In Bayern zu schnell in die "Geschlossene"

25.6.2014, 06:00 Uhr

Psychiatrie sollte „sprechende Medizin“ sein, also das Gespräch mit, die Hinwendung zu dem Patienten suchen, doch dafür braucht es Personal, Zeit und Geld. Viel mehr, als derzeit zur Verfügung gestellt wird. Darüber sind sich Sprecher von Betroffenenverbänden wie Karl-Heinz Möhrmann vom Landesverband Angehöriger psychisch Kranker und Margarete Blank vom Landesverband Psychiatrie-Erfahrener mit Vertretern der Freien Wohlfahrtspflege einig.

„Gemeinsam sind wir stark“: Im Schulterschluss mit den bayerischen Bezirken, die die Finanzierung der Bezirkskrankenhäuser stemmen müssen, fordern die Verbände flächendeckende ambulante Kriseninterventions-Dienste und eine umfassende Reform des veralteten Unterbringungsgesetzes — hin zu einem Psychiatriekrankenhilfe- oder Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz. Dieser Appell kam gestern auch bei einer Experten-Anhörung im Landtag zur Sprache.

„Die Betroffenen und die Fachleute müssen von Anfang an in den Prozess eingebunden sein, das kann nicht nur in den Ministerien entwickelt werden“, sagte die Vorsitzende der Freien Wohlfahrtspflege Bayern, Brigitte Meyer, bei einer Pressekonferenz im Nürnberger BRK-Haus.

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Unbürokratische Gespräche

Das ungewöhnliche Bündnis hat die Staatsregierung angeschrieben. In ihrer Antwort befürwortet die Staatskanzlei ein neues Gesetz nicht, sondern räumt nur Modernisierungsbedarf ein, sagt aber immerhin eine ergebnisoffene Prüfung zu.

Die Zahlen sprechen für sich: 62.000 Menschen wurden im Jahr 2011 im Freistaat in die „Geschlossene“ zwangseingewiesen, so viel wie in keinem anderen Bundesland; im Vergleich dazu wurden in Baden-Württemberg 25.000 Unterbringungen registriert. Die Zahl in Bayern steige seit Jahren, dies liege auch daran, dass es an ambulanten Krisendiensten fehle. Zwangseinweisungen könnten nur das letzte Mittel sein, so BRK-Vizepräsidentin Meyer. In vielen Fällen könnten sie vermieden werden, wenn Menschen in einer Krisensituation oder mit Suizidabsicht ambulante Hilfen bekommen würden, also kurzfristige und unbürokratische Gespräche mit Fachleuten aus mobilen Krisenteams. Hier müssen Versorgungslücken geschlossen werden. Damit bei einem psychischen Notfall nachts um Zwei nicht automatisch die Polizei anrücken muss.

Josef Mederer (CSU), der Präsident des Bayerischen Bezirketags, sieht zwar als Erfolg der Bezirke, dass die Psychiatrie sich gewandelt habe von stigmatisierenden Bettenburgen hin zu regionalisierten Kliniken und sozialpsychiatrischen Diensten. Ambulante Krisendienste sind aber freiwillige Leistungen der Bezirke und nicht flächendeckend; nur in Mittelfranken und in München, das genüge nicht.

Armutszeugnis für Bayern

„Die Bezirke finanzieren vor, und die Kassen machen sich ein schlankes Bein mit Verweis auf die Ärzte“, kritisiert Mederer. Und wenn die Staatsregierung die psychiatrische Versorgung lobe, dann sage sie nicht dazu, dass die Bezirke sie bezahlen und die Wohlfahrtsverbände sie umsetzen.

Ein Drittel der Bevölkerung werde einmal im Leben psychisch krank, rechnet Möhrmann vom Angehörigenverband vor. Dass das reiche Bayern sich kein modernes Gesetz dafür leiste, sei ein Armutszeugnis.

Es müsse Verlässlichkeit und Transparenz garantieren und vor Willkür schützen — wenn etwa in Schwaben Ambulanz-Außenstellen geschlossen werden sollen, weil die Kassen behaupten, es sei angesichts der niedergelassenen Ärzte eine Doppelversorgung gegeben. Möhrmann kritisiert einen rechtsfreien Raum in der Psychiatrie, wenn Fixierungen bei offener Tür oder mit Videoüberwachung die Menschenwürde verletzen, Sitzwachen bei ans Bett Gefesselten nicht zwingend vorgeschrieben sind — bei einem Brand in der Klinik Mainkofen 2012 kam bereits ein fixierter Patient ums Leben.

Margarete Blank, Psychiatrie-Erfahrene, drückt es so aus: „Es geht auch ohne Gewalt. Aber wir haben keine Handhabe, wenn Übergriffe gemeldet werden.“