nie. Und lieferten so tatsächlich die Vorlage für einen Film. "Der große Fake" heißt das Doku-Drama, das RTL ausstrahlte. In der Hauptrolle von Firmenchef Braun: Stromberg-Darsteller Christoph Maria Herbst.

Gefällt sich als Visionär vom Schlage eines Steve Jobs: Ex-Wirecard-Vorstandschef Markus Braun. © Fabrizio Bensch, NN

Das Buch steckt voller skurriler Episoden. Wie etwa der von der Reise im März 2020, als die Wirtschaftsprüfer sich schließlich selbst von der Existenz der zwei Milliarden Euro auf den Philippinen überzeugen wollten, die in der Wirecard-Bilanz stehen, von denen zu diesem Zeitpunkt aber nicht klar ist, ob sie überhaupt existieren. "Wir rechneten mit einem Manager in gediegenem Ambiente, der uns erklärt, wie froh er über uns als Kunden ist", sagte einer der Teilnehmer der Reise. Doch die Wirecard-Manager lotsen sie zu zwei unscheinbaren Zweigstellen weit außerhalb der Hauptstadt Manila, "zwischen Blech- und Bretterbuden". Die dortigen Mitarbeiter sind des Englischen kaum mächtig.



Drei Monate dauert es von da an noch, dann steht fest: Für die Existenz der zwei Milliarden gibt es keine Belege, wahrscheinlich hat das Geld nie existiert. Für Wirecard ist es das Ende. Braun wird festgenommen, Marsalek flieht. Seine Spur verliert sich auf einem Flughafen in Österreich. Bis heute ist er verschwunden und wird mit internationalem Haftbefehl gesucht.

Konnten Braun und Marsalek nicht ahnen, dass die Wahrheit eines Tages ans Licht kommen würde? Durchaus, argumentieren die Autoren. Tatsächlich habe Braun sogar einen konkreten Plan zu ihrer eigenen Rettung ins Auge gefasst, einen Plan, der heute schier größenwahnsinnig anmutet: die Übernahme der Deutschen Bank durch Wirecard. Codename: Projekt Panther.

Bettina Weiguny/Georg Meck: Wirecard - Das Psychogramm eines Jahrhundertskandals. © Goldmann

Die Logik dahinter ist durchaus bestechend: In der Bilanz des Traditionshauses werden Vermögenswerte von einer Billion Euro aufgeführt - die bei Wirecard fehlenden zwei Milliarden dürften da kaum auffallen. Die Planungen reichen gar bis zu der Frage, welcher Aufpreis den Deutsche-Bank-Aktionären für eine Übernahme geboten werden muss. Es ist, schreiben Weiguny und Meck, "wahrscheinlich die einzige Chance der Bande, den Betrügereien und damit dem Gefängnis zu entkommen." Doch so weit kommt es nicht mehr - zu schnell fällt das Kartenhaus von Aschheim in sich zusammen.

Bettina Weiguny/Georg Meck: Wirecard - Das Psychogramm eines Jahrhundertskandals. Goldmann, 400 Seiten, 20 Euro. Das Doku-Drama "Der große Fake - Die Wirecard-Story" ist an diesem Donnerstag, 22. April, um 20.15 Uhr auf RTL zu sehen.