Junge Menschen im Lockdown: Kein Dating, keine Freunde, keine Perspektive?

12.4.2021, 05:48 Uhr

Es ist ein Klischee, dass nur alte Menschen unter dem Lockdown leiden, erklärt Psychologin Dagmar Unz von der Hochschule Würzburg-Schweinfurt. © marcinmaslowski/imago-images

Was ist Einsamkeit überhaupt? "Der Neurowissenschaftler John Cacioppo vergleicht Einsamkeit mit Hunger und Durst. Nach ihm brauchen wir also andere Menschen, um zu überleben", erklärt Dagmar Unz, Psychologin und Professorin an der Hochschule für angewandte Wissenschaften in Würzburg-Schweinfurt. Besonders problematisch ist es, wenn die Einsamkeit chronisch auftritt, so Unz. Es gehe so weit, dass Forscher darüber diskutieren, ob Einsamkeit nicht das gleiche Gesundheitsrisiko für den Menschen darstellt, wie etwa das Rauchen.

Auch Alex musste feststellen, dass ohne Gleichaltrige etwas fehlt. Es ist vor allem das Treffen in der Gruppe, das er vermisst. "Es ist nicht nur die Gruppendynamik. Es fehlt auch der größere Austausch, den man hat, wenn man gemeinsam in eine Bar geht", erklärt er. Die zahlreichen Möglichkeiten, im Internet zusammen zu kommen, seien für ihn nicht dasselbe. "So hat man zwar Gesellschaft für eine kurze Zeit, aber sobald einer auflegt, ist man wieder allein."

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Wohin mit dem Tatendrang?

Außerdem fehlt ihm die Spontanität. "Das war sonst immer mein Lebenselixier", erklärt der Altdorfer. Im ersten Lockdown war es für ihn besonders schlimm, er litt dauerhaft an Kopfschmerzen. Durch Sport wurde es besser. "Jetzt nutze ich im Extremfall meinen Tatendrang dazu, um in meiner Umgebung alles auf- und umzuräumen. Allein, weil es eine Beschäftigung ist."



Einsamkeit hat viele Gesichter. "Allerdings ist es ein Klischee, dass nur alte Leute einsam sind", erklärt Unz. "Studien zeigen gerade bei jungen Erwachsenen derzeit ein erhöhtes Einsamkeitserleben." Das liege daran, dass ältere Menschen über mehr Bewältigungsmechanismen verfügen als junge. "Gerade in der Zeit, in der sich junge Leute vom Elternhaus lösen und ihre relevanten Bezugsgruppen suchen, steigt das Einsamkeitserleben deshalb", erklärt die Wissenschaftlerin. Im Frühjahr 2020 wurde laut Unz eine Studie unter jungen Italienern durchgeführt, die Aufschluss über die Folgen einer Quarantäne geben. Die jungen Erwachsenen sind im Vier-Wochen-Takt nach ihrem Einsamkeitsempfinden befragt worden. "Es hat sich gezeigt, dass der Stressfaktor steigt", erklärt Unz.

Ein möglicher Grund: Bekannte Routinen und Muster funktionieren auf einmal nicht mehr und müssen neu gelernt werden. Quarantäne sei daher laut Unz eine Art erlebter Kontrollverlust, der negative Folgen zeigt. In Quarantäne musste Alex bisher nicht, sogar ein bisschen Normalität brachte ihm im vergangenen September der Beginn seiner Ausbildung. Der Unterricht an der Fremdsprachenschule, auf die Alex geht, fand im Präsenzunterricht statt. "Ich hatte dennoch nicht großartig das Gefühl, neue Freundschaften aufzubauen", erzählt er. "Es bestand einfach nie die Möglichkeit, sich richtig kennenzulernen. Nach der Schule ist jeder direkt nach Hause." Ein weiterer Frustfaktor für junge Menschen ist die Partnersuche. Gerade in der Altersgruppe der 17- bis 30-Jährigen ist die Orientierung an Gleichaltrigen groß und die Partnersuche besonders wichtig, erklärt der Mainzer Professor Manfred Beutel. Er hat in einer Studie herausgefunden, dass 90 Prozent der Befragten jungen Erwachsenen derzeit das Treffen mit gleichaltrigen vermissen.

Verflixtes Singledasein

Auch Alex macht das Singledasein zu schaffen. "Vor Corona war ich nicht unbedingt auf der Suche, aber jetzt fehlt es mir, die Möglichkeit zu haben." Wie viele in seinem Alter nutzt Alex vor allem Apps zur Partnersuche. Das führt derzeit auch oft zu Problemen. "Es passiert, dass Personen sich persönlich treffen wollen. Sobald man auf die geltenden Regelungen hinweist, entsteht oft Desinteresse." Eine weitere Schwierigkeit derzeit: Das Gespräch am Laufen zu halten. "Es gibt wenig Neues, was man berichten kann", meint Alex.



Bei der Kontaktsuche- und Aufrechterhaltung spielt laut Unz häufig das familiäre Umfeld eine Rolle. Wem die Kernfamilie bereits gute soziale Kontakte mit auf den Weg gibt, der kann damit soziale Bedürfnisse zumindest teilweise erfüllen. Wer hohe soziale Kompetenzen hat, kann leichter Kontakte mit anderen bilden oder aufrechterhalten. Schwierig werde es für Menschen, die sowieso wenig Kontakte haben. "Die einen können daran wachsen und die Krise als Chance nutzen. Für anderen verstärkt die Krise die Einsamkeit."

Dass nicht nur ältere Menschen an Einsamkeit leiden, zeigt auch die Statistik der Telefonseelsorge der Stadtmission Nürnberg. 13 Prozent der derzeitigen Anrufer sind unter 40 Jahren, zwei Drittel davon weiblich. Ein Großteil der Anrufer, die mit Einsamkeit zu kämpfen haben, leben allein, weiß die Leiterin der Telefonseelsorge, Birgit Dier. Eine andere Gruppe seien junge Studierende. "Die fühlen sich oft einsam, weil sie nur vor ihren Computern sitzen." Neben dem Faktor Einsamkeit steige derzeit auch der Faktor Angst. "Oft ist es die Furcht zu erkranken oder jemand anzustecken", erklärt Dier. Bei jungen Leuten sei es häufig auch der Wegfall eines Minijobs, wodurch sie wieder abhängiger von den Eltern werden.

Es bleibt die Hoffnung, dass nach der Pandemie wieder alles wird, wie es einmal war. Lässt sich die Zeit der verpassten Sozialkontakte nachholen? Alex sagt: Nein. "Ich denke, selbst wenn die Pandemie überstanden ist, wird sich vieles nicht wieder zur Normalität wandeln."