Jetzt ist es offiziell: Chemnitz wird 2025 Kulturhauptstadt Europas

12.1.2021, 09:57 Uhr

Normalerweise stellt eine Jury Fragen und erwartet Antworten. Jetzt war es andersherum: Sylvia Amann, Vorsitzende der Kulturhauptstadt-Jury, musste der Kulturministerkonferenz, die das letzte Wort bei der Bestimmung der Kulturhauptstadt hat, gestern in einer Videoschalte Rede und Antwort stehen.

Dazu, warum das Gremium Chemnitz als Kulturhauptstadt 2025 gewählt hat – und nicht Hannover, Hildesheim, Magdeburg oder Nürnberg. Dazu, dass ein Jury-Mitglied an einem in Chemnitz geplanten Kulturhauptstadt-Projekt beteiligt ist. Dazu, dass Vorwürfe der Vetternwirtschaft zwischen der Jury und Kulturhauptstadt-Beratern bestehen. Kurzum: Dazu, wie es mit der Unabhängigkeit des Gremiums und mit der Einhaltung der Compliance-Regeln steht.


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Nach der rund anderthalbstündigen Kulturministerkonferenz steht fest: Chemnitz wird den Titel 2025 tragen. Der Beschluss fiel einstimmig. "Die in den Medien im Zusammenhang mit der Auswahl der Kulturhauptstadt Europas 2025 aufgeworfenen Fragen konnten geklärt werden", heißt es. "Die Juryvorsitzende hat uns versichert, dass das Auswahlverfahren korrekt abgelaufen ist", sagte Barbara Klepsch, sächsische Staatsministerin für Kultur. Das gebe Chemnitz nun "Schwung unter den Flügeln".

"Zukunftsfest machen"

Die EU soll dafür sorgen, dass der Wettbewerb künftig transparenter und nachvollziehbarer wird. Klaus Lederer, Berliner Kultursenator und Vorsitzender der Kulturministerkonferenz, wird sich bei der Europäischen Kommission "für die Stärkung eines transparenten Auswahlprozesses einsetzen, um das erfolgreiche EU-Projekt ,Kulturhauptstadt Europas’ zukunftsfest zu machen." Ein Vorhaben, das Nürnbergs Kulturbürgermeisterin Julia Lehner (CSU) begrüßt: "Wir werden mit Interesse verfolgen, auf welche Weise künftig Transparenz im Auswahlprozess hergestellt werden soll. Denn nicht zuletzt aufgrund des Einsatzes nicht unbeträchtlicher öffentlicher Gelder, die im Zuge einer Kulturhauptstadtbewerbung aufgewendet werden, ist ein nachvollziehbares Verfahren zur Ermittlung der Titelgewinner von höchster Bedeutung und im Interesse der europäischen Bürgerinnen und Bürger."

An der Transparenz des Verfahrens war in Medienberichten in den vergangenen Wochen starke Kritik geübt worden. Zunächst hatte Gottfried Wagner, langjähriges Jurymitglied, im Interview mit unserer Zeitung gesagt: "Es braucht eine inhaltliche Erneuerung, mehr Transparenz, mehr Qualitätskontrolle." Weiterführende Recherchen der Süddeutschen Zeitung (SZ) legten dann Einzelheiten offen über die fragwürdige Rolle der Berater und deren Verbindungen in die Jury.



Dieses "internationale Friends-and-Family-Netzwerk" würde mit seinen "Machenschaften an Organisationen wie IOC oder Fifa erinnern". Erst diese Woche hatte die Zeitung nachgelegt mit Recherchen, die zeigen, dass auch in der diesjährigen (und coronabedingt auf 2023 verschobenen) rumänischen Kulturhauptstadt Temeswar "ein Beziehungsgeflecht am Werk ist, in dem die Protagonisten ihre Rollen in Windeseile wechseln. Auch dort gibt es geschäftliche Verbindungen bis in die Jury hinein".

Großes mediales Echo

Das mediale Echo auf die SZ- Recherchen war groß. Schnell machte dabei auch der Begriff vom "schlechten Verlierer" die Runde. Gemeint waren damit die Städte, die nicht gewonnen hatten, allen voran Nürnberg. Schließlich, so die Argumentation etwa der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ), sei der SZ- Autor Nürnberger, also enttäuscht von der Nürnberger Niederlage gewesen. Deshalb habe er zur Attacke auf die Jury geblasen.

Andere Medien blieben sachlicher und referierten die recherchierten Fakten. Der öffentliche Wirbel um Deutschlands Kulturhauptstadt war so heftig, dass die Kulturministerkonferenz die offizielle Ernennung von Chemnitz zweimal, zuletzt in ihrer Sitzung kurz vor Weihnachten, verschoben hatte. Ein einmaliger Vorgang. Normalerweise winken die Kulturpolitiker Vorschläge der zwölfköpfigen Jury durch. Diesmal nicht.



Bayerns Kunstminister Bernd Sibler (CSU), der bis Ende 2020 Vorsitzender der Kulturminister war und das Amt jetzt turnusgemäß an seinen Berliner Kollegen Klaus Lederer (Die Linke) abgegeben hat, soll damals angekündigt haben, sich bei einer Abstimmung für Chemnitz zu enthalten. Das wollte man verhindern. Es wäre, zitiert die FAZ aus einem Schreiben der EU an das Land Sachsen, ein "extrem negatives Signal", wenn Deutschland als erster Staat in der Geschichte des 1985 initiierten Wettbewerbs die Zustimmung zum Jury-Votum verweigern würde. Um den Weg zu dem angestrebten einstimmigen Ergebnis zu ebnen, wurde vor Weihnachten also vereinbart, im Januar mit der Jury über die Vorwürfe zu sprechen.

Jetzt ist das Ergebnis wie gewünscht da. Die Kulturminister werden ihre Entscheidung nun der Kultur-Beauftragten der Bundesregierung mitteilen. Das Auswärtige Amt wird dann die zuständigen EU-Organe darüber informieren.Am 28. Oktober hatte Chemnitz mit Feuerwerk den von der Jury zugesprochenen Titel gefeiert. Jetzt hat ihn die Politik bestätigt.