Wenn aus Geld gutes Geld wird

27.10.2017, 19:39 Uhr

Mit 60 Jahren geht Joachim Pietzcker ganz neue Wege. Zum Beispiel in Ghana. Dort erfuhr er viel über Anbau, Ernte, Verarbeitung und Vermarktung von Kakaobohnen, über Hybrid-Bäume, Fermentation und Aroma der Früchte. In seinem früheren Berufsleben war Pietzcker meist in Werkshallen unterwegs, entschied mit über Investitionen für die Produktion von Benzin-Einspritzpumpen oder Getriebesteuerungen. Fast drei Jahrzehnte lang war er für den Automobilzulieferer Bosch tätig. Mit 60 Jahren gehen Bosch-Führungskräfte gemeinhin in den Ruhestand. "Aber mir war schnell klar, dass ich weitermachen wollte." Und so wechselte der kaufmännische Leiter des Nürnberger Werkes Anfang Juli das Sujet: Pietzcker wurde neuer Geschäftsführer des Oikocredit-Förderkreises Bayern.

"Ich suchte nach dem Ausscheiden aus dem aktiven Arbeitsleben wieder eine hauptamtliche Tätigkeit, wollte nach wie vor geregelte Strukturen haben", sagt der Manager heute. Seine Ehrenämter genügten dem seit vielen Jahren in der Evangelischen Kirche oder auch im Vorstand der Stiftung Internationale Orgelwoche Nürnberg Aktiven im Ruhestand nicht. "Bei Bosch konnte ich viel bewegen. Da hat es mich gereizt, dies nun in einem ganz anderen Bereich zu tun." Die Stellenausschreibung von Oikocredit in Nürnberg kam da gerade recht. Und so wurde aus dem Leiter eines Produktionswerkes mit etwa 2000 Beschäftigten der Geschäftsführer einer Genossenschaft mit einem kleinen Team im Nürnberger Büro.

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Nach gut 100 Tagen im neuen Amt sagt Pietzcker: "Ich bin jeden Tag voller Freude zu Bosch gegangen – und gehe jetzt jeden Tag voller Freude zu Oikocredit." Dass sich die früher übliche 60-Stunden-Arbeitswoche nun im Teilzeitjob auf etwa 32 Stunden reduziert hat, trägt zur Freude bei – nicht nur bei seiner Ehefrau: "Der Freitag gehört jetzt uns."

Als Geschäftsführer der Genossenschaft geht der studierte Jurist auch weiterhin mit großen Zahlen um: Gut 70 Millionen Euro Kapital von über 3800 Anlegern aus ganz Bayern verwaltet der Förderkreis derzeit – ein Rekord. Aber eben auf eine etwas andere Art. "In der Industrie geht es letztlich immer um mehr Produktivität. In einem Sozialunternehmen ist das anders", sagt Pietzcker. Das war zunächst gewöhnungsbedürftig, aber auch reizvoll.

Ganz besonders reizte ihn die Idee, in Menschen zu investieren. Denn die stehen hinter dem Geld, mit dem Oikocredit Entwicklungsprojekte in den Ländern des Südens mitfinanziert. Menschen in Europa, die ihr Kapital nachhaltig und ethisch anlegen, um damit Entwicklung für Menschen zu ermöglichen, die am Kapitalmarkt sonst keine Chance hätten. Menschen wie der Kakaofarmer Ogovi Amango, der den Gast aus Deutschland durch die Kakaoplantage in Ghana führte. "Da konnte ich sehen, was unser Geld bewirkt", sagt Pietzcker.

In rund 800 Projekte in 70 Ländern fließt das Geld der Anleger – an Genossenschaften, landwirtschaftliche Kooperativen, Fairhandels-Betriebe oder Menschen, die mit einem Mikrokredit eine Existenz für sich und ihre Familien aufbauen können. Neben Südamerika liege der Fokus der Investitionen derzeit sehr stark auf Afrika, sagt Pietzcker. Sein Besuch in Ghana führte ihn erstmals dorthin. Er sah, "dass die Schere zwischen Arm und Reich dort immer weiter auseinandergeht". Wer Entwicklung fördern wolle, müsse in benachteiligten Ländern "ins untere Einkommensdrittel investieren, nicht ins obere".

Kreditnehmer machen ihre Welt selbst ein Stück besser

Oikocredit-Anleger leisten aus seiner Sicht "einen kleinen, aber wichtigen Beitrag, dies zu verändern". Und nicht zuletzt auch dazu, Fluchtursachen für die Menschen aus Afrika zu verringern. "Weil sie mit dem Geld mehr Chancen haben, ihre Welt selbst ein Stück besser zu machen." So kann aus Geld gutes Geld werden. Unter diesem Motto steht die jüngsten Kampagne, mit der die Kreditgenossenschaft weitere Anleger gewinnen und den Gedanken des guten Geldes verbreiten will. Dass die Anleger bislang mit einer für Nullzins-Zeiten beachtlichen Rendite von durchschnittlich zwei Prozent rechnen konnten, ist da fast schon eine – wenn auch angenehme – Nebensache. Doch nicht ganz. "Wir haben auch institutionelle Anleger wie etwa Stiftungen, die bestimmte Renditen erwirtschaften müssen", sagt Pietzcker. Für dieses Jahr müssen die Anleger mit einer Dividende "von unter zwei Prozent" rechnen. Doch im Vordergrund stehe für die Anleger die soziale Rendite. "Das macht gutes Geld aus." Hierfür will der Geschäftsführer künftig auch in seinem Netzwerk werben, "das ich mir in der früheren Tätigkeit aufgebaut habe".

Am neuen Netzwerk knüpfte er bei seiner ersten Jahresversammlung von Oikocredit in Ghana. Was ihn besonders beeindruckt hat: "Alle Teilnehmer diskutierten auf Augenhöhe. Da war kein Unterschied zwischen Geldgeber und den Partnern in den geförderten Projekten. Kein Unterschied zwischen den Menschen aus 33 Nationen." Nur eines wird er beim nächsten Mal ändern: "Dann habe ich Gummistiefel im Gepäck, wenn es auf eine Plantage geht."