Fall 36: Schlaflose Nächte

20.12.2019, 09:25 Uhr

Der kleine Abdul leidet seit seiner Geburt unter Atemaussetzern und epileptischen Anfällen. Seine Mutter lässt ihn nie aus den Augen. © Michael Matejka

So wie auch jetzt, im Wohnzimmer ihrer Drei-Zimmer-Wohnung. Gute fünf Minuten nimmt sie sich Zeit, bis sie den kleinen Abdul richtig positioniert hat. Das Gesicht ihr zugewandt, liegt er bei ihr auf dem Sofa und schläft seelenruhig.

Abdul ist gerade sieben Monate alt geworden. Dass er es über die ersten Lebenswochen hinaus geschafft hat, ist fast ein Wunder, denn bei seiner Geburt kam es zu großen Komplikationen. Die ersten Monate musste Abdul in der Klinik bleiben, das Trinken und Atmen mühsam erlernen. Jamilah S. fuhr damals mehrmals täglich zu ihm, während ihr Mann auf die zwei älteren Kinder aufpasste. Seit Oktober arbeitet ihr Mann wieder im Sicherheitsdienst und ist meist in der Nacht unterwegs. Der vierjährige Sohn und die zweieinhalbjährige Tochter haben seit dem Sommer einen Kindergarten- und Krippenplatz. Ein Umstand, der Jamilah S. ungemein entlastet, denn Abduls Einschränkungen erfordern ihre ganze Aufmerksamkeit.

Er sieht kaum und leidet aufgrund eines Sauerstoffmangels bei der Geburt unter epileptischen Anfällen. Wenn er krampft, ist in seinen Augen nur das Weiße zu sehen und seine Mutter leidet Höllenqualen, denn sie weiß nicht, wie stark seine Schmerzen sind. Abdul steht immerzu unter starken Medikamenten, dennoch kommen die Krampfanfälle derzeit immer häufiger vor. Der Säugling leidet außerdem an Mikrozephalie, sein Kopf wird immer klein bleiben und sich nicht mit dem Körper weiterentwickeln. Weil Abdul sich kaum bewegt, ist sein Darmtrakt fast stillgelegt. Der Säugling hat keine Kontrolle über die Haltung von Kopf und Körper. "Es ist fragwürdig, ob er es jemals in den Rollstuhl schafft", sagt die zuständige Sozialpädagogin des Jugendamts, die Familie S. betreut.

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Immer im Blick

Jamilah S. lächelt so gut es geht über ihre Sorgen hinweg. "Beim Kochen trage ich ihn manchmal in einer Schlinge auf dem Rücken", erzählt sie. Aus den Augen lässt die dreifache Mutter ihn nie, sie schläft sogar im Kinderzimmer, weil Abduls Atmung immer wieder für mehrere Sekunden aussetzt. Seine weitere Entwicklung ist ungewiss. Niemand kann sagen, ob Abdul einmal sprechen oder laufen wird. Mehrmals die Woche kommt ein Physiotherapeut oder er muss zu einem Arzt.



Nachts macht sie den Haushalt Effektiv, rechnet Jamilah S., schläft sie jede Nacht etwa drei Stunden. Meist steht sie auf, wenn alle schlafen und macht den Haushalt, kümmert sich um Anträge und Papiere, die angefallen sind. Die Familie hat sich vor kurzem um eine behindertengerechte Wohnung beworben, aber das Angebot ist rar.

Von der Weihnachtsaktion erhofft sich die Mutter finanzielle Unterstützung, um den Führerschein machen zu können. Abdul mit dem Auto zu all den Untersuchungen zu fahren, wäre viel einfacher für sie. Jamilah S. hofft außerdem auf einen Wäschetrockner, da sie aktuell immer in den Waschkeller des Wohnhauses hinuntergehen muss, um Kleidung aufzuhängen. Eine große Belastung für eine Mutter, die nie weiß, wann ihrem Kind das nächste Mal der Atem stockt.